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Die breitere Basis

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Wenn das wiederhergestellte Haus unserer Staatsoper am Ring nun seine Pforten öffnet, so heißt dies weitaus mehr als nur die Wiederaufnahme seiner Tätigkeit im einstigen Umfang und unter den einstigen Gegebenheiten, die sich in den Nothäusern des Theaters an der Wien und der Volksoper während der letzten zehn Jahre eingeschränkt sahen.

Institutionen sind Wesens- und Ideenträger. Bei aller Offenheit der Gegenwart gegenüber stehen sie im Banne von Traditionen ideeller Art. Diese bestimmen grundsätzlich den Trend, die geistige Haltung. Im Gegensatz zur möglichen ungebundenen Freiheit des einzelnen erhebt sich hier immer die Forderung, traditionelles Fundament und Gegenwartsanliegen harmonisch zu vereinigen.

Man könnte verlangen, daß das neue Haus, da unter völlig gewandelten soziologischen Bedingungen, einen ganz neuen Kurs einschlagen sollte. Das wäre grundfalsch. Denn dann wäre die Wiener Staatsoper eben nicht mehr die Wiener Staatsoper. — Sie ist ein Gewachsenes, und ein echt österreichisches Gewachsenes! Ihre Neueröffnung heißt darum nicht nur: Anknüpfung an die alte Situation der dreißiger Jahre; sie heißt: Wiederaufnahme einer Tradition, die selbst in der k. k. Aera des 19. Jahrhunderts, mit dem Bau des glanzvollen Hauses durch van der Null und Siccardsburg und mit der nicht minder ruhmreichen Führung bis hin zu Mahler, Richard Strauß und Franz Schalk nur ihren Ausklang fand und die letzten Endes bis zu den Uranfängen der Operngattung überhaupt ins frühe 17. Jahrhundert hinabführt.

Diese Tradition „lebte“, ohne daß man sich lange Zeit von ihr bewußt Rechenschaft gegeben hätte. Auch in der neuen Aera der Republik war die festlich-aristokratische Idee weiterhin bestimmend, war Wesen und Nimbus des Hauses. Doch war die Oper zugleich längst, indem sie „ihre Wurzeln immer tiefer in den weiten und ergiebigen Boden des für. Theater und -Musik, in so seltenem Grade empfänglichen Volkes senkte, ein öffentliches Gut geworden“, wie Franz Schalk in seiner Einleitung zu R. Haas' „Die Wiener Oper“ (1926) schreibt. Und er charakterisiert die Situation von damals — wie von heute — mit den treffenden Worten: „Zu den kostbarsten und eigenartigsten Erbgütern aus der Zeit fürstlichen Prunkes und höfischer Herrlichkeit gehört die Oper in Wien. Sie ragt in unsere von Nöten aller Art umdrängte Zeit hinein als ein Besitz, den jeder in seiner überkommenen Größe zu erhalten wünscht und der doch seine alte, durch Jahrhunderte unerschütterte Existenzbasis verloren hat. Sieht man, auf welchem Boden das heute in deutschen Landen fast einzig dastehende Institut aufgewachsen, unter welch besonders glücklichen Umständen es groß geworden ist, so vermag man leicht auch die möglichen und wahrscheinlichen Linien in den leeren Raum der Zukunft einzuzeichnen.“

Das Barocke ist Wesensgrundlage des Wiener-tums, es ist auch traditionelle Wesensgrundlage unseres Opernhauses. Die Geschichte der Bildung des Wiener Volkes durch die seinem Wesen so entsprechende Barockzeit muß erst einmal geschrieben werden, und sie wird gerade die bedeutsamen Unterschiede eigensten österreichischen ■ Wesens zu anderen deutschen Kulturbereichen in vollem Umfang dartun. Was unsere Oper angeht, so war es das Verdienst der damals weltweiten wie weltberühmten Wiener Schule der Musikwissenschaft im ersten Drittel unseres Jahrhunderts, die Schule Guido Adlers, die diese Grundlagen musikalisch mit ihren Barockforschungen ins Bewußtsein hob. Guido Adler selbst, Egon Wellesz, RobertHaas mit anderen Mitgliedern der Schule letsteten diese Arbeit, während Rudolf von Ficker zum praktischen Erschließer mittelalterlicher Musik wurde, Alfred Orel. AlbertSmijers Spätmittelalter und Renaissancezeit ihr Augenmerk zuwandten, und Wilhelm Fischer seine Kraft der Wiener Klassik widmete, die dem universalen Geiste Guido Adlers nicht minder am Herzen lag wie das baroek oder das 19. Jahrhundert (Wagner) und selbst die Gegenwart (Gustav Mahler).

