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In memoriam: Joseph Lechthaler

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Je bedeutender ein Mensch in seiner Zeit ist, desto schwerer ist sein Persönliches zu erkennen, zu verstehen. Denn es tritt hinter die erkannte Aufgabe zurück, die, je stärker die Begabung, um so verpflichtender erscheint und ihren Träger in immer steigendem Maße beansprucht. Das persönliche Wohlergehen eines Großen wird oft auf einen Grad zurückgeschraubt, den Durchschnittsmenschen unverständlich und wenig begehrenswert finden. Die Feststellung, „sein Beruf hat ihn aufgezehrt", entspricht in einem höheren Sinne der Wahrheit, ist gleichsam letzte Formel, nicht des Berufes, doch der Berufung, des Bewußtseins der Verantwortlichkeit eines auserwählten Herzens.

'Zu diesen Auserwählten gehört, uns nun entrissen, Joseph Lechthaler, in dem seine Zeit einen ihrer geistigsten Menschen, ihrer bedeutendsten Komponisten und berühmtesten Lehrer verlor; einen, der in Künstlereitelkeit wohl hätte von sich sagen können: „Nennt man die besten Namen, wird auch der meine genannt." Doch Eitelkeit war ihm wesensfremd. Von sich sprach er überhaupt nur, wenn es die Lauterkeit seines Schaffens, die Reinheit seines Wollens gegen Unverstand und Mißgunst zu verteidigen galt. Er mußte es mehr, als er es zu müssen begriff. Seine friedlicher Arbeit hingeneigte Natur war ständig in den Widerstreit der Meinungen gestellt. Denn seine Musik war neu, kühn und aller Gewohnheit abgeneigt. In einer Zeit verdünntester Romantik und müden Epigonentums fand er seine Linie und Harmonik, von ihm selbst als „Atonalität der Kirchentöne" bezeichnet, und wies damit neue Wege, die zu gehen, und fand mehr als einmal auch die Ziele, die zu erreichen waren. Schon als Kind von dem berühmten P. Magnus Ortwein in Musik unterwiesen und auf das sakrale Gebiet hingelenkt, blieb er diesem bis an sein Lebensende treu. Sein letztes Werk ist Kirchenmusik wie sein erstes und seine bedeutendsten überhaupt. Von ihnen haben das „Stabat mater"und die Missa „Gaudens gaudebo“ europäische Berühmtheit erlangt. Ersteres kann als eines der schönsten Werke des Expressionismus gelten, letzteres bedeutet die endgültige Absage an die Romantik und das Finden eines neuen Stilprinzips, dessen lapidare Formen in der „Wiener Singmesse“ ihr klassisches Gepräge zeigen und in seinem letzten Werke, der Missa „Rosa mystica“, zu milder Verklärung sich runden. Lechthaler Musik ist der von genialem Geiste geformte seelische Impetus und ist dem eigentlich Konzertanten abgewendet. Das macht ihn zum Kirchenmusiker besonders berufen. Zudem: sein künst lerisches Schaffen erfließt aus tiefer Gläubigkeit und bedeutet selbst ohne Worte gleichsam liturgischen Dienst. Dies wandelt auch seine wenigen weltlichen Werke zum geistlichen Erlebnis.

Stand Lechthaler dergestalt von seinen Anfängen her bereits im Gegensatz zur herrschenden kirchenmusikalischen Gewohnheit, wurde er im gleichen Maße Vorbild und Lehrer der jungen Generation, die zur Gewohnheit im gleichen Gegensätze steht und ihrem Gott- und Welterleben neue Ausdrucksmöglichkeiten sucht. In seinen ersten Messen, der Clemens-Hofbauer-Messe und der „Patronus Ecclesiae“ führt er schon weit über das Brucknersche Erbe hinaus, einer neuen Musica orans entgegen. Die beiden Werke sind, anfangs unverstanden, heute kirchenmusikalisches Allgemeingut geworden. Lechthaler erkannte die Aufgabe, die ihm aus seiner Vorrangstellung für die Jugend erwuchs. Es galt, eine ganze Generation dem immer substanzloser werdenden musikalischen Relativismus zu entreißen und zum abso luten Kunstwerk hinzuführen; nicht in Nachahmung, vielmehr in Neugestaltung und Neuformung. Nach seiner Promotion zum Dr, phil. unter Guido Adler und neuen kirchenmusikalischen Studien übernahm er 1933 die Leitung der Abteilung für Kirchen- und Schulmusik an der Wiener Musikakademie und erfaßte, die quellhaften Zusammenhänge zwischen beiden Gebieten erkennend, seinen zweiten Beruf, den Lehrberuf, mit der gleichen beispielhaften Gründlichkeit. Wie der Choral als Grund alles sakralen, galt ihm das Volkslied als Mittelpunkt alles weltlichen Musizierens. Streng im Handwerklichen und anspruchsvoll im verlangten Arbeitspensum, führte er darüber hinaus in milder Behutsamkeit jede Begabung in die Richtung ihrer Eigenart und ebnete, wo er nur konnte, die Wege zu ihrer Entfaltung. Es gibt keinen seiner Schüler, der ihn nicht liebte, keinen, für den er nicht persönlich-einsprang, wenn es die Aufführung eines Werkes, die Vermittlung eines Verlegers oder sonst kameradschaftlicher Hilfe bedurfte. Und wenn sich heute in der Jugend mehr und mehr eia neuer Geist des Musizierens durchsetzt, der von eingelernter Leier und inhaltslosem Gesinge, das durch seine Leere unmittelbar in die Dekadenz des -Schlagers führte, wieder zum bewußt geformten Liede und seiner Kraft findet, hat Lechthalers Lehrtätigkeit hieran entscheidenden Anteil.

In Würdigung dieses vorbildlichen Wirkens zum Regierangsrat ernannt, wurde Lechthaler 1938 gleichwohl in der damals üblichen brüsken Weise von seinem Posten entfernt. 1945 im Triumph zurückgeholt, stand er, von schwerer Krankheit äußerlich genesen, dennoch bereits im vorausgeworfenen Schatten der Sense. Ein Herzschlag vollendete am 25. August sein irdisches Dasein, ein reiches und opferreiches Leben. In seinen Werken und in seinen Schülern hat er sich zweimal ein lebendiges Denkmal gesetzt.

Die kirchenmusikalische Werkwoche am Brenner weihte dem großen Dahingegangenen einen von Trauergottesdiensten umrahmten Tag des Gedenkens. Die Symbolik der Feier wirkte erschütternd: Kirchenmusiker verschiedener Völker, weit über alle Grenzen hinaus zu Hütern seines Erbes berufen, im Mittelpunkt seiner geliebten Tiroler Heimat zu seinem Gedenken versammelt. Der Abschied wurde zum Versprechen.

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