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Fisch im Vogelkäfig

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Es begann vor 25 Jahren mit der Gründung des österreichischen Art-Clubs. Dort lernte ich unter anderen Fuchs, Hutter, Edgar Jene“ kennen. Es ergab sich daher bald, daß unsere künstlerische Intentionen nahe beieinander lagen und sich deutlich von den anderen unterschieden. Kurze Zeit darauf trat Fritz Jansch-ka in unseren Kreis. In der Folge sahen wir uns häufig bei den mittlerweilen legendär gewordenen Jene-Abenden, wo wir auch sehr bald merken mußten, daß die Jeneische Attraktion für uns weniger in seiner eigenen Malerei lag als in der Information, die wir von ihm selbst und vor allem durch seine Bibliothek bezogen. Es gab lebhafte Debatte mit Jene, der des öftern versuchte, seinen Lehrerfinger zu erheben etwa an dem Beispiel: „Realismus ist, wenn sich ein Vogel im Vogelkäfig und ein Fisch im Aquarium befindet — Surrealismus ist aber dann, wenn sich der Vogel im Aquarium und der Fisoh im Vogelkäfig befindet.“

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Gegen dieses Beispiel bestanden damals schon tiefe Bedenken unsererseits. Aber in der Cahiers d'arts der dreißiger Jahre sahen wir zum erstenmal Reproduktionen surrealistischer Malerei, und Max Emsts „La femme cent tetes“ und „Le lion de Beifort“ beeindruckten uns zutiefst. Dann entdeckte Ernst Fuchs in der Andersenklasse unseren Freund Anton Lehmden, der der Fünfte im Bunde wurde, und mit Erich Brauer, der eine auffallend rasche malerische Entwicklung nahm, war der Sechste gefunden. Nach und nach hörte das Interesse an den Jeneischen Empfängen auf, und die Arbeitsgemeinschaft zwischen uns sechsen wurde intensiver. Sehr rasch entwickelte jeder von uns sein besonderes Charakteristikum. 1950 ging Janschka nach Amerika. Wir beneideten ihn damals sehr, schien es doch so zu sein, als hätte er das große Los gezogen, während wir fünf in einer recht schwierigen Welt zurückblieben. Die allgemeine ästhetische Entwicklung in unserer Umgebung ging in Richtung abstrakter bzw. gegenstandsloser Kunst. Viktor Brauner, Surrealist der ersten Stunde in der Pariser Gruppe, behauptete mir gegenüber, daß nun in Mitteleuropa die „Marshallplan-kunft“ ausgebrochen sei, die sich durch ihre Gegenstandslosigkeit sehr deutlich von der vorhergehenden Nazikunst und der gleichzeitigen sowjetischen Kunst, dem sozialistischen Realismus, unterscheide und damit ein scheinbar unmißverständliches Bekenntnis zum sogenannten „Freien Westen“ liefere und aus eben diesem Grunde in Deutschland und in Österreich Staatskunst werden dürfte.

Man kann sich vorstellen, daß es gewiß einer großen Standhaftigkeit und Überzeugung bedurfte, wenn die kleine Wiener Gruppe von fünf Malern zwölf Jahre lang, gegen den Strom schwimmend, durchhalten konnte.

In den endfünfziger Jahren lockerten sich unsere Schwierigkeiten zusehends, nach und nach wurden von der öffentlichen Hand Bilder erworben, dann entschlossen sich auch private Sammler zu Ankäufen, und im Dezember 1959 kam es dann zur ersten großen Gruppenausstellung im Oberen Belvedere. Im Anschluß an diese Demonstration fanden sich Künstler, die, von unserer Konzeption ausgehend — es entstand der Begriff „Wiener Schule“ —, ihre Arbeit entwickelten. Immer deutlicher wurde, daß wir zu Ergebnissen kamen, mit denen wir in surrealistischen Manifesten nicht mehr unterzubringen waren. Auch seitens der Kunsttheoretiker entstand die Notwendigkeit, diese Unterscheidung zu formulieren, so daß Prof. Johann Muschik mit seiner Findung des Begriffs „Phantastischer Realismus“ auszudrücken versuchte, daß wohl eine Zweipoligkeit für unsere Arbeit charakteristisch ist, nicht aber die prinzipielle Alogik. Während die Surrealisten ein ausschließliches Interesse an den Phänomen der Unbewußten haben, ist in unserer Malerei die Mitarbeit de Bewußtseins unverkennbar.

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Während die Surrealisten aus der Gesamtpersönlichkeitsstruktur die außerrationellen Komponenten herauspräparierten, lag unser Interesse im Nachweis der gleichzeitigen Existenz beider Dimensionen, im Aulzeigen der Simultaneität bewußter und unbewußter Prozesse. Es erschien uns immer wichtiger, die Koexistenz beider Mechanismen zu beweisen. Je länger wir uns mit dieser Arbelt beschäftigten, um so weiter distanzierten wir uns von der Vorstellung eines isolierten Unbewußt-ten, immer wichtiger wurde für uns jene Art der Balance, die durch gleichzeitige Anerkennung sowohl triebhafter als auch rationeller Prozesse auf die Ganzheit humaner Integration zusteuert.

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