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DER MALER HERBERT BOECKL

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Am 3. Juni 1894 wird Herbert Boeckl als Sohn eines Ingenieurs in Klagenfurt geboren. Nach dem Besuch des Realgymnasiums bewirbt er sich um die Aufnahme an die Wiener Akademie der bildenden Künste, man lehnt ihn aber ab. Fasziniert von den Bauten Otto Wagners und dem revolutionären, klaren und klassischen Geiste Adolf Loos', dessen Kreis er eine Zeitlang als Privatschüler angehört, beschließt er nun, an der Technischen Hochschule das Architekturstudium zu beginnea Arbeiten aus dieser Zeit zeigen ihn als einen äußerst begabten, phantasievollen und vor allem „modern“ empfindenden Studenten. Der erste Weltkrieg unterbricht dieses Studium, das neben andauernden malerischen Versuchen einherging. Auch an der italienischen Front, an der sich Herbert Boeckl in mehreren Schlachten bewährt, wird gemalt. Die eigentliche und entscheidende Arbeit setzt aber erst, und dann mit vehementer Kraft, nach dem Zusammenbruch der Monarchie ein, in den Jahren 1918/19, in denen bereits entscheidende Zeichnungen und wesentliche Bilder entstehen.

Die künstlerische Berührung des Autodidakten Boeckl mit dem Werk seiner österreichischen Zeitgenossen ist dabei flüchtig und schwach. Schon ehe er noch in einer ungeheuren Anstrengung, in einem genialischen Wurf gleich mit einem seiner Hauptwerke als unverwechselbare Persönlichkeit in Erscheinung tritt, entstehen Zeichnungen, die bestürzend neu im österreichischem Räume sind, weil sie den Anschluß an das europäische Kunstgeschehen einerseits und die große Tradition anderseits mit nachtwandlerischer Sicherheit finden. In diesen Kohlezeichnungen — Akten und Landschaft — offenbart sich mit einem Schlage die ganze kraftvolle Sensibilität des Künstlers und der treffsichere Instinkt, mit dem er die Probleme von Form und Raum erkennt und zu bewältigen sucht. Hier ist nicht die ornamentale Verspieltheit der Linie wie bei Schiele zu finden und nicht die in der Fläche bleibende Melodik Klimts; in immer wieder erneuerten Formansätzen, die an die späten Zeichnungen Cezannes erinnern, geht das Bemühen des Künstlers bereits darum, die plastische Gestalt in ihrer räumlichen Erscheinung, in dem sie umgebenden Licht und Raum deutlich zu machen. Etwas Visionäres haftet diesen Zeichnungen an: darin, wie die Formen aus einem durchlichteten Dunkel auftauchen, in den Raum wieder zu verfließen scheinen und in dem Glanz, mit dem das Licht sie übergießt und erfüllt. Ohne das Körperhafte zu betonen, suggerieren sie Körper-haftigkeit, und bei allem Schwebenden und aller Transparenz, die sie auszeichnet, besitzen sie durch den Rhythmus der Linien, durch die Setzung von Druckern und Wischern Tektonik und Statik.

Die Landschaftszeichnungen von 1913 sind vollends eine Überraschung. Ohne das Werk Kandinskys zu kennen, geht hier Herbert Boeckl einen ähnliehen Weg wie der Russe in seinen „Improvisationen“ des Jahres 1910. Die elementare Rhythmik der Landschaft wird bis zur Gegenstandslosigkeit verwandelt und auf dem Papier umgesetzt In ein beinahe freies Spiel von Linien und Tönen. Doch scheint, dessen Musikalität noch größer zu sein als die, die in den ersten Versuchen des 1866 geborenen Kandinsky zutage tritt. Damit nimmt Herbert Boeckl Ergebnisse vorweg, die in seinem Spätwerk fast vierizg Jahre später gereift und verändert in Erscheinung treten werden und damit auf einer anderen Ebene einen Kreis schließen, der bis zu seinen Anfängen zurückführt.

