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Überraschung in der Galerie Würthle

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Wer die Ausstellung der Kärntner Malerin Maria Lassnig in der Galerie Würthle (Wien I, Weihburggasse 9) gesehen hat, darf sich glücklich schätzen, ein Ereignis miterlebt zu haben, das später einmal von der Kunstgeschichte zwar nicht als ein Wendepunkt, wohl aber als Treffpunkt zweier entscheidender Strömungen der neuen Malerei verzeichnet werden wird. Dies mag als kühne Behauptung erscheinen, die eine Begründung verdient. Sie soll gegeben werden.

Maria Lassnig hat in ihrem Werk gewissenhaft die Strömungen und Ismen der neuen Kunst nachvollzogen. Sie ging von malerischen Bildnissen aus, psychologischen Porträts, nuanciert begriffenen Bildern, kam eine Zeitlang in den Einfluß des Surrealismus, dieses literarisch bestimmten Hyper- und Tiefen-psychologismus, und erkannte als letzte Konsequenz dieses Weges die Sterilität aller Versuche im Sinne des Automatismus. Das Erlebnis des Kubismus mit seinen bildaufbauenden, schöpferischen Tendenzen wies ihr den weiteren Weg, der zunächst ein Weg ständiger Reduktion war. Die Auseinandersetzung mit der abstrakten Malerei, wie sie Piet Mondrian verwirklichte, ließ die aufbauenden Kräfte des Kubismus für sie zunächst nicht fruchtbar werden. Alle verfrühten Lösungen verwarf die Künstlerin. Es waren Jahre bildnerischer Askese, wenn sie sich immer wieder mit den Problemen von Form, Farbe, Froportion, Fläche auseinandersetzte und die allzu leicht gefundenen, zuweilen billigen oder sogar unredlichen Lösungen, wie sie auch in Oesterreich von eifrig für sich Reklame machenden Adepten scheinbarer Avantgarde auf den Markt geworfen werden, für sich ablehnte. Sie arbeitete weiter, nahm die Problematik der Malerei, wie sie sich uns heute darbietet, in sich auf und hielt mit ihren Versuchen auf der Höhe der Zeit. Immer stärker wurden die autonomen Formen ihrer Bilder, aber noch blieb alles im Reiche der Abstraktion, noch war sie nicht zur Welt gekommen, noch konnte sie nicht mehr geben als die vielen „reinen Abstrakten“ der Gegenwart, die alle Qualitäten haben und uns doch mit ihren Hervorbringungen auf die Dauer namenlos langweilen. Noch war sie nicht ihrer Zeit voraus.

Und dann, zu Beginn des Jahres 1955, vollzog Maria Lassnig den entscheidenden Schritt, hin zur menschlichen Figur. Welche Inspirationen, welche Spannungen drangen da in ihr Werk ein! 26 Gemälde aus den beiden letzten Jahren werden nun in der Galerie Würthle gezeigt. In diesen Bildern liegt eine Leistung von prinzipieller Bedeutung vor. Zum ersten Male ist restlos verwirklicht, was viele anstreben, was viele suchen: die Fruchtbarmachung des Bildwissens, der formalen Erkenntnisse von Kubismus und „konkreter“ Malerei . (um hier dieser Bezeichnung den Vorzug, zu geben) für die Kunst um die Jahrhundertmitte. Die Kunst ist wieder stark genug geworden, sich mit der Welt, sich mit den Gegenständen, sich mit dem Menschen, mit all den Dingen, von denen wir leben, zu beschäftigen, der Welt zu begegnen, sie zu erfassen und sie zu verdichten. ■ Die Malerei hat die Waffen geschärft für den Kampf um die Welt. Nun darf sie, nach Jahren des Verzichtes, wieder Malerei sein.

Zwei Strömungen haben sich getroffen, sind in eins geflossen, ein großer Strom ist daraus geworden: die eine Richtung, die zum Technischen, zur Abstraktion, zur Formel, zum reinen Formalen führt und unser Jahrhundert ganz allgemein kennzeichnet; und die andere, die ausden Quellgründen des Menschen hervorbricht, aus dem mythischen, archaischen Eeteich, wo alle Kunst ihren Ursprung hat.

Die neue Entwicklungsreihe beginnt mit einigen ..Köpfen“, von denen der Nr. 1 bezeichnete und das Bild „Die Eltern“ — ein erstes apsychologisches Porträt — besonders zu nennen sind. Dann folgen die „Sitzenden Figuren“ (Nr. 7 besonders bedeutsam), der „Stehende“, ein Gemälde nur in Tonwerten, in einer Abstufung von Grautönen. Weiter: die „Zwei stehenden Figuren“, „Sitzende und Stehende“ (Nr. 17), die „Sitzende Figur“. Alle diese Figuren haben die archaische Kraft der Plastiken Fritz Wotrubas; und das will ungeheuer viel heißen. Während aber die Zeichnungen Wotrubas stets als Vorstudien zu seinen Skulpturen zu verstehen sind, haben diese Figuren Eigenwert: sie sind die restlose Uebertragung der menschlichen Figur in die Gesetze der Fläche. Sie gelingt Maria Lassnig durch eine Beherrschung der Farbe, die ebenbürtig neben die klaren Formen tritt und mit ihnen zur Einheit verschmilzt. Ihren Höhepunkt findet die Entwicklung in den Bildern Nr. 21 bis 24, in denen vollendet gelöste Figuren gegen die Farbe, die die Welt ist, stehen. Bleiben noch die beiden „Landschaften“ zu nennen, wo für den Berg in ähnlicher Weise G e-stalt geschaffen wird, wie in den anderen Bildern für den Menschen. — Die Zeichnungen, eine aquarellierte Landschaft, und die Nummern 18 und 19 fallen dagegen ab.

Jedes einzelne Bild wäre eine eingehende Analyse wert. Es wird eine Zeit dauern, bis sich die Leistung Maria Lassnigs außerhalb der Künstlerkreise herumgesprochen hat; doch sollen junge Spekulanten, die sich eine Sammlung wesentlicher zeitgenössischer Gemälde anlegen wollen, schon heute auf diesen Namen aufmerksam gemacht werden. Sie sollen sich später nicht darüber beschweren, die Kunstkritiker hätten ihnen nicht gesagt, wer die bedeutendste österreichische Malerin ihrer Zeit gewesen ist ,...

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