Jetzt erst wurde nach den Vorläuferarbeiten Mantuanis, von Weilehs und Wallaschek das Barock systematisch erschlossen, und diese Arbeiten der Wiener musikwissenschaftlichen Schule von einst bedeuteten die erste und grundlegende Erhellung auch unserer Operntradition. Sie sollten im übrigen für das allgemeine Gegenwartsbild des Theaters von nicht geringer Bedeutung werden.

Guido Adler gab M. A. Cestis „II. Porno d'oro“ heraus, das gewaltigste Theaterwerk der Barockzeit, das zur Hochzeit Kaiser Leopolds 1666/67 erklang, die „Kaiserwerke“; Egon Wel-lesz wandte sich dem größten österreichischen Barockmeister, Johann Joseph Fux, zu und veröffentlichte dessen „Costanza e Fortezza“, ein Werk, das zur Königskrönung in Prag, 1723, erklang und eine der größten Freilichtaufführungen aller Zeiten war. Robert Haas, dem wir die erste grundlegende Darstellung der Musik des Barockzeitalters überhaupt nebst speziellen Darstellungen aus der Operngeschichte verdanken, veröffentlichte eine Reihe von Werken des 18. Jahrhunderts, wie er auch Monteverdi seine besondere Aufmerksamkeit zuwandte, Werke von Gaßmann und Schenk, Glucks Don-Juan-Ballett, Umlauffs „Bergknappen“, mit denen das Nationalsingspiel 1778 eröffnet wurde, und legte mit seinen „Komödienarien“ Urgründe des deutschen Singspiels im heimischen Wiener Boden frei.

Mit diesen Arbeiten wurde der Blick für das Wesen unserer Staatsoper geschärft, Grundlage wie Tradition ins volle Bewußtsein gehoben. Und Egon Wellesz, der soeben seinen 70. Geburtstag feierte, betonte in einer damals von ihm geschriebenen gewichtigen Studie zur Geschichte der Wiener Oper in der Barockzeit, daß er mit ihr „für eine Geschichte der Musik der Wiener Oper eine breitere Basis schaffen“ wollte.

Wie Guido Adler in seiner Freundschaft mit Gustav Mahler, dem er eine erste Abhandlung widmete, zugleich in lebendiger Gegenwartsbeziehung zum Hause stand, so fanden Wellesz' „Bacchantinnen“ — und Wellesz ist der einzige des wissenschaftlichen Kreises, der zugleich als Komponist sich einen Namen machte — unter Clemens Krauss 1931 hier eine glanzvolle Darstellung.

Wenn bei der Wiedereröffnung unseres Hauses Haltung und Aufgabe sowie der kommende Weg aus vollem Bewußtsein der Tradition in klarstem Lichte liegen, so geziemt es sich, bei diesem festlichen Anlaß jener, einstigen musikwissenschaftlichen Schule, die noch in aller Welt lebt und wirkt, dankbarst zu gedenken. Ihr verdanken wir die grundlegenden Erhellungen der großen Tradition dieses Opernhauses. Darüber hinaus hat sie mit ihren Forschungen damals nicht nur den Ruhm österreichischer Vergangenheit verkündet, sondern, selbst ein Ruhm unseres Landes, Zeugnis wahrhafter musikwissenschaftlicher wie musikalischer, österreichischer Kultur der Gegenwart abgelegt.

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