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Hieronymus Bosch und die Festwochen

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Wiener Festwochen in den Ausstellungsräumen

— was war zu sehen? In der Albertina — nichts. Sie ist noch geschlossen. Aus technischen — und aus juristischen Gründen. Dafür aber um so mehr im Kunsthistorischen Museum und in der Akademie der Bildenden Künste und — bescheidener

— einiges im Historischen Museum der Stadt Wien im Rathaus. Sah man hier die Werke der Meister, so waren die anderen Galerien der heutigen Kunst gewidmet: Die Secession zeigte den „Anteil der Wiener Secession an der österreichischen Kunst der Gegenwart". Das Künstlerhaus zeigte parterre „Das Wiener Bühnenbild", eine anregende Uebersehau über Werke der Bildenden Kunst im Dienste des Theaters, und im ersten Stock das „Reisebild — Der Künstler sieht die Welt", eine mehr langweilige Anhäufung von Malereien von Menschen, die offenbar nicht sehen können oder doch nur durch das gleiche temperamentlose Glasauge schauen. Die Galerie Würthle zeigt Meister der Graphik: Kirchner, Munch, Juan Gris und einige wenige Blätter anderer. Und dann die kleineren Ausstellungen in der Neuen Galerie, im Wiener Konzerthaus, im Italienischen Kulturinstitut, in der Ho.fburg, in der Staatsdruckerei, die ein „vermischtes" Programm boten; vom „Kreis" bis zur abstrakten Ausschweifung, von Filkuka bis zur Frühstücksmilch, für die in gleichem Maße geworben wurde.

Die Gemeinde Wien hat sich’s was kosten lassen: Wir meinen nicht die Ausstellung „Wiener Malerei von 1700 bis heute”, die sich dafür entschuldigt, daß sie die bedeutendsten Landschaften aus den Beständen des Historischen Museums an die Austeilung „Das österreichische Landschaftsbild des 19. Jahrhunderts" in der Akademie der Bildenden Künste verliehen hat; wir meinen „Unser Wien”, die größte Schau (show) zwar nicht der Welt, doch der Wiener Festwochen. Ueber sie demnächst mehr in anderem Zusammenhang.

Und.was bleibt von alldem? Esbleibt das Weltgericht, das große Triptychon von Hieronymus Bosch, das neben anderen Meisterwerken des 15. bis 17. Jahrhunderts in der Akademie der Bildenden Künste zu sehen ist. Dafür gebührt allen verantwortlichen Stellen besonderer Dank.

Vier Stunden (10 bis 14 Uhr) sind zu wenig für das „Weltgericht". Aber auch sechs oder acht Stunden würden nicht reichen, alle die vielen Kostbarkeiten zu finden und in sich aufzunehmen, die das Werk Hieronymus Bosch enthält. Kunstwerke sind nicht für Mußestunden da; sie betreffen unser Leben. Wir dürfen nicht bloß hingehen und ein wenig bewundern; das genügt nicht. Gewiß, Anschauung ist keine Frage der Zeit. Ein einziger Augenblick kann genügen, uns ewige Wahrheit zu offenbaren. Aber von diesem Augenblick an wird unser Zeitbegriff hinfällig. Wir können nicht ohne weiteres zur Tagesordnung übergehen. Wir müssen die Zeit, die uns bleibt, zum Opfer bringen. Wir müssen lernen, was Anschauung ist.

Dieser Ausdruck in den Tiergesichtern Das Dunkle, Molochhafte Die verdrehten Augen und die Angst Und dann die ganz unbeschreibliche Erwartung, ein Anflug von Hoffnung auf eine Stunde nach dem Gericht Das Geschlagene, auch in den Tieren, selbst noch in den Fröschen . .. Das Drohende in den Krücken: wenn der ge- schnäbelte Unhold seine Krücken zerschlägt, beginnt das Gericht. Lind er wird sich selbst das Gericht sein. Andere aber werden.. . Jedes Detail öffnet neue Möglichkeiten. Die Menschen Boschs sind durchbohrt von Messern, Schwertern, Pfeilen, getroffen von seltsamen Waffen. Die linke Seitentafel, die unzerstörte Welt des Paradieses, wird von Grün beherrscht, Blau und Braun beherrschen das Mittelfeld, während die rechte Seitentafel, wo alles Bestehende zerbirst, schwarzbraun gehalten ist.

