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WEG VOM BAROCKEN PATHOS

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Übermächtig und groß steht im. der französischem Kunst des Dixhuitième am Anfang die Erscheinung Antoine Watteaus. Der arme Dachdeckerssobn aus Valenciennes in Flandern — „Vato, peintre flamand" —, der ruhelos und schwindsüchtig 1721 im Alter von siebenumddreißig Jahren starb, hatte auf seine Art den gegen Ende des 17. Jahrhunderts entflammten Kampf der „Rubenisten“ gegen die „Poussinisten“ gelöst. Flämisches Erbe und den Einfluß seines Landsmannes verband er mit dem Studium der Venezianer, besonders Veroneses, und schuf gegen 1717 mit der Serie der „Fêtes galantes“ die spirituellen Gleichnisse jener Décadence, die das Rokoko gegenüber dem Barock darstellt. Seine Jugendwerke, zu denen die „Köchin“ oder „Kupferputzerin“ des Museums von Straßburg gezählt wird, inspirierten sich noch am Realismus Teniers’ und Brouwers. „Jupiter und Antiope“ aber brachte neben der sichtbaren Wirkung der Kenntnis Rubens’ und der Venezianer noch ein anderes Element zur Geltung. Die Haltung des Aktes weicht in ihrer unbefangenen Natürlichkeit, die direkter Beobachtung entstammt, vom großen Pathos seines Landsmannes entschieden ab. Sie füllt das Bild mit einer menschlichen Intimität, die etwas Neues bedeutet und über Watteaus weiteres Werk hinaus nun in die französische Kunst Eingang findet. Die Zeit der großen Gesten Rigauds, Nattiers und Largillierres, der Ausklang des barocken Phatos, geht zu Ende; Repräsentation wird von bürgerlicher Schlichtheit mehr und mehr ähgelöst.

Noch allerdings wandeln bei Watteau die ziselierten Gestalten seiner zärtlichen Amanten im atmosphärischen Dunst der traumhaften Liebesimsein, die sie, wie die „Gesellschaft im Park“, verlassen müssen, doch die enigmatische Gestalt des „Gilles“ steht bereit in einem durch die Magie der Farbe verwandelten Realismus, der Manet souverän vor- wagnimimt, stumm und einsam vor den bizarren Figuren der Komödie in der Landschaft. Nicht mit Unrecht sieht man in diesem Bild, das wahrscheinlich eine Selbstdarstellung des todgeweihten Malers ist, ein Hauptwerk europäischer Malerei. Die monumentale Schlichtheit in Blick und Haltung, die großzügige und subtile Malerei, deren kühle Harmonien das weiße Gewand zu überwirklichem tragischem Ausdruck steigern, der die verlorene Frage des Gesichtes unterstreicht, sind von erschütternder Größe und Wirkung. Lancret und Pater wirken neben Watteau wie Platituden. Nutznießer des Genres, besaßen sie weder die plastische Kraft der Zeichnung Watteaus noch den Zauber und die Tiefe seiner Farbigkeit. Die Wahrheit seines Traumes wurde bei ihnen in das Parfüm gefälliger Dekoration umgemünzt.

Etwas anders liegt die Sache bei Boucher. Dieser ausgebildete und geborene Dekorateur, der sich stärker und oberflächlicher als Watteau an- Rubens inspirierte, verband aristokratische Geziertheit und dekadente Sinnlichkeit mit sehr geschmackvollen farbigen Harmonien, die in der „Odaliske“ einen Höhepunkt erreichten. Im Duktus der Formen hat seine Arbeit für die Gobelinmanufaktur Spuren hinterlassen, nicht frei von Vulgarität, ist er jedoch ein starkes malerisches Temperament. Das gilt auch in einem besonderen Maß von Fragonards, in dem der Einfluß der neapolitanischen Malerscbuie, Tiepolos, Rembrandts und Rubens’ sichtbar wird und neben Licht und Bewegung her- vorhebeniden galanten Szenen zu virtuos expressiv gestalteten Porträts führt, die, wie das „Bildnis des Abbé de Saint-Non — Pihantasiekopf“, bereits auf Delacroix verweisen. Eine der Entdeckungen der Ausstellung ist zweifellos

