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VON 1900 BIS 1960

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In der vom Ares Council of Great Britain gemeinsam mit dem Bundesministerium für Unterricht in London veranstalteten und Anfang Mas durch Bundesminister Dr. Heinrich Drimmel eröffneten Ausstellung „Österreichische Malerei und Plastik von 1900 bis 1960“ wurden von ihrem Organisator Dr. Werner Hofmann zwei Ziele verfolgt. Das erste war, die Entwicklung der bildenden Künste in Österreich an Hand von Malerei und Bildhauerei in ihrer Eigenart und gleichzeitig in einer kontinuierlichen Tradition aufzuzeigen, und zweitens zu beweisen, daß ihre schöpferische Vitalität, besonders auch in der jüngeren Generation, mit der Entwicklung Westeuropas auf das engste verbunden ist. Das waren die Gedanken, die nun die Ausstellung beherrschen und auch ihre Gliederung und ihren Aufbau bestimmen.

An ihrem Anfange stehen daher folgerichtig jene Künstler, die um die Jahrhundertwende im Rahmen der „Wiener Sezession“ und des Jugendstiles eine etwas provinzielle Revolution einleiteten, weil sich ihre künstlerische Konzeption, wenn wir Cezanne als Maßstab und Richtschnur der großen europäischen und durch die Jahrhunderte ungebrochenen Tradition Westeuropas annehmen, nur mit peripheren Tendenzen der Zeit verband. In den Arbeiten Gustav Klimts herrscht daher nicht das plastische Element vor, sondern die ornamentale Linie, der die Plastizität untergeordnet wird, die „Kostbarkeit“ des Ornaments, das aber bereits nicht mehr von der Natur in einem Abstraktionsvorgang abgeleitet wird, sondern aus der „Erfindung“ her in Erscheinung tritt. Darum auch wirken seine Land-, schaftsbilder künstlerisch wesentlicher, von denen allerdings nur der „Attersee“ zu sehen ist. In den Wohllaut der Klimtschen Dekoration mischen sich bei Egon Schiele die schrillen Dissonanzen eines sehr persönlichen Bekenntnisses, in dem das graphische Element das malerische bei weitem überwiegt. Anders bei Richard Gerstl, wo sich die Farbe in breiten, die Form zerstörenden Strömen zu entfesseln beginnt und selbst das optische Erlebnis, wie in der „Familie Schönberg“, überlagert. Bei ihm meint man, bereits an der Schwelle des ungegenständlichen Expressionismus zu stehen. Das war auch der Eindruck eines englischen Kritikers, der von einem rein historischen Gesichtspunkt aus schrieb: „Wenn er (Gerstl) in einem Familienbild von 1908 nicht nur Kokoschka, sondern auch Corinth in seiner wilden, expressionistischen Behandlung der Farbe vorwegnehmen konnte, dann müssen wir zugeben, daß Wien im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts etwas erfunden hat, das noch immer einen Teil des modischen Idioms von heute bildet“. Das Fragmentarische des Werkes von Richard Gerstl, der jung starb, haftet zu einem guten Teil auch dem Oskar Kokoschkas an. Sein Expressionismus, aus den nicht auf die plastische Form, sondern auf die psychologische Darstellung ausgehenden frühen Bildnissen entstanden, mischt sich in den späten Bildern nach einer dekorativen Phase mit postimpressionistischen Elementen, die beide den Raum und die Form auflösen. Er ist hier mit dem bekannten „Bildnis Marcel v. Nemes“, dem „Markt in Tunis“ und dem „Kolosseum in Rom“ nicht hervorragend vertreten.

