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Malende Dichter — dichtende Maler

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Unsere Zeit ist feuilletonistisch gesinnt. Die Verpackung interessiert sie mehr als der Inhalt. Das Neue beschäftigt sie stärker als das Wahre, das immer neu ist.

Interessiert sich unsere Zeit für Kunst? Sie interessiert sich für den Künstler. Der Schaffensprozeß ist ihr wichtiger als sein Ergebnis, das Kunstwerk. Das Persönliche des Künstlers vermag sie zu erregen, sein Werk nur selten. Als Hemingway mit dem Flugzeug über dem Nil abstürzte, wurde darüber in der Presse in einer Aufmachung und an hervorstechender Stelle berichtet, wie nie über eines seiner Bücher. Ein fast toter Hemingway — ein guter Hemingway. Ein ruhig und unablässig arbeitender Künstler, ein James Joyce — ein schlechter Künstler. Sein Leben „gibt nichts her”.

Unsere Zeit ist feuilletonistisch gesinnt. Und sie ist indiskret. Sie liebt die Blicke durchs Schlüsselloch. Sie verlangt nach der Sensation, weil sie abgestumpft ist für feinere Reize. Sie will ständig Geheimnisse entschleiern und auf den Grund der Seele sehen — ohne das Geheimnis zu achten und an die Seele zu glauben.

Sie will Unmögliches — ohne deshalb außerordentlich zu sein. Sie will die aufregende Neuigkeit, die Ueberraschung — aber eingezäunt. und überschaubar, damit die eigene spießige Sicherheit, das kleine Weltbild aus Wirtschaftswunderglauben und Konvention nicht erschüttert wird. Sie ist feuilletonistisch gesinnt.

Und weil das so ist, ist die erfolgreichste Ausstellung des Jahres (auch das ist ein feuille- tonistischer Begriff!) die des Kunstmuseums St. Gallen: Malende Dichter — dichtende Maler.

Der dichtende Dichter, der malende Maler, der komponierende Musiker sind für ein Publikum, dem am Kunstwerk nichts liegt, nur von geringer Anziehungskraft. Aber dichtende Maler, weltreisende Dichter, sporttreibende Musiker — das ist schon etwas anderes! Die zweite Seite des Künstlers, sein Hobby, verspricht intimere Einblicke in sein Seelen- und Privatleben zu gewähren als sein künstlerisch bedeutsames Werk.

Das die 147 Künstler, deren Werke — Gemälde, Zeichnungen, Kritzeleien, Manuskripte, Bücher — in St. Gallen gezeigt werden, Doppelbegabungen waren, steht fest. Aber wenn man unter Kunst nicht bloß irgendeine beliebige subjektive Aeußerung versteht, sondern eine Gestaltung, die in sich geschlossen ist und die Ordnung ihrer vielfältigen Bezüge in sich trägt — dann waren fast alle dieser 147 Künstler Künstler nur auf einem einzigen Gebiet, entweder auf dem der Dichtung oder auf dem der Malerei. Nicht auf beiden. Und ihre Betätigung auf anderen Gebieten war Spielerei, Liebhaberei, Dilettantismus, diente der Entspannung oder machte ihnen sonstwie Spaß.

Aber gerade das ist’s, was diese Ausstellung für das Publikum so interessant macht! Denn das Persönliche des Künstlers zeigt sich viel stärker auf dem Gebiet, auf dem er bloß dilettierte. Da hat alles unmittelbaren Bezug zu seinem Leben, zu seinen Leiden, zu seinen Kämpfen. Während er dort, wo er Künstler war, über sich selbst, über sein eigenes Kämpfen und Leiden hinauswuchs und objektiv wurde. Im Dilettantismus spricht sich der Mensch persönlich aus. Kunst zu schaffen verlangt, immer aufs Neue abzusehen von der eigenen Person, von allem, was uns nur subjektiv bewegt. Das Expressive wird bald .zum Manierismus.

Die St.-Galler Ausstellung gewährt diskrete Einblicke in die Werkstatt des Künstlers — und indiskrete: zu den diskreten rechnen wir noch die Schreibmappe Gottfried Kellers, die er mit vielerlei Köpfen verziert hat, und ähnliche private Zeichnungen und Aufzeichnungen, die sich im Nachlaß großer Künstler — beispielsweise auch in dem Dostojewskis, Kafkas, Prousts — fanden. Manches dagegen, was lebende Künstler offenbar bereitwillig zur Ausstellung hergaben, scheint uns doch ein wenig indiskret; und vor allem überflüssig.

Doch wollen wir über diesen Einwänden, die uns beim Rundgang durch das in einem schönen Park gelegene St.-Galler Museum bei einzelnen Künstlern und ihren Spielereien kamen, nicht vergessen zu sagen, daß die Ausstellung mit viel Fleiß zusammengetragen und ganz vorzüglich aufgebaut ist. Aus dem Grundeinfall wurde alles herausgeholt, was er hergab.