Jacques André Joseph Aved (1702 bis 1766). In Douai geboren, in Amsterdam aufgewachsen, wurde er in Paris Freund Ohardins. Als begehrter Bildmismaler suchte er seine Modelle aus ihrem Milieu zu charakterisieren. Holland stets sehr verbunden, wurde er 1753 Ehrenmitglied der Malierkammer in Den Haag und besaß eine große Kunstsammlung, in der die Niederländer, besonders Rembrandt, stark vertreten waren. Sein Meisterwerk, das „Bildnis der Madame Crozat“, wirkt trotz der wenig gefestigten Komposition revolutionär. Die alte Dame wird vom Beschauer bei der Stickarbeit überrascht, der Blickpunkt ist kühn gewählt, die Darstellung des Kopfes erinnert bereits an Ingres. Man ist versucht, bei Aved aus diesem Bild auch die Kenntnis Vermeers herauszulesen. Die Epoche der Bildniskunst des 18. Jahrhunderts wurde durch Jacques Louis David abgeschlossen, dessen intellektueller Klassizismus dn den peinlich genauen Realismus seiner Bildnisse mündete. Menschlich wenig sympathisch, betätigte er sich während der Revolution als Kunstdiktator, Scharfmacher und Sykophant Robespierres, um dann Napoleon zu huldigen. Seine Malerei ist zweifellos gekonnt, aber bar jeder Poesie, Ausdruck eines platten Materialismus. Anders die zweite Entdeckung der Ausstellung, Louis Gabriel Moreau (1740 bis 1806). Seine „Landschaft um Vincennes“ ist, bei unmittelbarer Naturnähe, beseelt und poetisch. Ihre Freilichtmalerei macht ihn zum großen Rivalen Constabels und zum Vorläufer der französischen Landschaftsmalerei von 1840. Daß er zu seiner Zeit keinen Anklang fand, ist heute nicht verwunderlich — sein Ansatz war im Zeitalter des ausgehenden Klassizismus zu revolutionär und ungewohnt. Er bildet ein wichtiges Glied in der französischen Tradition, in ihrem unbeirrbar fortschreitenden Zusammenhang.

In sie gehört als einer der ganz großen Künstler vor allem Jean Baptiste Simeon Chardin (1699 bis 1779), mit Watteau das malerische Genie des Jahrhunderts. Wie Watteau aus armen Verhältnissen stammend — der Sohn eines Schreiners —, erregte er, als er zum erstenmal 1728 auf der Place Dauphine ausstellte, so großes Aufsehen, daß er wenige Monate später in die Akademie aufgenommen wurde. Das Bild „Der Rochen“ war einer der beiden Beweggründe der Aufnahme. Von den holländischen Stillefoenmalern herkommend — Jan Fyt, Weeninx usiw. —, ist es eindeutig ein Jugendwerk durch die Schwächen der Komposition, der Gestaltung ln den Details, der nicht geeinten Lichtführung. Aber was schon für ein herrliches Stück expressiver Malerei! Der schillernde Bauch des Rochens mit den herausquellenden Innereien, dem verzerrten Maul und den Kiemen nimmt wie in einer Metamorphose menschliche Gestalt am, schillert und leuchtet in einem bedrängenden Leben, das das ganze Bild durchzuckt. Das Aperçu der über die Austern stolzierenden Katze gibt dem Bild eine zusätzliche Unheimlichkeit, die die Benennung Stilleben Höhn straft. Nicht umsonst hat Cézanne dieses Bild gezeichnet, Matisse es kopiert. Dieser natürliche jugendliche Expressionismus war nur der Beginn des Weges von Chardin, der zu immer größerer Schlichtheit in der Wahl des Sujets, monumentalem Aufbau umd farbig plastischer und räumlicher Eindringlichkeit führte. Nach dem frühen Tod seiner ersten Gattin widmete er sich für einige Zeit der Darstellung von häuslichen Szenen, die bei ihm besondere statische Würde und Delikatesse gewannen, den Raum in feingestuften Ebenen gliedernd. Die Kinder, die er liebte, stellte er dar — beim Spiel mit dem Kreisel, mit Kartenhäusern, dem Federball. Einfach und still, in sich versunken, dabei den Bildraum mit immer raffinierteren Mit teln — einer Schublade, einem Rötelstift im Halter, einem Flecken Rot — bauend. Die Farben stufte er immer sorgfältiger zueinander, sie meisterhaft instrumentierend. Dann wendete er sich wieder dem Stilleben zu, und nun sind es die einfachsten und zufälligsten Dinge des Haushaltes, die ihm Anlaß werden, eine Musik der Farben im Licht zu entfalten, die ihresgleichen sucht. Dabei wird die Materie in all ihren Verschiedenheiten, ihren Besonderheiten und differenzierten Oberflächen durch seine Kunst geadelt, vergeistigt und zu stummer Größe erhoben. Es erscheint kaum glaublich, daß er und sein Freund Aved Vermeer nicht gekannt haben, so viel vom Geist dieses anderen Großen lebt in seinen Bildern, die Manet und Cézanne vorbereiten. Daß es ihm — wie man im Katalog meint — an „Einfallsreichtum fehltè“, Ist eine absurde Behauptung. Sein Einfallsreichtum lag ln dem vielfältigen Spiel der Formen und Farben zueinander, dem Reichtum und der Schönheit der Nuancen, die er souverän handhabt und besitzt wie nur ein ganz großer Meister der Malerei. In ihrer leuchtenden, lebendigen, zärtlichen Intensität sind die zwölf Bilder Chardins der stille Glanz der Ausstellung, der alles überstrahlt.