Die sich in diesen vier Namen abzeichnenden beiden Hauptlinien versucht die Ausstellung nun in den anderen, zum überwiegenden Teil jüngeren Künstlern zu verfolgen. Darum wurden in einem Saal die Maler des „Phantastischen Realismus“ versammelt. Vor dem Eingang stehen die eindeutig aus der Geisteswelt Klimt und Schieies stammenden dekorativen Panneaus Fritz Hundertwassers. Ihr großes Format und ihre lauten Farben sind ein starker Gegensatz zu den größtenteils kleinformatigen Bildern der Wiener Manieristen, die sich um die Bilder von Albert Paris Gütersloh gruppieren, dessen Einfluß, wie der des inzwischen abgewanderten Edgar Jene, diese Schule ins Leben rief Und zwar weniger mit einem so durchaus malerisch dekorativem Landschaftsbild wie „Torbole“, sondern durch seine kleinen illustrativen Aquarelle, die in Linie und Form die preziöse Wiener Dekadenz der ersten Jahrzehnte des Jahrhunderts fortzusetzen suchen. Wolfgang Hutter liegt mit seinen Arbeiten auf derselben Linie, obwohl er dort, wo er sich phantastischen Naturformen vor allem des Pflanzenreiches zuwendet, freier und eigenständiger zu werden beginnt. Anton Lehmden hat in seinen Bildern eine eigene Welt aufgebaut, die in manchem von Kubin herkommt, aber ein ganz besonderes Gefühl der Weltangst ausströmt, während Ernst Fuchs von seinen aggressiven Tafeln zu religiösen Darstellungen gefunden hat, die aber nun, da ihnen die pubertäre Bedrängnis, die seine früheren Bilder kennzeichnet, fehlt, seltsam nazarenisch glatt und wie stilistische Kompilationen anmuten. Rudolf Hausner schließlich ist mit Bildern vertreten, die der späteren Phase seiner Arbeit angehören, kühl und dekorativ und mit großem literarischen Pathos versehen. Sie alle erschienen der englischen Kritik etwas fremd und beängstigend, „außergewöhnlich und quasi-surrealistisch“. Der Kunstkritiker der „Times“ wundert sich, daß diese „Ader eines morbiden, introspektiven Romantizismus und nervöser Preziosität in einer anscheinend vollkommenen Isolation von den Hauptströmungen künstlerischen Strebens in Europa ausgebaut wurde“, es verstand, so „hartnäckig den Wettbewerb aller folgenden formalen Sprachen der letzten fünfzig Jahre zu überleben“ und sieht in ihr den Einfluß Freuds.

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Die zweite Hauptlinie, die in der Ausstellung aufgezeigt werden soll, findet sich in einem anderen Saal repräsentiert. Es ist die des ungegenständlichen Expressionismus, der „informellen“ Malerei, des „action painting“. Wolfgang Hollegha ist dort mit einem riesigen Bildformat nicht sehr glücklich repräsentiert, ebenso Josef Mikl mit seinen großen Formaten. Beide haben in kleineren Bildern schon wesentlich besseres und dichteres geleistet. Hier findet man auch Walter Eckert und Grete Yppen, Hans Bi-schoffshausen, Gottfried Fabian, Marcus Pra-chensky, Arnulf Rainer und Maria Laßnig. Die Malerei, die sie vertreten, ist so sehr modisches

Gut der letzten Jahre geworden, daß die Londoner Kritik die Existenz dieser Richtung auch in Österreich wohl zur Kenntnis nahm, aber nicht näher auf sie einging, wahrscheinlich übersättigt durch die Inflation, die sie in den letzten Jahren in dieser Hinsicht erleben mußte, vielleicht auch bewogen durch die Kenntnis der Bilder William Turners (1775-1851) in der Täte Galerie, dessen Spätwerk diese malerischen Ergebnisse — von der Natur ausgehend — mit einer solchen Genialität und Vehemenz vorwegzunehmen scheint, daß das Heutige däneben fragwürdig wird.

In einem dritten Saale schließlich wurden jene Bilder versammelt, die sich nicht den beiden vorgezeichneten Linien einzugliedern scheinen. Hier findet man den primitiven Expressionismus von Karl Anton Wolf, den lyrischen Max Weilers (in einer frühen Landschaft, die besser ist als manches spätere), den unermüdlichen Experimentator Kurt Weber, Hans Staudacher und Paul Meißner, die zwischen Figuration und freier Form stehen, Gustav K. Beck und Johannes Fruhmann, Josef Dobrowsky mit zwei Landschaften und einem Porträt, Fritz Aduatz mit einem an Soulage erinnernden Bild, Georg Eisler mit der sehr dichten kleinen „Familie“, den in England lebenden Gerhart Frankl (der in der Belvedere-Galerie durch die sehr schöne Variation eines holländischen Fischstillebens und ein anderes Stilleben bestens aufscheint) mit einer Wiener Vedute von 1948, und Werner Berg mit zwei Beispielen seines naiven Expressionismus vertreten. •

