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Talente, Begabungen und . . .

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Jungen Menschen eine Bresche in die Mauer von Interesselosigkeit und Ablehnung zu schlagen, ist immer eine undankbare Aufgabe. „Stimmen der Gegenwart“ eine Tribüne freier Rede verschafft zu haben, ist deshalb ohne Zweifel eine Leistung, die Anerkennung verdient, gleichgültig, wer das Verdienst für sich buchen kann und welche Kritik auch an einzelnen dieser Stimmen geübt werden muß. Proben aus dem Schaffen junger österreichischer Literaten, Lyriker und Graphiker neben Essays über die Situation der „Jungen“ enthält der vorliegende Band. Für den finanziellen Teil zeichnet der Verlag Jugend und Volk und der Verlag Jungbrunnen verantwortlich, aber auch die Unterstützung der Arbeiterbank, der Konsumgenossenschaften und sogar der städtischen Leichenbestattung wurde nicht verschmäht. Wer glaubt, daß durch diese — im Zeichen des Proporzes — als „sozialistisch“ eingestufte Mäzene sich Rückschlüsse auf den Inhalt ergeben, ist angenehm überrascht. Mit Genugtuung 6ei bemerkt, daß diese Einengung an vielen Stellen erfreulich durchbrochen ist. Alle Vorbehalte von der weltanschaulichen und politischen Seite kommen über die Tatsache nicht hinweg, daß die Mehrheit der mit dem Stempel links bezeichneten jungen Autoren alles andere als Sozialisten sind. Man kann es ihnen aber schwer verargen, wenn 6ie in Ermangelung anderer Angebote von sozialistischen Vorschlägen Gebrauch machen. Besser als jede Kritik ist hier größere Aufgeschlossenheit und ein stärkeres Interesse innerhalb der eigenen Reihen.

Nach diesem Seitenblick jetzt zu dem, was eigentlich zur Diskussion 6teht: zum Inhalt. Neben ansprechenden Zeugnissen der Gedankenwelt junger Menschen, durchzittert von den Erlebnissen jüngster Vergangenheit und der Gegenwart, finden sich auch einige Stilübungen, die eine kritischere Auswahl lieber ausgeschieden hätte. Proben, mutig im Inhalt und unkonventionell der Form nach, stehen neben jenen, denen noch deutlich die Eierschalen eines gewollten Maturantenavant-gardismus anhaften, der das Vorwärtsdrängen der echten Talente immer wieder diskreditiert. Interessant, daß gerade die Jahrgänge 1918 ois 1926, in deren Reihen der Krieg die bitterste Ernte gehalten hat, zumeist schlicht und ungekünstelt und deshalb auch überzeugend von dem berichten, was ihre Augen sehen mußten. Die „Jüngsten der Jungen“ hingegen, die Jahrgänge 1926 bis 1931, denen es gegönnt war, den Krieg nur an seinen Randzonen zu erleben, fühlen sich dagegen oft bemüßigt, wild und aufgeregt um sich zu schlagen. Andreas Okopenko6 Gedicht „Konversation“ ist für diesen noch nicht ausgegorenen Wein bezeichnend, Ganz zu schweigen von den Federstrichen des surrealistischen Wunderkindes Ernst Fuchs, da6 die Kunstkritiker schon lange aufgehört haben, ernst zu nehmen und dessen Zeichnungen in der Georges-Grosz-Manier man gerne in diesem Band vermißt hätte. Uber Herbert Eisenreich, von dem eigentümlich schwermütige, aber packende Er-ählungen bekannt sind, ist man diesmal ehrlich betrübt. Mors und Sexus allein und nur allein, und das 20 Seiten hindurch, das ist doch etwas zu viel und gleichzeitig zu wenig. Wie anders Bertram Alfred E g g e r, der ein ähnliches „gewagtes“ Thema, „An einen alten Festungswall in Paris“, mit einigen knappen Sätzen behandelt. Uberhaupt. Bertram Alfred E g g e r sowie Gerhard Fritschs Lyrik, in der wir uns wieder der Fratze des Krieges konfrontiert sehen, sind 6ehr menschlich und wahr. So war es damals. Ganz anders wieder Franz Kießling. In „Wenn du gehst“ kommt die innere Welt zu Wort. Christine B u s t a, der Stolz der jungen Lyrik, erscheint diesmal durch eine ungünstige Auswahl leider nicht überzeugend vertreten. Kühn der Gedanke zu jenem „Gebet einer Sünderin zur heiligen Maria Magdalena“ Allein seine Ausführung verliert sich zuletzt in schöne Worte. Hier sollte die Feile noch einmal angesetzt werden.