Das erste große Ölbild, das in dieser Zeit entsteht — 1920 —, ist bereits eines seiner Hauptwerke, in dem sich die aufgespeicherten Kräfte seiner Begabung mit elementarer Kraft entladen. Es ist ein Bild, das den Maler und seine Frau als „Paar am Waldrand“ darstellt, und die bestürzende Leistung eines Vierundzwanzig jährigen, der sich damit — obwohl es vorerst niemand zur Kenntnis nimmt — sofort in das Konzert der zeitgenössischen europäischen Kunst eingliedert.

Sein nüchterner Expressionismus, der sich einem objektiven Gesetz — dem tektonischen Bildgefüge von Raum und Form — unterzuordnen bestrebt ist, und seine lyrische Komponente, die nach einem klassischen Maß sucht, hebt es ebenso von den französischen „Fauvisten“, der Malerei eines Rouault oder Soutine, wie vom deutschen Expressionismus ab. Anders als die Bilder der letzteren und mehr als das Werk des ersteren, steht es in einer Tradition, die auf der Suche nach Gesetzlichkeit und Ordnung das innere und äußere Bild der Wirklichkeit dem Bildbau und der Gestaltung unterwirft und damit Anschluß an die Klassik anstrebt. Schon so früh — und ohne es zu wissen — gelangt Herbert Boeckl mit diesem Bild in die Nähe des Frühwerkes von Cezanne, dessen Gestalt ihn später als geistiges Vorbild zur Auseinandersetzung mit seinem Werk rufen sollte.

Auch die anderen in dieser Zeit entstehenden Bilder sind überraschende und großartige Leistungen. Die „Tote Krähe“ und der „Eichelhäher“ nehmen viel später einsetzende Möglichkeiten der Malerei vorweg und legen sie ad acta. Unter dem Einfluß von Paris und vor allem der klassischen antiken Landschaft Siziliens, das der Künstler im Jahre 1924 aufsucht, entsteht im nächsten Zeitabschnitt das immer leidenschaftlichere Bemühen nach einer immer stärker werdenden Verfestigung der Form und der Klärung des Räumlichen, die später mit einer Aufhellung der Farbe Hand in Hand zu gehen. Das Chthonische und Elementare, das das Frühwerk auszeichnet, soll durch immer stärkere Bewußtheit in den Griff bekommen und gebändigt werden. Diese Periode, in der das Expressive immer mehr in die zeichnerische Gestaltung der Form und dann in die glühend übersteigerte Farbe zurückgedrängt wird und schließlich in die allgemeine Emotion, wird zum Bindeglied zu jenen neueren Arbeiten, die eine radikale Erweiterung der künstlerischen und malerischen Vorstellungen bringen.

Der Beginn dieses Abschnittes liegt etwa im Jahre 1946, das ein vollkommen neues Konzept des Bildraumes und der Bedeutung der malerischen Form einleitet. Geistig ist nun die folgende Periode in demselben Sinn der klassischen westlichen Kunst verbunden, in dem es der Kubismus war und ist. Und tatsächlich stammt auch die Raumvorstellung Herbert Boeckls von den frühen kubistischen Untersuchungen Picassos und Juan Gris' ab oder ist ihnen zumindest verwandt; weist aber nicht die klaren, rationalen Komponenten dieser Maler auf. Sie ist fragiler und zarter, beruht mehr auf seelisch-lyrischer Emotion, den inneren subjektiven, vom Maler erfühlten Beziehungen zwischen Form und Erscheinungsbild. Die malerische Form wird persönliche, jedoch geordnete Interpretation des Objekts, und der Künstler versucht in ihr die Spannung zwischen Subjekt und Objekt aufzuheben. Die Essenz dieser Interpretation der Formenwelt ist die Erkenntnis von den Verwandlungen, dem Wechsel, den Metamorphosen, die allen Dingen innewohnen, und der Glaube, daß diese Verwandlungen den Sinn des Lebens darstellen.

Im Grunde ist dies das große Thema der neueren Arbeiten Herbert Boeckls und seine Bilder müssen in diesem Sinne verstanden werden.