Zu den echten Doppelbegabungen, die auf beiden Gebieten, in der Dichtung und in der Malerei, etwas zu sagen hatten, dürfen wir rechnen: Michelangelo, William Blake, Adalbert Stifter, Wilhelm Busch, Ernst Barlach, Hans Arp, Wyndham Lewis, Günter Graß und (auf der Ausstellung nicht vertreten) Albert Paris Gütersloh. Bei dieser Bewertung war uns als Kriterium der Gedanke maßgebend, ob einer der genannten Künstler seinen Rang in beiden Gebieten unabhängig von seiner Betätigung auf dem anderen Gebiet erlangt hat oder doch erlangt haben würde. Den Maler Goethe, der allgemein als Schulbeispiel einer Doppelbegabung gilt (ist er doch mit dem Dichter Goethe identisch), würde heute kein Mensch kennen; den Maler Stifter dagegen schätzen wir sehr wohl als Vorläufer des Impressionismus. Der Dramatiker Kokoschka wäre unbekannt, hätte ihm der Maler Kokoschka nicht zu Ruhm verholfen; der Dichter Hans Arp dagegen hat sehr wohl einen Anspruch darauf, in unseren Literaturgeschichten genannt zu werden. (Wenn sie’s nicht tun, zeigt dies nur, in welch erschreckendem Maße die Verfasser von Literaturgeschichten, insbesondere solcher, die an Mittelschulen verwendet werden, jede lebendige Beziehung zu ihrem Gegenstand, der Literatur, verloren haben!)

Es scheint, daß die Maler, wenn sie sich schriftstellerisch betätigten, eine stärkere Aussagekraft erreichen, als sie den graphischen und malerischen Versuchen der Dichter zukommt. Dies hängt damit zusammen, daß ja auch Briefe, Tagebücher. Essays, Werkstattnotizen, weil in der Sprache abgefaßt, als schriftstellerische Leistung gelten müssen — obwohl sie Bericht, Bekenntnis oder kritische Reflexion sind, nicht aber Dichtung. Caspar David Friedrich, Philipp Otto Runge haben sehr schlicht und sehr weise vieles über die Kunst und ihr Geheimnis, über den Künstler und seine Berufung gesagt — Dinge, die uns tief berühren. Aber sollen wir sie deswegen schon Dichter nennen? Das wäre eine Begriffsverwischung, kein Lob!

Oft zeigen sich bei Malern echte Ansätze zur Dichtung, wie etwa bei Picasso, dessen wenige literarische Versuche — er schrieb ein Drama und etliche Gedichte — zeigen, daß er ein legitimes Verhältnis zum Wort hat. Aber dann überwiegt der Drang, sich mit den Mitteln der Malerei auszudrücken, so sehr, daß diese Ansätze nie fortgeführt werden.

Sind auch die Malereien der Dichter meist nur von geringer selbständiger Bedeutung, so waren sie für ihren Autor oft sehr wichtig — eröffneten sie ihm doch eine neue Möglichkeit, sich Welt anzueignen, sein Auge zu schulen, sein Wissen von den Dingen zu vergrößern. Oft leistete die theoretische Beschäftigung mit der Malerei dem Dichter denselben Dienst und brächte ihm Erkenntnisse für sein eigenes Werk. Es ist nicht selten, daß große Dichter auch viel von bildender Kunst verstanden; denken wir nur an Charles Baudelaire, an Hugo von Hofmannsthal, an Hugo Ball, an Guillaume Apollinaire!

Eine andere Beobachtung: Mit dem Beginn der .modernen Kunst, mit der Erschließung des Bereichs des „Unbewußten”, mit der Wiedergewinnung einer mythischen (und das heißt: sinngebenden) Erlebnisfähigkeit der Welt scheint alle Kunst stärker aus einem menschlichen Zentrum zu kommen, die einzelnen Kunstdisziplinen einander näherzurücken und die Grenzen sich hie und da zu verwischen — wofür die vielen Versuche moderner experimenteller Dichter sprechen, die ihre Gedichte auf besondere, eigenwillige (und scheinbar willkürliche) Art typographisch anordnen. (Zum Beispiel Apollinaire, Schwitters, die Dadaisten, Cummings, Gomringer.) War bisher die Doppelbegabung die zufällige Personalunion eines Dichters mit einem Maler, so werden nunmehr in den Hervorbringungen der Doppelbegabungen die Beziehungen zwischen Dichtung und Malerei enger und wesentlicher. Prof. G. F. Hartlaub schreibt darüber: „Einen symptomatischen Umschwung im eigentlichen Kernbezirk kündigt. .. vielleicht der Bildhauer Hans Arp an, längst auch ein höchst zeitgemäßer Lyriker und heute sich jenen Grenz- und Spitzenfällen eines beinahe schon polar gleichwertigen Schaffens nähernd. Seine Arbeiten im räumlichen und im zeitlichen Element stehen…nicht mehr … beziehungslos nebeneinander wie früher in so gelagerten Fällen.”

Aber damit haben wir bereits eine Problematik angeschnitten, die weit über die Themenstellung der St.-Galler Ausstellung hinausführt. Ihr Wert liegt in der persönlichen — mitunter fast intimen — Begegnung mit Künstlern, die uns lieb sind, und von denen wir, entdecken wir sie in dieser Ausstellung, überrascht feststellen: ach — der hat auch gedichtet!; oder: jener hat auch gemalt! Beurteilen wir diese Liebhabereien nicht kritisch — sie waren in den meisten Fällen nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt. Die Frage der inneren Entsprechungen und Uebereinstimmungen zwischen bildender Kunst und Literatur in den verschiedenen geschichtlichen Epochen sollte und konnte hier nicht gelöst werden.

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