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Herbsttage in Brüssel

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Europalia: die Wortschöpfung wirkt auf den ersten Blick befremdlich. Die Phantasie sucht nach sprachlichen Analogien und findet endlich zum Bild einer ländlichen Landstraße unter dem renaissanceblauen Himmel Italiens. Der matte Glanz der schweren Steinquadern lädt zum Wandern ein, zwischen den Pinien am Wegrand leuchtet der verwitterte Marmor so zeitlos wie in den Gedichten von John Keats. Wir befinden uns auf der Via Aurelia, nahe Rom.

Aurelia, Europalia, der Gleichklang weist die Richtung. Auf einer Via Europalia wollen wir gerne wandern.

Die Vorstellung bleibt freilich abstrakt. Der Begriff erwacht dann in der Melodie des gesprochenen Wortes zum Leben. „Europalia“ klingt aus dem Mund des jungen Taxilenkers wie ein fröhlicher, im Rhythmus eines schnellen Tanzschrittes skandierter Ausruf. Er kommt in einem Schwung zum letzten, hübsch ausklingenden a, sagt „Europalia“, als wollte er mit dem Spruch — ein Magier im Zirkus — etwas Hübsches und Federleichtes aus dem unsichtbaren Zylinder zaubern.

Wir fahren an einer Baustelle vorbei. Die Lücke zwischen den alten Giebelhäusern läßt im Erdreich die Mauerreste verwinkelter Keller sehen. „Wir brauchen Hotels, mein Herr“, sagt der junge Mann am Lenkrad. „Brüssel wird ja zur Hauptstadt von Europa.“ Das leuchtet ein. Nichts klingt nun natürlicher als „Europalia“.

Im Schaufenster des Buchladens in der Galerie St. Hubert ist Österreichisches zu betrachten. Bücher über Sigmund Freud, Romane von Robert Musil, Stefan Zweig, Joseph Roth und Heimito von Doderer sind neben der neuesten Streitschrift gegen Kurt Waldheim zu sehen. Die Prosa von Thomas Bernhard und Peter Handke wurde ins Französische übersetzt; Ingeborg Bachmann fehlt ebenso wie George Saiko, Ilse Aichinger und Herbert Eisenreich. Vom Markt sind keine ästhetischen Bewertungen zu erwarten.

Groß ist das Interesse der französischen Verleger an der Wiener Jahrhundertwende. Gustav Klimt, Egon Schiele, Secession, Wiener Werkstätte: die Bildbände zeigen dem belgischen Leser eine Variation der Kunst, die ihm stilistisch vertraut ist. Das spricht an.

Der Historiker Hendrik Brug-mans leitet die Diskussion über das Thema „Mitteleuropa und die Literatur“, ein feiner alter Herr, der das Gebiet gut kennt. Aus Brighton ist ein alter Freund gekommen, Eduard Goldstücker, einst Professor in Kaschau, dann in Prag, Kämpfer für die Anerkennung von Franz Kafka in der Tschechoslowakei, seit 1968 Emigrant. Moritz Csaky aus Wien gibt eine profunde Darstellung der gegenwärtigen Mitteleuropa-Diskussion, Antonin Liehm aus Paris schildert mit der Verve des guten Publizisten die mitteleuropäische Einheit in der Vielfalt, der belgische Schriftsteller Pierre Mertens setzt vor allem Musil und Kafka mit der Gegenwart in Verbindung, ich versuche, über die lebendigen Wechselwirkungen zwischen den Kulturen der Donauregion zu berichten.

Wortmeldungen aus dem Publikum konzentrieren sich vor allem auf das Schicksal Böhmens. Hendrik Brugmans führt die Diskussion endlich zum Ausgangspunkt zurück: „Den Österreichern ist im Donauraum eine kulturhistorische Rolle zugefallen. Sie waren nach 1918 nicht mehr in der Lage, der natürlichen Aufgabe zu entsprechen. Wir Westeuropäer meinen, daß Österreich diesen unterbrochenen Dialog wieder aufnehmen könnte.“ Das Auditorium im Kongreßpalast applaudiert.

Zwei Ausstellungen sind den kulturellen Verbindungen zwischen Brüssel und Wien gewidmet. Im Museum der schönen Künste wird der Einfluß des Malers Fernand Khnopff auf die Wiener Secession dargestellt. Die Analogien sind in der Tat verblüffend. Besonders Gustav Klimt, dessen Werke im benachbarten Museum zu sehen sind, fand in den Arbeiten des Belgiers fruchtbare Inspiration.

Das rührt nicht an Klimts Qualität. Auch Shakespeare schöpfte aus dem Werk der Zeitgenossen. Der Streit um Prioritäten ist töricht; im Gegensatz zum Rennsport ist es in der Kunst unerheblich, der erste zu sein. Erneuerungen wirken mitunter sensationell, doch bleibt die Intensität der Form entscheidend.

