„Der wirklich bleibende Mensch“

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Das Untere Belvedere in Wien zeigt eine Retrospektive des österreichischen Malers Herbert Boeckl (1894–1966). In den 1920er Jahren avancierte Boeckl zu einem der führenden modernen Maler in Wien, nach dem Zweiten Weltkrieg beeinflusste der Kubismus seine Malerei.

In der Engelskapelle der Benediktinerabtei im steirischen Seckau befinden sich Fresken zur Apokalypse des Johannes, die nicht nur einem um die zweitausend Jahre alten Text eine bildnerische Gestalt geben, sondern gleichzeitig auch wie die Zusammenfassung der Endzeiten wirken, die das vorige Jahrhundert über sich ergehen lassen musste. Folgerichtig bilden sie auch den Abschluss der großen Retrospektive, die Herbert Boeckl, dem Schöpfer dieser Fresken, im Unteren Belvedere gewidmet ist.

Wer mit den Lebensdaten „1894–1966“ aufwarten kann, hantelt sich in der österreichischen Geschichte über weite Strecken von einer Katastrophe zur nächsten weiter, wenn man bei den politischen Aspekten anknüpft. So ist eine homogene Entwicklung im vielschichtigen Werk von Herbert Boeckl während des Ersten Weltkriegs durch den Einsatz als Soldat zumindest gehemmt, die Zeit während der Naziherrschaft bedeutet für ihn innere Emigration, seine Meisterklasse an der Akademie der bildenden Künste in Wien gab er auf und übernahm den Abendakt, weil er dies als gerade noch zumutbar ansah. Und trotzdem scheinen diese beiden weltgeschichtlichen Zäsuren für Boeckl mehr Ansporn denn Resignation gebracht zu haben.

Kein Bruch mit der Vorgängergeneration

Im Übergang von der traditionellen Stimmungsmalerei aus den Künstlerkreisen seiner Kärntner Heimat im 19. Jahrhundert ist sein Stil in den frühen Jahren von der Wiener Secession geprägt. Gegen Kriegsende finden Elemente aus dem Expressionismus eines Oskar Kokoschka und eines Egon Schiele Eingang in Boeckls Arbeitsweise. Zweiterer spricht dem Autodidakten aus Kärnten auch jene Begabung zu, die für Boeckl zu einem Vertrag mit dem wichtigen Kunsthändler Gustav Nebehay führte. In einer Zeit, in der viele Künstlerkollegen einen radikalen Bruch mit der Kunst der Vorgängergeneration forderten, weil deren Ideale die Abscheulichkeiten des Ersten Weltkrieges mitheraufbeschworen hatten, plädierte Boeckl für eine organische Weiterentwicklung, die aus dem reichen Erbe der künstlerischen Überlieferungen schöpft.

Spätestens seit dem Besuch der großen Ausstellung von Paul Cézannes Meisterwerken in Berlin 1921 avancierte dieser zum großen Impulsspender für Boeckl. In den zwanziger Jahren entwickelte sich Boeckl zu einem der führenden modernen Maler in Wien. Sensibel für die künstlerischen Erneuerungen, die sich damals in der internationalen Kunstszene ereigneten, mussten sich diese für Boeckl im eigenen Lebensraum bewähren. Alles, was Zeitgenossenschaft mit Modischem verwechselt, war ihm ein Gräuel, alles, was den Namen Kunst verdient, peilt für ihn eine ganz andere Dimension an. „Was hier dargestellt ist, das ist der – ich weiß nicht, wie man dazu sagen soll – wirkliche Mensch, der wirklich bleibende, unsterbliche Mensch. So müsste jede Portraitmalerei von dem Gedanken der Unsterblichkeit ihres Modells ausgehen“, formuliert er in seiner Rektoratsrede im Jahr 1963.

Motive im Schwebezustand

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg griff Boeckl auf die in den vorangegangenen Jahren vor allem in der Landschaftsmalerei erarbeitete Steigerung der Farbigkeit zurück und kombinierte diese mit den malerischen Strategien des Kubismus zu einer weiteren seiner Bildsprachen. Neben vereinzelten ungegenständlichen Kompositionen in Aquarelltechnik bleiben die größerformatigen Arbeiten in Öl immer der Figur verpflichtet, wenngleich in unterschiedlichen Abstraktionsniveaus. Da kann es dann schon passieren, dass einige Motive abheben, in einen Schwebezustand übergleiten. Was bei einem fliegenden Specht noch als nahe liegend erscheint und über die gelungene Umsetzung dieses Gleitens über die Leinwand durch Farbfelder erstaunt, trifft mitunter auf die gesamte Welt zu: So kann sich auch das „Tote Gebirge“ behände über die Erde erheben. Neben der künstlerischen Arbeit, die, wie hierzulande sonst kaum zu finden, einen Brückenschlag über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts abgibt und damit für viele nachfolgende Kunstschaffende eine gute Startposition darstellt, gilt dies ebenso für die kulturpolitische Arbeit von Boeckl während der Wiederaufbauzeit.

Herbert Boeckl, Retrospektive

Unteres Belvedere, Rennweg 6, 1030 Wien

bis 31. 1. 2010, tägl. 10–18, Mi 10–21 Uhr

Katalog: Agnes Husslein-Arco (Hg.), Herbert Boeckl. Wien-Weitra 2009, 456 S., E 38,–

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