Nach 15 Jahren wird die südliche Hälfte der Gemäldegalerie im Kunsthistorischen Museum wieder der Oeffentlichkeit zugänglich gemacht. In ihm ist die romanische Malerei zu Hause: die italienischen Malerschulen vom 15. bis zum 18. Jahrhundert und die spanische Malerei des 16. bis 18. Jahrhunderts. Am vorzüglichsten ist die venezianische Malerei des 16. Jahrhunderts vertreten: von Giorgione besitzt die Galerie die „Laura und die „Drei Philosophen"; von Palma Vecchio die „Violante” und „Die Heimsuchung”;, von Tintoretto Männerporträts und „Susanna im Bade". Von Tizian u. a.: „Nymphe und Schäfer", „Diana und Callisto", die frühen Madonnenbilder ..Zigeunermadonna" und „Kirschenmadonna". „Verachtet mir die Meister nicht", scheint jedes dieser Bilder zu sagen. Da ist „Ecce Homo" von Tizian. Alle Hände im Bild weisen auf den Herrn, versteckt oder offen. Seht ihn euch an, das ist Er! Und: seht, ein Mensch. Aber während alle Figuren des Bildes, und wäre ihre Körperlichkeit noch so kräftig, der Schwerkraft preisgegeben erscheinen und drohen, in sich zusammenzufallen, wird er, der Mißhandelte, der Gebeugte, von innen getragen, von einer inneren Kraft beseelt, die ihn aufrechterhält über alle erlittene Bitternis hinaus.

Veronese, Rafael: „Madonna im Grünen"; Cor- regio; Caravaggio; Guido Reni: „Die Taufe

Christi ; Cerano; Tiepolo; dann die spanische Abteilung mit Velazquez; die französische Abteilung (u. a. mit der Neuerwerbung David: „Napoleons Uebergang über den St. Bernhard”, die aus den Beständen der Oesterreichischen Staatsgalerie übernommen wurde) —, das sind die Stationen, die ein Rundgang durch die sieben neueröffneten Säle bietet. Die Neuaufhängung ist günstig und verdient alles Lob. Die vorgenommenen Restaurierungen (insbesondere bei Gemälden von Tizian und Velazquez) dürften gelungen sein: die Bildet haben den alten Glanz zurück-gewonnen, fleckig gewordene Retuschen und die braungelben Firnisse sind von ihnen verschwunden. •

Das Historische Museum der Stadt Wien will die Wiener Malerei von 1700 bis heute heraussteilen. Für das 19. Jahrhundert gelingt das auch trefflich. Bescheidener ist die Schau von Bildern des 18. Jahrhunderts. Erst recht hapert’s mit der Kunst des 20. Jahrhunderts. Als Kuriosum sei vermerkt, daß sich auch zwei Bilder Anton Romakos (1832 bis 1889) ins 20. Jahrhundert verirrt haben: der „Edelweißpflückende Knabe" (Oel auf Leinwand, 1877) und „Der Einzug Marc Aurels in Wien" (Oel auf Holz), ein sehr dichtes Bild, auffallend durch sein verhaltenes Braun, auf dem weiße Schatten liegen. Was bei Romako begann, setzt sich fort bei Schiele, Klimt (der nicht vertreten ist!), Kokoschka, Boeckl: ein Sprung geht durch die Welt; man versucht sie zusammenzuhalten; aber gelingt es? Von Schiele hängt das „Bild Arthur Rößlers", von Herbert Boeckl zwei Selbstbildnisse und „Anatomie": der Mensch auf dem Operationstisch; aus ihm wird alles herausgenommen, was er an inneren Organen besitzt Oskar Kokoschka ist mit dem „Blick auf Wien vom Wilhelminenberg” vertreten: hier beginnen sich die Dinge neu zu ordnen .. . Von Kolig hängt ein schwächeres Stilleben. Unger. Hausner, Florian, ein interessantes Oelbild „Luftschutzbunker" (Esterhäzypark?) von Anton Lehmden, ein Mädchenkopf aus Kunststein von Heinz Leinfellner (einige der genannten Objekte Neuerwerbungen) müssen hier allein die Kunst unseres Jahrhunderts repräsentieren. Sie fühlen sich ein wenig einsam.