Besonders auch das Werk J. B. Greuzes (1725 bis 1805), dessen raffiniert sentimentale Genremalerei auf heuchlerische Art mit dem Geschmack des Publikums spekulierte. Seiner Begabung mangelte es an Tiefe — die Zeichnungen zeigen virtuose Leichtfertigkeit — und Charakter. Sein Bestes vermochte er manchmal in Bildnissen wie jenem der Madame de Porcins zu geben. Hervorzuheben ist jedoch J. Oh. Oudry (1720 bis 1778), dessen Geflügelstilleben den Mangel einer unvollkommenen Zeichnung mit einer reichen, klinigeniden Palette und delikatem Farbauftrag wettmachen.

Der berühmteste und bedeutendste Bildhauer des Dix- hiutième war Jean Antoine Houdon (1741 bis 1828). Sein Vater war Diener, später Weinhändler und schließlich Hausbesorger an der Schule, an der sein Sohn studierte, der von Lemoyne und Pigalle und bei einem Romaufenthalt durch die Antike und durch Berndni beeinflußt wurde. Von diesem übernahm er zwar nicht das barocke Pathos, aber die illusionistische Virtuosität — man beachte die Augen seiner Büsten —i, die jedoch nie zum leeren Selbstzweck wird, sondern die psychologische und lebensvolle Darstellung seiner berühmten Zeitgenossen steigert. Die zahlreichen Darstellungen Voltaires sind mit Recht berühmt geworden, und das ausgestellte Bildnis Rousseaus ist in seiner lebendigen und geistvollen Modellierung ein Beweis für die geniale Fertigkeit Houdons, einen Charakter lediglich auf Grund der Totenmaske und allein aus der Vorstellung wieder zum Leben zu erwecken. Mit seinen Porträts hat Houdon eine Galerie der Prominenz des 18. Jahrhunderts geschaffen, in der selbst der Abenteurer und Schwindler Cagliostro unter den zahlreichen Edelleuten, Künstlern, Philosophen, Politikern, Schriftstellern, Beamten und Schauspielerinnen, die der Künstler verewigte, nicht fehlt.

A m Houidon scharen sich noch einige bedeutende Bildhauer des französischen 18. Jahrhunderts: seine schon genannten Lehrer Jean Baptiste II. Lemoyne, der Söhn des Bildhauers Jean Louis Lemoyne, und Jean Baptiste Pigalle, Augustin Pajou und sein Schwiegersohn Claude Michael, genannt Clodion, Edme Bouchardon, Jean Jacques Caffieri, Etienne Maurice Falconet und Lucas de Montigny, während Robert Le Lorrain und Jean Thierry das Jahrhundert einleiteten. Im allgemeinen entwickelt sich die Plastik des französischen 18. Jahrhunderts von der dramatisch bewegten Form zu größerem Illusionismus und intimerer Beobachtung. Wie in der Malerei tritt an die Stelle der Repräsentation mehr und mehr ein bürgerliches Ideal, das nicht zuiletzt durch die Ausgrabungen von Herculanruim und Pompeji, die um die Jahrhundertmitte einsetzen und das schon vorher wieder erwach te Interesse an der Antike zum Klassizismus des Empire führt. Auch in dieser Epoche behält die französische Plastik ihre wesentlichen Grundzüge, die klassisches Maß mit Anmut und Realistik paaren, bei.

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