Auf den ersten Blick mögen einige seiner neuen Bilder entweder ungegenständlich oder als eine Synthese gegenständlicher und ungegenständlicher Malerei erscheinen. Sie sind weder das eine noch das andere. Nach dem Willen des Malers tragen die Farbformen sowohl räumliche wie geistige Bedeutung in sich. Sie haben nicht nur dekorative, sondern auch spirituelle Funktion. Der „Dominikaner“ zum Beispiel in der Österreichischen Galerie des Belvedere ist der Versuch einer Verwandlung räumlicher Erscheinung und in-terpretativer Erkenntnis durch die emotionale und tektonische Festlegung dieser Erkenntnisse mit Farbe und Form. Gerade im Antlitz des „Dominikaners“ ist diese persönliche Variante Boeckls für die neue multiplane Perspektive ebenso erkennbar wie etwa im „Erzberg“, einer Vogelschau dieses Eisenberges, der, vom Auge des Adlers erfaßt, sich in den verschiedenen darüber hinwegstreifenden Blickwinkeln aufzufächern scheint und doch in ein Bildganzes gefaßt wird.

Im großen „Tryptichon“ ist die Metamorphose zum eigentlichen Darstellungsgegenstand geworden, und im großen Freskenwerk der Kapelle von Seckau wird mit diesen neuen künstlerischen Mitteln eine so revolutionäre und empfundene Darstellung des Heilsgeschehens gegeben, daß sie mit der herkömmlichen Ikonographie bricht und dabei neue Möglichkeiten der sakralen Kunst aufreißt.

Das große Lebenswerk Herbert Boeckls, das in sich geschlossen in seiner Vollendung wieder auf die Anfänge hinweist, greift auf einer neuen Ebene weit in die österreichische Tradition zurück. Auf dem Boden der neuen Malerei stehend, einer neuen Malerei, die den eigenen erfühlten, erahnten und erlebten Ansätzen entspricht und die der Künstler sich in immer wieder neuen Ansätzen, im Ringen mit der Natur und mit ihrer Verwandlung sich selbst eroberte und dauernd neu erobert, knüpft es die Verbindung zu jener Epoche, in der sich gewisse Wesenszüge unserer Landschaft in der Malerei noch reiner ausdrückten — zur Kunst der Gotik, die hier gegen den deutschen Raum eine spezielle Grazie und Poesie, einen eigenartigen Farbklang von Verhaltenheit und Traum besaß, auch eine eigentümliche Wildheit, die der Anmut gepaart war. — Anders als jene Maler, bei denen die Residuen des Barocks noch nachwirkten, öffnet Boeckl auch damit den Weg zu tieferen Quellen und erschließt so die Möglichkeiten, die vielleicht einer Besinnung gleichkommen mögen. — Darüber hinaus stellt er der seit dem vorigen Jahrhundert nach dem Norden gerichteten Achse österreichischer Kunst wieder den Ansatz einer Verbindung her, die nach Hunderten von Jahren wieder zum Westen vordringt und deren Traum jene geistige Gestalt ist, die einst als Wirkendes, Europäisches, zwar nicht in die österreichische Malerei einfloß, aber den Hintergrund ihrer Kulturlandschaft bildete.

Nicht umsonst haben späte Reisen den Künstler nach Spanien, Griechenland und Ägypten geführt. Immer wieder ging und geht er jenen weit und tief reichenden Fäden nach, die das engmaschige Netz bilden, dem unsere Kultur, das Bewußtsein und die Tradition des Abendlandes entstammen. Sie aufzuspüren, aufzuzeigen und immer wieder neu in lebendiger Anschaulichkeit in einem lebendigen Werk, seinem Lebenswerk, wirksam zu machen, ist Herbert Boeckl in stets sich erneuernden kraftvollen Synthesen gelungen. Seine Meisterwerke leben aus jenem geheimnisvollen Leben, das nur großen Werken der Kunst zu eigen ist. Allein darum werden sie bleiben und dauern.

Die Reproduktion des nebenstehenden Bildes wurde mit Genehmigung des Verlages Anton Schroll & Co. aus der im Herbst erscheinenden Boeckl-Monographis von Claus Pack entnommen

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