Die Vereinigung bildender Künstler Wiener Secession zeigt den „Anteil der Secession an der österreichischen Kunst der Gegenwart" und beweist damit nur, daß es heute so etwas wie die Secession im eigentlichen Wortsinn nicht mehr gibt; die ausstellenden Künstler sind Mitglieder, nicht Secessionisten. Gezeigt werden 115 Arbeiten von 47 Künstlern. Unmöglich, sie hier alle zu nennen. Ein hübscher kleiner Katalog stellt sie kurz vor. Es fielen auf: Otto Beckmanns Emailbilder, die gutes Kunstgewerbe sind, Hans Boeh- lers Konversation, die aussieht, als ob sie Patina angesetzt hätte, die Landschaft „Erntebild" von Josef Dobrowsky, die „Wildschweine" von Franz Elsner, das Aquarell „Bäuerinnen" von Oskar Gawell, die aussehen, als wären sie auf Stein oder Gips gemalt, das mädchenhafte Oelbild Mont Martre von Albert Paris Gütersloh.

Egon Haug führt uns eine kleine Menagerie weißer und schwarzer Tiere vor. Alle haben sie herrliche Augen, besonders der Büffel (Monotypie). Von Alfred Kubin hängt ein einziges Blatt, „Die Hütte im Böhmerwald", eine Lithographie, in der Secession. Dafür ist schon der nächste im Katalog, Robert Libeski, mit fünf Bildern vertreten. Warum dieses Verhältnis? Doch weiter: Hinter dem Pseudonym Maximilian Mopp verbirgt sich der vor wenigen Wochen in New York verstorbene Maximilian Oppenheimer. Öelbilder von Thomas und Heinrich Mann, zwei Graphiken. Dann Pauset, Pippal, Franz Poetsch (Stilleben eines Hinterhofes, surreale Farbgebung), Pregart- bauer (Venedig und Marseille in Pastell — leichte Blätter, Dufy-Dürfte durchziehen seine Wasser). Von Rudolf Richly ein einfach und streng komponiertes Oelbild: „Ort bei Paris", von Hans Staudacher die Tuschzeichnung einer „Figur", von Anton Steinhart drei Rohrfederzeichnungen. Seltsam: die Bilder Gerhard Swobodas, wohl die eigengeartetsten unter denen der jungen Künstler der Secession heute, sehen auf die Entfernung alle wie Bilder Swobodas aus, aber untereinander unterscheiden sie sich erst in der Nähe. Und man muß schon länger hinsehen, wenn man herausbringen will, ob es sich um die „Heiligen drei Könige oder um die „Invaliden" handelt. Rudolf Szyszkowitz ist durch das Oelbild „Marionetten" vertreten. Man vermißt im Katalog zu den einzelnen Arbeiten Jahreszahlen der Entstehung.

Das modernste, das aufregendste Bild? Das Weltgerichtstriptychon von Hieronymus Bosch. Was bleibt, ist nicht ein Kunstwerk, sondern Welt: die Welt Homers, Shakespeares, Bachs und die Welt Michelangelos und Boschs. „Das Weltgericht" wird uns prüfen, wie uns der archai- ische Torso Apollos prüft. Denn da ist, wie im Gedicht Rilkes, „keine Stelle, die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern."

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