Vollends nicht einordnen in die beiden Hauptströmungen läßt sich Herbert Boeckl, dessen Bilder, durchweg große Formate aus den Jahren seit 1948, in der Haupteingangshalle hängen und den Höhepunkt der Ausstellung bilden. Ihre

Konzeption, die zu einer Neuformung von plastischer Form und Raum strebt, ist besonders stark mit der westlichen Tradition verbunden, deren Wesen oben mit dem Namen Cezanne beschworen wurde. Als einzige ziehen sie aus der wesentlichsten Entwicklung der europäischen Malerei in diesem Jahrhundert Nutzen und stellen sich damit bewußt in eine Tradition, die über den modischen Strömungen der Zeit liegt. Zu ihnen tritt in geläuterter Form das Österreichische wieder in Erscheinung: in der Feinheit der Empfindung, der lyrischen Aussage und der philosophischen Komponente, die die Wandelbarkeit und die Verwandlung aller Dinge in den Mittelpunkt stellt. Ihre subtile Farbigkeit läßt an die Frühzeit österreichischer Malerei im Mittelalter denken, an Rueland Frueauf d. Ä. zum Beispiel, besonders an dessen auferstandenen Christus in der Münchner Pinakothek. Seine Bilder fanden bei der englischen Kritik und bei englischen Malern besondere Beachtung. So nennt ihn Eric Newton vom „Guardian“ einen „Pionier der modernen Malerei“ und findet, seine Bilder hätten „sowohl die Autorität als auch die Aufrichtigkeit, die für diesen Ehrenplatz benötitg wird“. Bemerkenswert ist, daß auch der Korrespondent der „Neuen Zürcher Zeitung“ den großen Erfolg Herbert Boeckls in London bestätigt. Im Ganzen gesehen wurde die Ausstellung zu einem eindeutigen Erfolg der älteren Generation, wobei auch das Verlangen ausgesprochen wurde, Klimt, Schiele und Gerstl in größerem Umfang kennenzulernen.

Die Plastik hatte, durch äußere Umstände bedingt, keinen leichten Stand, obwohl sie durch einige bedeutende Beispiele vertreten ist. Der sehr hübsche Innenhof des Arts Council ist von Backsteinmauern umgeben, die unter dem Einfluß der Londoner Atmosphäre jene eigentümliche Tönung angenommen haben, die zwar einen großen Reiz der Farbskala Londons bildet, aber dem dunkleren Stein oder der dunklen Bronze jede Kontrastwirkung nimmt, wenn man sie gegen diesen Hintergrund sieht. Da die größeren Exponate im Freien stehen, haben sie alle unter diesem Nachteil zu leiden. Fritz Wotruba ist hier mit drei Figuren, darunter der Bronzevariation einer Steinplastik, vertreten, Hans Knesl mit einer überlebensgroßen „Schreitenden“, Josef Pillhofer mit seiner „Tänzerin“, der in England lebende Charoux mit einer ziemlich schwachen „Gruppe“, außerdem noch Wander Bertoni, Heinz Leinfellner und Karl Prantl. Die in den Räumen aufgestellte Plastik ist trotz der sehr verschiedentlichen Lichtverhältnisse besser daran. Hier findet man Joannis Avramidis vertreten, Bertoni. den ebenfalls in England lebenden Georg Ehrlich, nochmals Charoux, Rudolf Hoflehner (leider nur mit kleineren Arbeiten), Knesl, Leinfellner mit einem Relief, Pillhofer mit einem strengen „Kopf“ und Andreas Urteil mit zwei kleinen Bronzen und einer Holzplastik.

Erfreulich zu hören, daß man im Bundesministerium- für Unterricht die Absicht hat, in anderen europäischen Hauptstädten diese Ausstellung in größerem Umfang zu zeigen. Man sollte vielleicht auch daran denken, auf dem durch diese Überblicksausstellungen aufgelockerten Boden einzelne Künstler oder Gruppen in Sonderausstellungen zu zeigen, um damit das Interesse und das Wohlwollen, das das Ausland uns entgegenbringt, zu vertiefen und zu erweitern. Den Stellen jedenfalls, die diesen ersten von Erfolg gekrönten Schritt gewagt haben, muß man Dank sagen.

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