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Sie malen „phantastisch..

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ES WIRD VIEL ÜBER DIE JUNGE GENERATION gesprochen. Über ihren Idealismus, öfter aber über ihren Nicht-Idealismus. Über ihre Ziele, Aufgaben und Wege.

In der Galerie im Studententheater präsentieren sich zur Zeit die Werke der jüngsten Wiener Maler dem Publikum. Es sind Vertreter der „Wiener Schule“ und damit der „Phantastischen Malerei“.

Improvisation und eine gewisse leichtfertige Fröhlichkeit machen die Ausstellung sympatisch. Der schmale, weißgetünchte Raum wurde von der österreichischen Hochschülerschaft zur Verfügung gestellt. Beleuchtungskörper und sonstiges Zubehör wurde von den Malern selbst angeschafft und montiert, das Plakat und die Kataloge nach eigenen Entwürfen angefertigt.

Was erwartet sich der Besucher von Bildern, die Anschauungs- und Ideenwelt eines Achtzehn- oder Neunzehnjährigen zeigen? — Wir befinden uns in einer schnellebigen Zeit. Entwicklungen, die früher Jahrzehnte bedurften, finden heute in einigen Jahren statt. Es ist die Zeit der Frühreifen, der Wunderkinder. Altklugheit, gepaart mit Pubertätserscheinungen, prägen das Gesicht dieser Jugend.

Die Bilder in der Galerie im Studententheater verraten einiges davon.

DA WUCHERN UND BLÜHEN die seltsamsten Formen und Landschaften, teilweise auseinanderfließend, teilweise eine geschlossene Form wahrend. Da quirlt es in phantastischen Farben, verschlingen sich Linien zu wirren Knäueln, um sich alsbald wieder zu einem geordneten Ganzen zu finden. Da wachsen Sonnen aus breiten Farnen, symbolhafte Traumgestalten verdichten sich zu einzigartigen Ausdrucksformen. Und — um der Ansicht über den Tod des Abstrakten neue Nahrung zu geben — surrealistische und phantastische Motive feiern Triumphe.

Es ist viel Unfertiges dabei, viel im Ansatz Steckengebliebenes, Unreifes und ein Suchen, das noch keine Richtung gefunden hat. Trotzdem wird man diesen Bildern eines zugestehen müssen: ein ernstliches Bemühen. Ein Bemühen, das sich in fast allen Formen der heutigen Kunst unter den ganz Jungen abzuzeichnen beginnt: abzuschließen mit dem Vergangenen und etwas absolut Neues zu schaffen.

Peter Patzak — knappe achtzehn Jahre alt — bringt dies in einem Bild, das als eines der besten gilt, deutlich zum Ausdruck: „Ich träume einen neuen Morgen“, aus einer dunklen, chaotischen Urlandschaft, aus zähem, sich darüberlegendem grün-braunem Farbton hebt sich der strahlende Kran2 einer jungen Sonne.

ÖLBILDER, AQUARELLE, Feder-und Bleistiftzeichnungen sind hier vertreten. In den Aquarellen Horst Müllers (geboren 1943) läßt sich der Einfluß Schieles nicht verleugnen; die Werke Hanns Krenns (geboren 1932) zeigen viel Surrealistisches. Begabt erscheint Georg Gückelhorn (geboren 1944); Bernd Stanzel (geboren 1944) zeigt hoffnungsvolle Ansätze, die Zukunft haben könnten —, die Bilder Helmut Katzmanns verraten Phantasie.

Sehr viel Persönliches bringt Peter Patzak, der jüngste unter den Malern und zugleich auch der Leiter der Ausstellung. Seine Bilder zeigen erstaunlich viel Einblick in das Wesen der Dinge. Themen sind ihm dabei der Mensch und die Technik, Bedeutung der Kunst in Gegenwart und Zukunft, Symbolhaftes und Hintergründiges. Er begann mit fünfzehn Jahren zu malen — zunächst als Anhänger des Expressionismus. Mit siebzehn Jahren begegnete er der Wiener Schule, deren phantastische Gedankensymbolik ihn zu einer neuen Betrachtungsweise anregte. Sein Lehrer und Vorbild ist Rudolf Hausner. Im Spätsommer dieses Jahres will er einige seiner Bilder in Mailand ausstellen — im Herbst in Berlin. Ein Bild wurde bereits in die USA verkauft.

Es liegt eine gewisse Gefahr in solch frühem Ruhm, ebenso wie in dem

Überspringen der eigenen Jugend. Es ist nicht immer vorteilhaft, Lorbeeren vor der Reife zu ernten, und manchen Begabten hat- dies an der Vollendung von etwas Größerem gehindert. Trotzdem kann es für den jungen Künstler einnehmen.

Bei Horst Müller (von Beruf Postbeamter), Bernd Stanzel und Georg Gückelhorn (beide Architekturstudenten im zweiten Semester) handelt es sich um Erstausstellungen. Diese zwei Studenten wollen jedoch während der Wiener Festwochen eine weitere, diesmal graphische, Ausstellung veranstalten.

Patzak und Katzmann können schon auf je eine Einzelausstellung zurückblicken, während Krenn, der als Ältester der Gruppe bereits zwei Jahre in Amerika verbrachte, seine Bilder in Philadelphia, New York und vor einigen Monaten in der Neuen Galerie in Linz ausstellte. Krenn scheint auch eine eigene Richtung einschlagen zu wollen und fühlt sich mit den Anhängern der Wiener Schule nicht identisch.

DIE „PHANTASTISCHE MALEREI“ entwickelt sich aus dem Surrealismus, zeigt viele Anklänge an diesen und wird als „letzter Gag“ in den Pariser Schulen gefeiert. Und da Wien als „östlichster Punkt des westlichen Kulturschaffens“ gilt und daher auf diesem Gebiet etwas nachzuhinken pflegt, scheint sie hier erst im Kommen zu sein.