Der Vorwurf wäre es wert. Von der Prosa gefallen am besten die Probe Ilse A i c h i n-gere und Anton Hegners Studie „Der Spiegel“, den er einem jungen, haltlosen Schauspieleleven, der sich als entgleiste Nachkriegsexistenz vor den Schranken des Gerichts sieht, vorhält. Auch Milo D o r will genannt werden. Seine „Desparados in Prag“ sollen als das aufgenommen werden, was sie sind. Selbstkritik in Form der Selbstkarikatur. Jeanie Ebner mag begabt sein, man würde sich aber freuen, wenn diese Begabung an einem anderen Stoff als an dem der Wedekind nachgefühlten morbiden Erzählung „Das Bett* vorgestellt würde. Das einzige dramatische Fragment des Bandes, Heinrich C a r-vins „Großmutter Himmelreich“ erinnert an manche der vor kurzem bekanntgewordenen Einakter de6 jungen Wildgans, Diese wurden allerdings so lange in der Lade gelassen, bis Wildgans, durch anderes berühmt, gestorben war.

Die jungen Graphiker, die das Buch mit Bildschmuck versehen haben, bedürfen mit der schon ausgesprochenen Einschränkung kaum einer Kritik. Paul Flora, Kurt Mol-d o_v a n und Kurt A b s o 1 o n haben in zahlreichen Ausstellungen des In- und Auslandes schon mehr als eine Probe ihres Könnens gegeben.

So schließt die Parade musischer Talente, Begabungen und — sagen wir es frei heraus — auch soldier, die es 6ein möchten. Manche Namen fehlen, andere wieder würde man gerne missen. Die beste Kritik aber wäre die Herausgabe weiterer Anthologien. Nur aus einer Fülle von Wortmeldungen sind die stärksten Stimmen der Gegenwart herauszuhören. Dr. Kurt S k a 1 n i k

Der Schrei der Mütter. Von M. Thompson. Ullstein-Verlag, Wien 1950. 484 Seiten mit 6 Bildtafeln. S 63.—.

Es ist eine besonders dankenswerte Aufgabe, der Nachwelt die Persönlichkeit eines ihrer Großen mit seinen Hoffnungen, seinen Enttäuschungen, seinen Kämpfen und seinem Sieg wieder lebendig werden zu lassen. Dieser Aufgabe ist M. Thompson in vollendeter

Weise gerecht geworden. Mit unerhörtei Einfühlung stellt er uns das Werden des Menschen und Arztes Semmelweis vor Augen, den rastlosen Erforscher des Kindbettfiebers, seine erste erschütternde Erkenntnis der wahren Krankheitsursache, seinen ohnmächtigen Kampf gegen Indolenz, Neid und Intrige, sein verzweifeltes Hoffen auf endliche Anerkennung seiner epochalen Entdeckung in der medizinischen Welt und damit der Rettung der Mütter in den Gebärkliniken ganz Europas Das Buch wirkt zutiefst aufwühlend, nicht nur weil es den Leidensweg und das gewaltige Ringen eines Berufenen und sein bitteres Ende beschreibt, sondern uns zugleich auch in eine heute nicht mehr faßbare Epoche versetzt, in der man sich eher achselzuckend mit dem Tod von Legionen junger Mütter abfand, als daß man dem gesellschaftlichen Außenseiter aus Ungarn die Möglichkeit gab, sein rettendes Wissen auf akademischem Boden zu lehren. Erst fünfundzwanzig Jahre nach seinem qualvollen Tod in einer Irren-hauszelle in Wien begann seine Lehre von der aseptischen Medizin rettende Wirklichkeit zu werden. Still und dankbar legt man dieses Buch aus der Hand, das wertvoller ist als ein Monument aus fühllosem Stein.

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