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Von der Formlosigkeit zur Form
Die Malerei hat im Laufe des letzten .halben Jahrhunderts einen äußeren Verarmungsprozeß durchgemacht. Mehr und mehr hat sie abgebaut, was noch den Impressionisten, als den letzten Ausläufern der „klassischen” Malerei, für die Bewertung eines Kunstwerkes entscheidend erschien. Wie jeder durchgreifende Umwandlungsprozeß ging auch dieser nicht ohne Kämpfe, Zerstörungen und krankhafte Entwöhnungserscheinungen vor sich. Die Leidensstationen dieses Weges tragen die Namen der zahlreichen „Ismen”: Expressionismus, Kubismus, Funktionalismus, Konstruktivismus und wie sie alle heißen mögen. Auf jeder dieser Stationen ging etwas von dem in Jahrhunderten aufgespeicherten Form- und Vorstellungsvorrat verloren: die Harmonie, das Bedürfnis nach einem Schönheitsideal, die Reizwirkung und ebenso die Objektivität gegenüber den Dingen der Wirklichkeit. Was zurückblieb, war ein unentwirrbares Chaos zertrümmerter Formen, das gelegentlich von den Blitzen aufzuckender Geistigkeit erhellt wurde. Die Kunst, die selbst in diesem Chaos noch möglich war, ist zugleich der letzte der Ismen: der Surrealismus.
Indessen gehört es zum Wesen der Kunst, daß sie überkommene Formen zwar zerstört, aber nicht in der Zerstörung verharren kann, sondern zu neuen Ordnungen drängt. Der etwas ungewöhnliche Titel: „Formen und Wege”, dessen sich die derzeit in den Wandelgängen des Konzerthauses stattfindende Schau junger Kunst bedient, umreißt klar die Ziele, nach denen die zweiunddreißig Maler und Zeichner streben, die fast alle aus jener Generation stammen, die in das Chaos der Formlosigkeit hineingeboren wurde. Es sei vorweggenommen, daß das Gezeigte zu dem Erfreulichsten zählt, was seit langem in den Ausstellungssälen unserer Stadt an zeitgenössischer Kunst zu sehen war. Dem Organisator der Ausstellung, Jörg Lampe, muß man Dank wissen.
Sie zerfällt in zwei deutlich geschiedene Sektoren: in dem einen wird um neue Bedeutungsmöglichkeiten der Farbe gerungen, im anderen herrschen Zeichnung und andere Graphik. Daß es in beiden trotz technischer und individueller Unterschiede um dieselben Ziele geht, wjrd sehr bald deutlich. Die Farbe verliert an sinnlichem Reiz; es wird dementsprechend kaum ein Bild zu entdecken sein, das sich mit einem Appell an die Sinnesorgane des Betrachters zufriedengäbe; hingegen wird man eine Reihe von Werken finden, in denen sich ein Durchbruch von der farbigen Reizwirkung zur Symbolkraft der Farbe ankündigt, Versuche also, die Farbe zum Träger geistiger Inhalte zu machen. Dieser Durchbruch ist in den beiden Emails Otto Beckmanns, vielleicht den stärksten Arbeiten der Ausstellung, bereits erfolgt; nicht zufällig wird hier die herkömmliche Ölmalerei verlassen und ein Material verwendet, das den Eigenwert der Farbe aufs höchste steigert und ihren bloß sinnlichen Reiz heräbmindert. Das bedingt eine neuartige Einstellung auh des Betrachters:- er wird nicht zu einer sinnlichen Reaktion, freilich auch nicht zu einer intellektuellen veranlaßt; verlangt wird eine Art der Betrachtung, die man meditativ nennen könnte. Meditation aber bedeutet Mobilisierung geistiger und seelischer Kräfte. Dies zeigt an, daß sih die Malerei — freilich erst in vereinzelten Vorstößen — einem Gebiet nähert, in dem Ethos und Sittlichkeit beheimatet sind.
Ähnliche Wege zu einer neuen Farbengesetzlichkeit schlägt Elisabeth Stember- g e r ein; bei ihr ist ebenso wie bei Otto Beckmann die Verwendung religiöser Motive keine Zufälligkeit, sondern resultiert aus der Einstellung zum Kunstwerk als einem im geistigen Bereich funktionellen Faktor. Friedrich Fischer mit einem sehr verdichteten Frauenporträt und Pepino Wieternik mit einem lebhaften Stilleben shließen sich an, ebenso Fritz Jakob mit zwei kraftvollen Landschaftsaquarellen; in geringem Abstand folgt ebenfalls mit Aquarellen Karl Stark, der seinem Vorbild Cezanne noch deutlich verpflichtet ist. Die an und für sich in geringerer Zahl vertretenen surrealistischen Produktionen vermögen den Vergleich mit Werken wie den angeführten nicht auszuhalten: Unordnung kann vor dem Willen zur Ordnung nicht bestehen.
Es kann nicht überraschen, daß die Zeichnung großen Raum beansprucht. Sie ist ja dem eigentlich Sinnlichen von Natur aus am weitesten entfernt und wie kaum eine andere künstlerische Technik zur Konstatierung und Übermittlung geistiger Tatbestände geeignet; sie spricht den Betrachter unmittelbarer und eindeutiger an, als es ein Bild vermag. In einer Zeit, die wie unsere an schnellen Reaktionen Gefallen findet, schiebt sich die Graphik mehr und mehr in den Vordergrund und es sind heute der Künstler nicht wenige, die mit dem Zeichenstift, der Rohrfeder oder Kohle als einzigem Ausdrucksmittel sich begnügen. Die überraschende Verwandtschaft, die in den Blättern der ausstellenden Zeichner bemerkbar wird, führt zu einem Stil, den Nüchternheit der Anschauung ebenso auszeichnet, wie der Wille zu einer Form, die von der Kenntnis um elementare Zusammenhänge und Beziehungen geprägt wird. Unter diesen Zeichnern fallen starke Begabungen auf: so Karl Kreutzberger, in dessen von Klarheit erfüllten Landschaften die Naturgeheimnisse des Wachsens und Aufbauens sich zu enträtseln scheinen. Ihm benachbart und ebenbürtig Kurt M o 1 d o v a n, dem es vor allem um die Aufdeckung mechanistisch wirksamer Kräfte geht; einige scharfe Illustrationen zu Swedenborg beweisen, daß er auch um die Bannung der Mächte des Triebhaften bemüht ist. Moldovan hat den Surrealismus überwunden. Anton Lehmdens einfache und warm empfundene Tuschzeichnung des Gekreuzigten ist um Vielfaches stärker als die surrealistischen Bildchen, die der junge Künstler einen Stock tiefer hängen hat. Walter Eckert und Grete Y p p e n, die figurale Kompositionen bevorzugen, reihen sich den erstgenannten ohne Abstand an; Fritz M a r t i n z ist mit einigen sauberen Tierzeichnungen vertreten. Die surrealistisdien Zeichnungen Ernst Fuchs’ und die verwandten Paul Otto H a u g s unterliegen: sie vertragen bei aller Begabung, die sie zeigen, die kraftvolle Ordnung nicht, die knapp neben ihnen steht.
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