Gefördert und vertreten wird „Phantastische Malerei“ von den Mitgliedern der Wiener Schule, deren Anwachsen erstaunlich ist und zu einer Hoffnung auf junge Talente berechtigt.

DAS ENTSTEHEN DER „WIENER SCHULE“ fällt in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. Damals bildeten der fünfzehnjährige Ernst Fuchs, der im Jahre 1929 geborene Anton Lehmden, Rudolf Hausner (geboren 1924) und Wolfgang Hutter (geboren 1929) eine Gemeinschaft gleichgesinnter Künstler. Sie stellten ihre Bilder in dem im Jahre 1946 gegründeten Art Club aus, den der Kritiker Johann Muschik

als „die Wieger der modernen Nachkriegskunst“ bezeichnete, und dem Prof. Gütersloh als Präsident vorstand. Im Jahre 1950 schloß sich diesen vier Malern noch der jetzt in Paris lebende Erich Brauer an.

Zwei Richtungen begannen sich in diesem Art Club abzuzeichnen: die schon erwähnten „Surrealisten“ und eine Gruppe abstrakter Maler, zu denen sich Mikl, Hundertwasser, Hol-lega, Avramaidis und Hoflehner zählten. Die Aufmerksamkeit der Kritik aber, und damit eines breiteren Publikums, begann sich bald mehr und mehr mit der Gruppe um Fuchs zu beschäftigen. Und als im Jahre 1950 die Illegalität des Art-Clubs aufgehoben wurde, waren die „Wiener Surrealisten“ allgemein anerkannt.

Unabhängig von diesen und trotzdem in dieselbe Richtung tendierend, arbeiteten noch einige junge Maler in Wien, die sich bald an die erste Gruppe anschlössen und als die „zweite Welle“ bezeichnet wurden. Da es sich dabei hauptsächlich um Graphiker handelte, wurde sie auch die „graphische Welle“ genannt. Dazu gehörten vor allem Helmut Kies (geboren 1933), Akademieschüler bei Unger und Herbert, Richard Matouschek, Raimund Ferra und Elsa Olivia Urbach, eine Schülerin von Prof. Gütersloh. Mit diesem Zusammenschluß erfolgte eine Stärkung der Stammgruppe; es wurde zum ersten Male die Bezeichnung „Wiener Schule“ geprägt und eine neue Richtung begann sich in Wiens Malerkreisen abzuzeichnen.

1961 entstand die sogenannte „dritte Welle“ mit Pilcz, Klitsch, Klemmer und Fiala.

*

DIE „VIERTE WELLE“ zeigt ihre Werke nun in der Galerie in der Biberstraße. Mit ihr beginnt die „phantastische Malerei“ nun auch in Wien unübersehbar in Erscheinung zu treten.

VON AUSSENSTEHENDEN wird die „vierte Welle“ oft als „Surrealismus“ bezeichnet. Nicht jedoch von ihren Anhängern, die darüber eigene — und mit allem Nachdruck betonte — Ansichten vertreten. So Helmut Kies:

In der Galerie des Sludenfenrheaiers

„Wir unterscheiden uns in wesentlichen Punkten von den Malern des orthodoxen Surrealismus.“ Dieser liebt das Gestaltlose, Unbewußte.

Duplessis definiert ihn folgendermaßen: „Der Surrealismus läßt sich als eine Form jenes Elans ansehen, der zu allen Zeiten und in allen Ländern

Äusnahmewesen beseelte, die sich ihrer Schranken entledigen wollten.“ Somit ist Surrealismus rein individuell und für einen Außenstehenden meist zusammenhangslos. Nur der Maler selbst vermag in diesen chaotischen Landschaften seine Ideenwelt zu erkennen.

Die „echten“ Surrealisten wollen gar keine Kunst vermitteln; sie lehnen sogar jede Art von Kunst ab. Dagegen erhebt nun die Wiener Schule Einspruch. „Wir haben großes Interesse, Kunst zu geben.“ Und während die Surrealisten weder an Maß- und Formproblemen, noch an ästhetischen Farbkompositionen interessiert waren, sucht die Wiener Schule Ordnung und Harmonie.

Handwerkliches Können, Brillanz und durchgearbeitete Komposition ist für sie charakteristisch, wogegen der Surrealismus auf das Handwerkliche, speziell das Kompositionelle, wenig Wert legt. Auch wird diesem manchmal eine gewisse Engstirnigkeit nachgesagt: „Sie standen wie vor einem Sehschlitz und blickten auf ein kleines, abgegrenztes Gebiet, nicht nach rechts und links, sondern nur stur geradeaus“, meint dazu Hausner.

Die „Wiener Schule“ jedoch versucht, vor allem aufgeschlossen zu sein, um nicht eintönig zu wirken. Ihre Umwelt zu tolerieren und zu verarbeiten.

Nach diesen Richtlinien arbeiten die Jungen Maler. Vorläufig! Später werden sie vielleicht getrennte Wege gehen, oder einige von ihnen werden die Malerei nur noch als „Nebenbei-Hobby“ betreiben.

Manche der Namen jedoch, die heute noch klein und unscheinbar im Katalog vermerkt sind, werden vielleicht in dicken, fetten Lettern die Seiten füllen.

*

MAN KANN DIE BILDER in der Biberstraße sehen wie man will. Man kann sie verurteilen und ablehnen. Man kann in ihnen Versuche erkennen, sich mit dem heutigen Geschehen auseinanderzusetzen und man kann von ihnen begeistert sein. Sicher ist, daß sich hier Neues zu regen beginnt, neue Perspektiven, neue Anschauungsbereiche; ein Schritt ins Morgen.

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