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Der achte Band des Großen Herder

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Der Grete Herder. Nachschlagewerk für Wissen und Leben. Fünfte, neubearbeitete Auflage von Herders Konversationslexikon. Achter Band. Sade bis Tessin. Freiburg im Breisgau 1956. Verlag Herder.Großoktav. 4 Seiten + 1520 Spalten

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Der Grete Herder. Nachschlagewerk für Wissen und Leben. Fünfte, neubearbeitete Auflage von Herders Konversationslexikon. Achter Band. Sade bis Tessin. Freiburg im Breisgau 1956. Verlag Herder.Großoktav. 4 Seiten + 1520 Spalten

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Unter den Schlagworten dieses vorletzten Bandes des ausgezeichneten Nachschlagewerks ragen zunächst, nicht nur dem Umfang gemäß, sondern auch wegen der Fülle und Gediegenheit des in ihnen konzentriert dargebotenen Stoffes, die Länderartikel Schweden, Schweiz und Spanien hervor. Sie sind durch Bildbeigaben erläutert, deren treffende, die Wesenheit der Nationen und ihrer Umwelt sinnvoll erfassende Auswahl besonderes Lob erheischt. Der Darstellung Spaniens (21 Spalten, der längste Artikel des Bandes) möchten wir dabei die Palme reichen. Aua der Reihe geographisch-geschichtlicher Ueber-sichten seien ferner anerkennend erwähnt: Sahara, Schanghai, Sibirien, Südafrika, Südamerika.

Zierden des achten Bandes bilden, wie stets beim Großen Herder, die Gestaltungen theologischer, philosophischer und literarisch-künstlerischer Themen. Ueber Sakramente, Scholastik, Schöpfung, Schuld, Seele, Stigmen, Sünde, Synoptik, Taufe läßt sich kaum eine gehältigere knappe Darlegung des katholischen Standpunkts, mit ruhig-sachlichem Ausblick auf andersartige Meinungen, geben als wie sie hier, meist in glänzender sprachlicher Form, geboten wird. Der Artikel „Sein“ könnte geradezu ein Schulbeispiel wortmächtiger, klarer, au* der Tiefe quellender und dem aufnahmewilligen, auch nur halb Gebildeten beste Einsicht gewährende Belehrung geheißen werden. Nichtchristlichen Religionen gilt vorurteilslose, ja liebevolle Würdigung — man lese die Ausführungen über Shintoismus, Talmud. Der alle vielfältigen Aspekte beleuchtende Artikel über Sprache kreist um den philosophischen Kern des Problems der Mitteilung durch Gebärde und hernach, vordringlich, Aussage. Wir erfahren den neuesten Stand der Forschung, empfangen reiche Literaturhinweise (leider wiederum — doch warum diese Klage immer und zwecklos vorbringen — ohne genügende Beichtung fremder Beiträge).

An der Grenze des Philosophischen im weiteren Umfang: zunächst Schlagworte wie Symbol, samt Ausstrahlungen auf Literatur und Kunst, Stil, Tanz (vorzüglich bebildert, geistreich und eigenständig); sodann gesellschaftswissenschaftliche Betrachtungen über Selbstmord, Sitte, Sklaverei, Soldatentum (nüchtern, gescheit und gerecht), Solidarismus, Staat, Stadt, Stand. Die Weise, in der Sozialdemokratie, Sozialismus, Sozialpolitik heute im maßgebenden katholischen Lexikon behandelt werden, mag als nachahmenswertes Muster dafür gelten, daß man abweichende, ja oft diametral entgegengesetzte Ansichten mit begreifender Sympathie und doch ohne Verleugnen der eigenen Weltanschauung schildern und beurteilen kann Mit zu billigender Beschränkung an die bemeisterte Mannigfalt der Fakten sind Statistik, Steuer, Strafe erörtert.

Ein kurzer Spaziergang durch die Buntheit voneinander verschiedener Panoramen lädt uns bald ein, uns an musischer Schau zu ergötzen, 'wie bei den Betrachtungen über Schauspielkunst, Schmuck, Symphonie, Teppich (farbenprächtige Illustration), über Spitzen und Tempel, bald an Sport, Ski und Schach. Doch da zeigt der Große Herder gleich seine Sonderart. Schätzen wir an ihm, daß er ernste Sachverhalte aufgelockert und mit spielender Leichtigkeit zu bewältigen weiß — nicht immer, aber oft —, so trifft er es nicht minder, ob auch in Anmut und mit Grazie, den Ernst des Spiels bewußt zu machen: in einem der beiden Rahmenartikel, die — wie in jedem Band, auch in diesem achten — um einen belangreichen Begriff sich ranken. Diesmal dünken uns Thema, außer dem Spiel noch sein Antipode, der Schmerz, und bildgestützte Deutung besonders gut auserkoren.

Sollen, dürfen wir nach diesem Ausblick auf den Gipfel noch bei den andern vielen ragenden Höhen verweilen, die man von ihm aus zwar nicht überschaut, doch in intellektueller Ueberheblichkeit leicht zu übersehen versucht wäre? Es wäre unrecht, an den wohlgelungenen Beiträgen zur Technik, zur Naturwissenschaft, zum Alltag vorbeizuhasten. Fachkundige mögen im einzelnen Artikel über Schall, Schwerkraft, Schwingung. Telegraphie, über die Sonne und die Sterne, übe' Spektrum und Strahlung würdigen. Der Laie nimmt diese mit immenser Sachkenntnis geschriebenen lichtvollen Aufschlüsse dankbar entgegen. Er holt Sich mit Nutzen Bescheid über Salpetersäure und Salzgewinnung, Sauerstoff und Säuren, Schwefel und Selen, Silber und Stahl, Steinkohle und Stickstoff. Schlagworte, wie über Soja und Seifen, geleiten bereits in wirtschaftliche und politische Aktualität, in deren Zentrum wir durch die Artikel über Tabak und Tee gelangen. Schnell noch Beifall für einige vorzügliche Abschnittchen aus der Zoologie — allgemeines über Säugetiere, über Schafe, Schnecken, Schweine, Tauben, sehr nett über Störche und die in mehrerer Hinsicht unheimlichen Termiten. Und nun noch, abschließend, zum biographischen Teil.

