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„Avantgardistische“ Malerei

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Die Agathon-Galerie auf dem Opernring gibt derzeit einigen Malern Unterkunft, die sich dem Surrealismus französischer oder italienischer Provenienz verpflichtet fühlen. Diese kleine Ausstellung bietet ein instruktives und von den Ausstellern kaum beabsichtigtes Bild der Lage, in der sich heute die epigonalen Vertreter einer Kunstrichtung befinden, die vor fünfzehn Jahren ihren Höhepunkt erreicht hatte. Da in der Welt des Surrealismus, wo das Sinnlose über den Sinn und die absolute Unordnung über die Ordnung triumphieren, keine Entwicklung möglich ist, sieht sich der Surrealist — wenn er nicht, wie Franz Rogier, gänzlich von 'einem Vorbild, etwa Salvador Dali, abhängig sein will — gezwungen, der Realität Zugeständnisse nicht ztT versagen. So zwingt etwa Edgar J e n 4 der Wortführer der Gruppe, seine Bilder in den Rahmen des gerade noch Ausdeutbaren und versucht sie dem Beschauer mit Hilfe farbiger Reizwirkungen eingängig zu machen. Rudolf P o i n t n e r hingegen wählt den Ausweg ins Dekorative, indem er seine surrealistisch zersplitterten Figuren in farbig-ornamentale Flächen zerlegt. Arnulf Neuwirth, der letzte Angehörige dieses Gespanns, das den zerfallenden Karren des Surrealismus in vier verschiedene Richtungen zieht, entfernt sich am weitesten von dessen ursprünglichem Anliegen, er rückt realistische Darstellungen in den Vor? dergrund, interpretiert sie aber symbolistisch durch Attribute aus dem surrealistischen Inventar.

Vor zehn Jak en hätte die Ausstellung Aufsehen und il.re Bilder heftige Diskussionen erregt. Neben den schlimmeren Sinnlosigkeiten und eindrücklidieren Unmenschlichkeiten der Kriegs- und Nachkriegszeit hat Surrealismus dieser Art seine „avantgardistischen" Funktionen verloren. Daran ändert auch der magere Versuch nichts, durch die Ausstattung des Ausstellungsraumes mit Requisiten aus einer Grottenbahn den „Bürger“ vor den Kopf zu stoßen. Henkerräder und freischwebende Arme sind nicht mehr geeignete Mittel, um Ärger oder Verblüffung hervorzurufen. Der Lohn solcher Scherze ist höchstens ironisches Lächeln.

Die zweite und jüngere Gruppe der Wiener Surrealisten bildet im Rahmen des A r t - K1 u b s, der in der Zedlitzgasse ausstellt, eine geschlossene Enklave, die schon äußerlich durch die Gleichartigkeit und Perfektionierung ihrer technischen Mittel einheitlich wirkt. Sie greift im Gegensatz ziu ihren Rivalen in der Agathon-Galerie in das Geschehen der Gegenwart ein, indem sie die Auflösung der realen Ordnung, die sich in ihren Arbeiten spiegelt, in Beziehung zu der Trümmerwelt des Krieges setzt und ihre Bilder mit aktuelle Akzenten versieht, wie dies etwa in der derli Andenken Gandhis gewidmeten Komposition Ernst Fuchs’ — des technisch Begabtesten dieser Gemeinschaft — zum Ausdruck kommt. Indessen scheint es, als ob diesen jungen Künstlern die Freude an der Zerstörung wichtiger wäre, als die Schilderung oder gar Überwindung der Zerstörungen selbst. Anders ist es nicht zu erklären, daß man mit Weltuntergangsthemen unbekümmerte Spiele treibt. Der Offenherzigste des Kreises, Fritz Janschka, nähert sich bedenklich jener Grenze, an der das noch Erlaubte aufhört und die Verkehrtheiten des Satanistischen beginnen. Hier macht Anton Lehmden halt, dessen kleine Landschaften zeigen, daß sich selbst im Surrealen noch liebenswürdige Heiterkeit durchzusetzen vermag, welche Bemerkungen auch auf Erich Brauer anzuwenden sind. In gewissem Abstand zu diesem geschlossenen Kreis steht die technisierende Kunst Kurt Steinwendners, in dessen Bildern die durch den Surrealismus zerstörten organischen Verbindungen durch mechanische Konstruktionen ersetzt werden sollen. Sie gleichen Konstruktionsskizzen einer lemurenhaften Ingenieurkunst, die auf Umwegen die Grenze zu überschreiten droht, an die Fritz Janschka streift.

Rudolf Hoflehners farbenschirp- mernde Gouache-Blätter kann man als Übergänge zwischen der Kunst der Surrealisten und den Bildern einer sich von diesen deutlich unterscheidenden, wenn auch nicht so einheitlichen Gruppe von Künstlern betrachten, die sich nicht der Zerstörung der Realität verschrieben hat, sondern um die

Steigerung des Bildes zum Sinnbild bemüht ist; sie versucht, die Wechselbeziehungen zwischen Farbe, Form und Bildinhalt sich dienstbar zu machen. Damit wird ein — manchmal bewußter — Vorstoß in das Gebiet magischer Beziehungen gewagt, der in einigen Fällen auch gewisse Erfolge zeitigt. So vermag Hans F r o n i u s — dessen Ölbilder die Intensität seiner Graphiken freilich nicht wahren — seiner „Alten Mühle“ durch die Zusammensetzung grell beleuchteter und schiefwinkeliger, dunkler Flächen im Verein mit kalten Grautönen jenen bedrohlich-melancholischen Charakter zu geben, für den nach Auffassung der Alten die Mühle als Symbol galt. Der Zusammenklang von Form und Farbe wirkt deutlich genug, um die Beifügung erklärender Untertitel oder Attribute überflüssig zu machen. Ähnliches wäre von dem Selbstbildnis und dem Kinderbild Pepino Wieterniks zu sagen, der im Kreise seiner Ausstellungskollegen wohl am stärksten der Farbe verpflichtet ist und dessen Bilder trotz einer gewissen Unbekümmertheit in der Wahl der Mittel zu den erfreulichsten und vielversprechendsten der ganzen Ausstellung gehören. Die Arbeiten Alfred Wicken- b u r g s und Slavi S o u c e k s zählen gleichfalls zu dieser Gruppe, die sich erfreulich von der surrealistischen Enklave des Art- Klubs abhebt. Sie verziditet auf seelenlose technische Perfektion ebenso, wie auf das billige Mittel außerkünstlerischer Sensation und strebt mit handwerklicher Schlichtheit künstlerische Vollendung an.

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