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Lob der Unbelobten

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Wie sehr der Gesang im Herzen der Wiener Rechte neben dem Orchester genießt, beweist überzeugend der Zusammenschluß eines für eine Weltstadt unverhältnismäßig großen Teiles der Bevölkerung zu Chören. Dieser Zusammenschluß bedeutet selbtlosen, mit Arbeit und Kosten verbundenen Dienst an der Musik ohne die geringste Aussicht auf persönlichen Erfolg oder Vorteil, da der einzelne, in seiner Tätigkeit ungenannt und ohne Graduierung, nur die Wirkung des Ganzen im Auge und in ihr seine einzige Entschädigung hat. Es ist gewiß kein Zufall, daß der große Chorerzieher Viktor Kel- d o r f e r, dessen fünfzigjähriges Dirigentenjubiläum und mehr noch sein auch im Schatten bewährtes österreichertum vor kurzem festlich begangen wurde, hier sein Wirkungsfeld gefunden und mit der Wiener Freude am Chorgesang die halbe Welt zu erfreuen vermochte. Auch die Jugend ist dieser Tradition treu geblieben und hat ohne langen Übergang von der „Erika" und dem Englandlied zum „Heidenröslein“ und „Lindenbaum" „heimg’funden“. Einen Chor zu gründen ist in Wien auch heute noch leichter, als ihn zum Beispiel mit Notenmaterial zu versorgen. Und wenn auch nicht alle diese singenden Gemeinschaften einen gleich steilen Anstieg ins Künstlerische erleben wie der „Jung-Wien“ genannte jüngste Großchor Wiens unter seinem vorbildlichen und strengen Leiter Leo Lehner, so blühen doch ihre klingenden Blumen tief in unser schwergeprüftes Volk hinein und duften heimatlich vertrauter als mancher mit internationalem Glockenspiel behängte Name, der plötzlich Heimweh bekam nach den Wiener Konzertsälen.

, Die heimische Chorkünst legt nicht viel Wert auf internationale Namen. Wir hörten, von der Bach-Gemeinde veranstaltet, das „W eihnachtsoratoriu m“ ohne sie. Nur e i n großer Name stand auf dem Programm: Johann Sebastian Bach, dem von Namenlosen mit hingebendster Liebe gedient wurde und dessen tönendes Bildnis in weihnachtlicher Nähe und Wärme erstand. Namen lassen kalt, dienende Arbeit wärmt. Es war seltsam bezaubernd, wie die herkulische Gestalt des gänzlich unproblematischen Dirigenten, wiewohl (vielmehr weil) er die Lage beherrschte, bewußt immer kleiner und winziger wurde vor dem immer größer werdenden Schatten des Koma ponisten. Wir haben das Weihnachtsa oratorium auch schon anders gehört. Viela leicht war die Wiedergabe technisch volla endeter, gewiß sogar; die heimatliche Una mittelbarkeit aber fehlte. Diese aber ist es, die unser Musizieren zur Weltberühmtheit gemacht hat.

Der neugegründete Universitätsa c h o r widmete sein erstes Auftreten den Werken des Österreichers Johann Josef Fux (1660 bis 1741), der nacheinander Schottenorganist, Dom- und Hofkapellmeister zu Wien war. Zweifellos hatte er zeitlebens bessere Interpreten als posthum. Von den Namen mit großem Klang hat sich noch keiner des seinen erinnert. Ein Anfängerchor tat es und bewies dadurch trotz seiner noch mehr tastenden als gekonnten Arbeit das Recht seiner Existenz. Die heimische Chorkunst weiß den Weg in die heimischen Gärten und die ihn gehen, werden bestehen.

War es ein Versehen oder eine heitere Fügung des Christkinds, daß die „Neue Advent- und W eihnachtsmusi k", die von der Musikakademie in einem geistlichen Konzert geboten wurde, wieder mit J. S. Bach begann? Das weitere Programm bewies in der Tat, wie neu der Thomaskantor und wie alt das Neue ist, Heillers Partita mitgezählt. Das in mathematischen Bezirken su di ende Mühen nach neuen musikalischen Möglichkeiten will uns seit dem Jahre 1000 nicht mehr recht als neu gelten:

vielmehr heute und eh die Eroberung des Seelischen, wie sie hier nur Lechthaler ‘und Karl Walter in kleinen Kompositionen gelang, aber in Fülle dem tiefen Meere entsteigt, das Bach heißt. Audi hier ist es eine Gemeinschaft der Jungen, die den Spiegel chorischen Geschehens von einst und jetzt aufzeigt, auf das Volkslied hinweist und damit lebendig hält, was die Großen übersehen. Mag auch wieder die Technik nicht vollkommen sein, deren Vollendung so leicht zum „Betrieb“ wird; der Dienst am Werk geschieht um so überzeugender, je namenloser er geschieht. Denn Namen überzeugen nicht. Von ihnen weg, die ihr den Boden entziehen, hat die Kunst sich immer ins Namenlose geflüchtet und ist dadurch unsterblich geblieben. Das gibt uns auch heute die Ruhe des Über'egenseins, wenn eine Musikbetriebsamkeit von allen Plakaten schreit und die Musik dem Herzen immer mehr entfremdet. Man sollte die Aufführung einer Handvoll (mehr ist es nicht) berühmter Kompositionen von Haydn bis Bruckner für einige Zeit verbieten und die lauten Namen wären so lange verschollen. So groß ist ihr Dienst an der Kunst. Die Unberühmten aber würden ihre Erbschaft nicht antreten wollen, sondern den namenlosen Dienst an der Kunst unbeirrt weiter verrichten, nicht als Sterne am Goldregenhimmel, sondern wie alles Wurzelhafte im verborgenen, ferner dem Glanz, aber näher den Quellen, der Frejde des Herzens zuliebe, der das chorische Singen vor allem andern treugeblieben ist.

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