Hier rücken Dichter — Schiller und Shakespeare — und Denker — Schelling, Schopenhauer, Spinoza, leider auch Sartre und Scheler — in den Vordergrund. Alle die den Schriftstellern gewidmeten Würdigungen — außer den schon erwähnten, ferner die von G. Sand, Walter Scott, Shaw, Shelley, Sophokles, Madame de Stael, Stendhal, Stifter, Strindberg, Swift,, Tasso — und die Porträts der Philosophen — neben den bereits genannten fünf St. Simon. Schleiermacher, Adam Smith, Sokrates, Solovev. Taine — sind einwandfrei,,, Wir fragen uns immerhin, ob Sartre doppelt soviel Raum verdient als Sokrates. Unter den biographischen Notizen stechen des weiteren hervor die über Stalin (durchaus abgewogen), den Freiherrn r. Stein, Talleyrand über Savonarola und über die Komponisten Schubert, Schumann, Richard Strauss, Strawinsky.

Wie in den vorigen Bänden sind auch diesmal Kartenbeilagen und Bebilderung auf der Höhe technischer Vollendung.

Jetzt aber zum Abgesang, den des Rezensenten berufsbedingte Bosheit auch dem überzeugtesten und schmetterndsten Pneislied anzufügen gewohnt ist. '.Vor allem ein paar sachliche .Berichtigungen uivj-“Ergänzungen: beim Artikel Schratt Waren*unbeding ; die gedruckten Briefe Kaisei Franz Josephs an die Künstlerin zu erwähnen. Uebet Veit Stoß kann man nicht berichten, ohne auf den Streit um seine Nationalität und auf die, im Herder völlig verschwiegene, ; umfängliche polnische Literatur einzugehen. Eine ungewollte Ironie hat es gewollt, daß das Lexikon eine Unterschrift des genialen Bildhauers im Faksimile bringt, auf der er mit seiner polnischen Namensform „Stwosz“ unterzeichnet! Bei General Sikorski wäre sein geheimnisvoller Tod durch Flugabsturz zu verzeichnen. Fürstin Fanny Starhemberg ist, was nicht angemerkt ist, die Mutter Ernst Rüdigers, des Vizekanzlers. Die polnische Maleriraheißt Stryjeftska und nicht Stryjenski (männliche Form des Familiennamens!) Die Stefanskrone befindet sich — leider — nicht im Wiener Kunsthistorischen Museum. Der ehemalige schweizerische Bundesrat heißt von Steiger, nicht Steiger (von ist Namensbestandteil, der von den Schweizern betont wird). Der ungarische Historiker Szekfü ist im Vorjahr gestorben. Andre Siegfrieds Amerikabuch ist inzwischen, völlig umgearbeitet, neu, auch deutsch, herausgekommen. Stalinogröd als neuer offizieller Name der Stadt Kattowitz (Katowice) wäre zu notieren. Die Steinheil-Affäre verdiente einen besonderen kurzen Artikel, mindestens so sehr wie -die Staviskij-Sache. Bei Wilhelm Teil wäre auf den skandinavischen Ursprung der Sage hinzuweisen.

Worauf wir zu den biographischen Lücken übergehen. Es fehlen: Sagasta (spanischer Ministerpräsident), Samain (französischer Symbolist), San Giuliano (italienischer Staatsmann), mehrere Sanguszko und Sapieha, Sarraie (französischer Heerführer), Schömberg (mehrere französische Feldherren), Schönaich (k. u. k. Kriegsminister), Fürst Friedrich Schwarzenberg („der Lanzknecht“), Madame de Segur (berühmte Kinderschriftstellerin), R. v. Seidler (k. k. Ministerpräsident), Seiliiere (französischer Soziologe, Deutschlandkenner), Senancour (französischer psychologischer Erzähler), Skarga (der polnische Bossuet), Sklovskij (führender russischer Literaturforscher), Skoropadskij (Hetman der Ukraina), Smolka (polnisch-österreichischer Politiker), Sniadecki (polnischer Naturwissenschafter), Snoilsky (schwedischer Dichter), Cecile Sorel (französische Schauspielerin), Speidel (Meister des Feuilletons) wie: Daniel Spitzer (Wiener Spaziergänge!), Spalajkovic (serbischer Staatsmann), Lord Stanhope (britischer Staatsmann), Staszic (führender polnischer Denker und Politiker), Stefänik (slowakischer Politiker), Steigentesch (bedeutender Lustspielautor), Sternberg (mehrere tschechische und österreichische Staatsmänner und Politiker), Strattmann (hervorragender Diplomat), Stransky (führender tschechischer Politiker), Stremayer (österreichischer Staatsmann), Stroßmeyer (Bischof und kroatischer Nationalheld), Suffren (französischer Admiral), Supilo (kroatischer Politiker), Surcouf (berühmter tCorsar), Susteriii (slowenischer Politiker), Sylvester (deutsch-österreichischer Politiker), Silva-Tarouca (mehrere österreichische Staatsmänner), Svehla (führender tschechischer Politiker und Ministerpräsident), Tata (indischer Großindustrieller und Multimillionär), Tarnowski (Hetman und Literaturhistoriker, Akademiepräsident), Termier (berühmter französischer Geolog und katholischer Denker).

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