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Ein Spiegel Österreichs

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Auf dem Festwochenplakat steht diesmal kein Motto. Doch es läßt sich aus dem Programm ablesen. Von dem Gedanken ausgehend, daß neben den vielen Gästen, die wir im Wiener Kulturleben immer gern begrüßen, auch einmal das eigene Schaffen wieder stärker betont werden müßte, führen die Wiener Festwochen 1966 eine Art „österreichische Kulturgeschichte der letzten 300 Jahre” vor. Diese Kulturgeschichte in Auszügen kann nicht das „österreichische an sich” definieren oder soll — 100 Jahre nach Königgrätz — ein neugewonnenes Nationalgefühl demonstrieren, sie möchte eher auf ein erstaunliches Phänomen aufmerksam machen: In der Kunststadt Wien haben die Anregungen von auswärts immer eine — oft zu große — Rolle gespielt, und doch konnten sich auf recht rätselhafte Art und Weise aus den vielen internationalen Strömungen immer wieder nationale Kunstäußerungen von weltweiter Bedeutung sublimieren. Die Wiener Klassik im 19. Jahrhundert, aber auch die Schönberg- Schule sind das beste Beispiel, der große österreichische Roman des 20. Jahrhunderts, die moderne Frauenlyrik oder die „Wiener Schule der Phantastischen Malerei” ließen sich, in Abstand, noch anfügen.

Das Festwochenprogramm will nun einige dieser Beispiele oder Bausteine — verschollene, bekannte, neue — hervorheben, um so einen eindrucksvollen Hinweis auf Wiens ungebrochene musische Ausstrahlung zu geben. So bringt das Programm:

• 40 Werke im glanzvollen Repertoire der beiden Wiener Operntheater. Damit soll auf die Bedeutung, die die Oper immer in Wien gespielt hat, hingewiesen werden.

• Zehn Orchester beim Internationalen Musikfest der Gesellschaft der Musikfreunde. Neben den Gastorchestern aus Berlin, Budapest und Bonn sind erstmals auch die Bundesländer musikalisch im Festwochenprogramm vertreten. Mittelpunkt des konzertanten Programmes aber werden sechs Autographenausstellungen im neuerrichteten Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde sein,. die von Bachs „Matthäuspassion” bis zur Schönberg-Schule bedeutende Schätze an Handschriften der Meister zum erstenmal in Wien versammeln.

• 15 Premieren meist österreichischer Autoren auf allen Wiener Bühnen. Hier interessiert zum Beispiel ein Einakterabend des Josefstädter Theaters, der neben einst sehr bekannten Werken von Auemheimer und Salten Piero Rismondos „Michaeler- platz” zur Uraufführung bringt.

50 Ausstellungen in Wiener Museen und Galerien. Hier hat man sich, in dem Bestreben, auch wieder international angesehene Ausstellungen nach Wien zu bringen, am weitesten vom heimischen Festwochenmotto entfernt. Dennoch wird das Publikum einer

Toulouse-Lautrec-Schau sicher gern zustimmen. Auch die „Kunst der Etrusker” in Wien zu sehen, war schon lange ein Wunschtraum. „Engagierte Kunst — zeitkritische Graphik von Goyä bis heute” gibt einen Überblick über ein Geriet, dein heute, nach Abflauen der abstrakten und informellen Welle, wieder neue Bedeutung zukommt. „Französische Kunst und Kultur des 18. Jahrhunderts” ist eine Erwiderung auf eine österreichische Ausstellung in Versailles. Die neue Galerie sowie die neuaufgestellte Sammlung alter Musikinstrumente sind wertvolle Beiträge des

Kunsthistorischen Museums wie die Alber- tina-Ausstellung oder „Das barocke Wien” des Historischen Museums unserer Stadt.

14 Uraufführungen im Theater an der Wien. Die Eigenveranstaltungen und Gastspiele der Festwochenintendanz im Theater an der Wien vervollständigen das Österreichprogramm. Die Fülle von Uraufführungen, durchwegs glückliche Funde der Intendanz und ihrer , Mitarbeiter, soll den Mittelpunkt des Österreichprogrammes bilden. — Cal- deröns „Die Welt ist Trug” soll, heben seiriöfif auch heute ergreifend menschlich-religiösen Inhalt, auch auf die Verbindung der spanischen zur österreichischen Literatur hinweisen. Josef Matthias Hauers Oper „Die Schwarze Spinne”, 1930 feftiggestellt, ist ein großartiges Beispiel für Österreichs heute schon klassisch gewordene musikalische

Avantgarde. Offenbachs „Prinzessin von Trapezunt”, in der Bearbeitung von Karl Kraus urauf geführt, zeigt den Weg von der französischen zur Wiener Operette an einem besonders hübschen, seit 95 Jahren in Wien nicht mehr gegebenem Werk. Alfred Uhls Opera buffa „Der mysteriöse Herr X” mit dem Buch von Theo Lingen soll das immer wieder sehr lebendige zeitgenössische musikalische Schaffen beweisen und das Opernrepertoire weiterhin um ein originelles Genre bereichern.

• Im Nachtstudio werden Albert Drachs skurriles Spiel „Andere Sorgen” als modernes Schauspiel, die Opemeinakter „Szenen aus dem wirklichen Leben” von Ernst Kölz, Text von Ernst Jandl, und „Desperato” von Gerhard Lampersberg mit dem Text von Thomas Bernhard sowie mehrere Ballette der jungen Choreographen Herbert Nitsch, Eva Bernhofer und Alois Mittenhuber gezeigt, wodurch auch die Avantgarde zu Wort kommen soll.

• Das Ballett der Württembergischen Staatstheater Stuttgart, wohl das interessanteste im deutschen Opernraum, bringt drei Abende, von denen einer, mit Mozart, Webern und Mahler eigens für Wien konzipiert, eine außerordentliche Huldigung darstellt.

• Das Europagespräch 1966 nimmt mit seinem Thema „Der einzelne und die Gemeinschaft” die in den letzten Jahren in Wien durchgeführte freie Diskussion zwischen Ost und West wieder auf.

• Zu einem „Ersten Österreichischen Amateurtheatertreffen” in den Wiener Gemeindebezirken hat die Intendanz ausgesuchte Laienspielgruppen aus allen Bundesländern eingeladen, um so auf schöpferische Kräfte aus Gegenden, die zum Teil ohne den Einfluß renommierter Kulturinstitute auskommen müssen, hinzuweisen.

Im Grunde soll das Programm der Wiener Festwochen 1966 mit seinen mehr als 1000 Veranstaltungen dasselbe bewirken, was die erstaunlich vielfältigen Programme seit 1951 schon getan hatten: eine dem traditionellen wie dem modernen Wien entsprechende kulturelle Demonstration. Es hat sich in der letzten Zeit manchmal fast ein Anti- Wien-Komplex in Österreich herausgebildet. Selbst die Wiener glauben nicht mehr so recht an die kulturelle Mission ihrer Stadt oder machen es sich zu leicht damit, wie viele vertane Gelegenheiten zeigen. Dennoch ge- rriießt Wien, und dainit ganz Österreich, ih döf ganzen Welt bedeutendes kulturelles Ansehen. Dies nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen, sondern durch die große Kraftanspannung, zu denen die Wiener Festwochen die ganze Stadt aufrufen, immer wieder vor der Welt zu erneuern, ist unsere ehrenvolle Aufgabe.

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