Khnopff gehört zu den Großen der Jahrhundertwende. Seine allegorischen Darstellungen bewegen Kräfte der Phantasie, die sich gewöhnlich nur im Traum erkennen lassen. Auch seine feinen Porträts wirken indessen allegorisch. Sie bergen die großen Geheimnisse der Stille.

Eine Vielzahl von Wechselwirkungen wird in der Exposition „Bruxelles-Vienne 1890-1938“ im Palais des Beaux-Arts dargestellt. Der Literaturhistoriker Fabrice van deKerckove hat sich vor. allem auf die Verbindung zwischen Maurice Maeterlinck und Hugo von Hofmannsthal konzentriert, doch zeigt er Wahlverwandtschaften auch auf dem Gebiet der Musik, der bildenden Kunst, der Architektur. Die Präsentation vermag auf engstem Raum viel zu bieten; der dargestellte Gleichklang ist erstaunlich und beglückend.

Gemeinsamkeiten der Geschichte stoßen auf großes Interesse. Menschenmassen drängen sich in der Ausstellung „Tresors de la toison d'or“, kaum weniger Besucher hat „Charles-Alexandre de Lörraine“. Im ersten Fall wirkt Mythisches. Schätze heben will jeder, auch der Kommunist, dessen zu hebender Schatz in der durch Revolution erkämpften Zukunft liegt; das

Goldene Vlies führt aber über Habsburg zu Jason und damit in die Tiefe der Welt der Legenden. Dem Besucher näher liegt jener Karl von Lothringen, der als Statthalter Österreichs in Brüssel residierte. Die kostbaren Objekte zeigen das Zeitalter des Barock als. eine Quelle, der Aufklärung. Der Kontrast zweier Gedankenwelten ergibt, überraschenderweise, eine Harmonie. Dem entspricht die Faszination.

Wer die Schätze des Ordens des Goldenen Vlieses besichtigt hat, schreitet weiter in die Ausstellung „Face ä face“, die verspricht, österreichische Kunst vom Barock bis zur Gegenwart darzustellen. Sie bietet, wie der Titel besagt, Konfrontationen. Die alten und neuen Exponate sind thematisch aus- und einander entgegengestellt, das heißt, man kann die Einheit der österreichischen Kunst begreifen. In dieser Hinsicht hat Dieter Ronte gute Arbeit geleistet.

Widerspruch weckt nicht die Konfrontation, sondern die künstlerische Schwäche mancher Zeitgenossen. Sie sind durch noch so geschraubte ästhetische Erläuterungen nicht entschuldbar.

Die kluge Idee, frühere und heutige Kunst in Verbindung und zugleich in Konfrontation zu bringen, ergab zwangsläufig eine fragwürdige Ausstellung. Uber die Qualität der Älteren hat die Zeit geurteilt, wir kennen vermutlich nur die Besten; das gleiche Urteil konnte durch die Gegenwart noch nicht gesprochen werden, folglich sehen wir auch die Arbeiten der Schwächeren.

Diese Schwächeren wirken aber, gerade in der Konfrontation, mehr kurios als überzeugend. Sie zeigen die österreichische Malerei der Gegenwart als einen einzigen Versuch, den Bürger zu empören. Die Geste des epater le bourgeois ist aber selbst kleinbürgerlich und entsprechend geschmacklos.

Wir haben — so viel ist durch diese Präsentation klar geworden — gegenwärtig nicht allzu viele bedeutende Maler. Das ist nicht beschämend; nicht jede Epoche vermag Großes zu schaffen. Warum allerdings Künstler wie Friedrich Danielis, wie Florentina Pakosta, wie Rudolf Kedl, um nur drei zu nennen, in Brüssel nicht präsentiert werden konnten, obwohl ihr Werk auch den Themenkreisen der Ausstellung entspricht, bleibt Rontes Geheimnis.

Ach, Sie sind aus Österreich?“ Der Kellner im Bahnhofsrestaurant wischt die feuchten Rin-rge vom Tisch. „Meine Frau ist Tschechin. Zweimal im Jahr sind wir in Wien, dann fahren wir zu ihren Eltern nach Brno. Wir fahren über Poysdforf!“ Er kommt immer wieder auf Poysdorf zu sprechen. Ja, Poysdorf! Dort ist es am schönsten. „Bei uns gibt es jetzt die Europalia, da kann man auch in Brüssel Österreich besuchen.“

Solche Männer, mit den Bierkrügen in der Hand, sind es, die die Geschichte erleiden, zuweilen auch formen. Wenn sie in diesen Tagen in Brüssel Österreich besuchen, hat sich die Mühe der Veranstalter gelohnt.

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