6543816-1947_03_10.jpg
Digital In Arbeit

Bundesmelodie ohne Worte

Werbung
Werbung
Werbung

„Je preiser ein Werk gekrönt wird, desto dureber fällt es.“

(Hellm esberger)

Es gibt wirklich Fragen, die man nicht beantworten kann. Zu ihnen gehört die, ob wir nun eigentlich eine neue Volkshymne haben oder nicht. Offiziell ist Mozarts .,Bundeslied“ dazu erklärt worden. In Wahrheit aber ist eine Melodie zur Volkshymne ernannt worden, die weder hymnisch noch volkstümlich ist und zu der es außerdem gar keinen Text gibt. Sie ist auch gar keine Volkshymne geworden, sondern bloß eine Bundesmelodie ohne Worte, und streng genommen wäre es auch schade um die letzteren. Denn diese Melodie wurde nicht aus einer unbekannten Schatzkiste gehoben, sondern stand schon in den Liederbüchern unserer Großeltern, die davon nicht begeisterter waren, als wir es sind. Sie ist demnach trotz ihrer Sanebarkeit keine Volksmelodie^und wird auch keine werden, sonst wäre sie es längst. Dazu steht sie nodi in dringendem Verdacht, gar nicht ihres angeblichen Vater Mozarts Kind zu sein, von den anderen Einwänden gegen ihre .Vervolkshymnung“ ganz zu schweigen. Ihre Ernennung geschah keinem zuliebe, doch zieht sie bereits einen Rattensdiwartf von Ärgeriichkeiten und Lächerlichkeiten hinter sich her.

Da es jedoch aus genugsam erörterten Gründen, die trotzdem nicht jeden überzeugen, nötig war, zu einer neuen Volkshymne zu gelangen, wurde der Weg des Preisausschreibens, der Musikinflation beschritten, der Weg also, der am sichersten zur Niete führt. Außerdem hat - man statt eines Hauses nur ein Dach gebaut, hat eine Weise prämiiert statt eines Textes, wo doch eine Volkshymne vor allem ein Gedicht ist. Wenn es galt, Österreich im Hymnus ein Gesicht zu geben, so mußte dies voran der Dichter tun. Erst zu dem vollendeten Gedicht konnte eine alte oder neue Weise gefunden werden. Das „M usikbedich-ten“ bleibt stets „Betrieb“ und Verkehrung.

Gerade der Mangel einer geeigneten Dichtung scheint indes auf die tiefere Ursache der verfehlten Volkshymne hinzuweisen. Hat Österreich heute schon ein Gesicht, das künstlerisch nachgestaltet werden kann? Ist es jene Einheit, die sich in Vers und Weise spiegeln muß? Wir haben uns aus dem drohenden Chaos gerettet und mit Hintansetzung aller Sonderinteressen gemeinsam das erste Wegstück durch die Schuttmassen der zertrümmerten Heimat freigelegt, und wir dürfen erwarten, wenn wir mit Kraft, nicht mit Kräften, weiterbauen, demnächst ein gesäubertes Haus zu haben und Herr darin zu sein. Wir sind es noch nicht. Noch gehen unsere dringendsten Sorgen um das Stück Brot, das npch lange kein Friedensbrot ist, um die warme Stube, um die Frage von morgen. Es ist alles noch zu fließend, um Gestalt zu haben. Dem Diditer fehlt der Stoff. Was davon vorhanden ist: Aufmunterung, Blick in die Zukunft, Mahnung zur Eintracht, Würdigung der durchgemachten Leiden, des Ausharrens, des großen Willens zum Aufbau einer besseren Zeit — genug zu hundert Hymnen an das österreichische Volk, zu wenig zur Volkshymne. Denn diese ist das Lied der Einheit und Freiheit des Volkes. Können wir, solange wir nicht frei sind, ein Lied von unserer Freiheit singen? Dem Dichter fehlt der Stoff.

Zweifellos kann nun jeder Journalist ein Gedicht und jeder Karellmeister eine Singweise verfertigen, die beide nicht übel, unter Umständen sogar besser sein mögen als die preisgekrönte Melodie und der überhaupt

nicht vorhandene Text; trotzdem werden sie nicht zur Volkshymne taugen. Hier entscheidet weder Können noch Schnell-macherei. sondern das Einmalige, der Einfall aus dem Herzen des Volkes. Die schönsten Verse verpuffen, wenn sie nicht das Herz aller österreicher.*vom ersten bis zum letzten, bewegen; die wirkungsvollste Komposition läßt uns kalt, wenn sie diese Bewegtheit nicht ohne Nebengeräusche in Rhythmus und Klang zu bringen vermag. Die Hayden-Melodie ist der allereinfachsten eine und mühelos in ihrer Struktur nachzuahmen; dennoch konnte selbst die nach dem Ergebnis als nahezu anspruchslos zu bezeichnende Jury keiner der 1800 eingesandten Melodien den Preis geben und zog ihnen Mozarts mattesten Einfall vor — wenn er überhaupt von ihm ist. Das Volk ist anspruchsvoller und verweigert die Gefolgschaft. Es wäre eine Grobheit, wollte man es nun etwa, nachdem sida schon der erste Preis als Niete erwiesen hat, mit dem zweiten oder dritten beglücken. Das Odium des Versagens liegt gar nicht so sehr auf der preisrichterlichen Entscheidung und damit auf der Angelegenheit des Preisausschreibens überhaupt, deren negatives Ergebnis wir übrigens, wie bereits gesagt, mehr in der noch unfertigen Erscheinung Österreichs als in der Leistungsfähigkeit der Autoren erblicken.

Ein ähnliches Gefühl mag das Jurorenkomitee veranlaßt haben, der alten Melodie den Vorzug vor allen neuen zu geben, was uns trotz der unglücklichen Wahl im Prinzip richtig erscheint. Nur hätte man in der österreichischen Me'odienfülle ein wenig aufmerksamere Umschau halten müssen, auch über den Rahmen der Einsendungen hinaus,

und den ersten Preis vorerst gar nicht verleihen sollen. In den Werken H a y d n s, Mozarts, Beethovens, Schuberts, Bruckners, Hugo Wolfs finden sich gewiß mehr als genug Melodien, die an Volkstümlichkeit und hymnischer Haltung das Mozart zugeschriebene ..Bundcslied“ weit hinter sich lassen; Melodien, die nicht im schwächlichen Dreivierteltakt dahinschleichen, sondern in gerader, aufrechter Taktart auftreten. Eine Volkshymne ist kein Marsch und keine Fanfare, aber noch weniger ein Vereinslied. Man hatte die Gewißheit, bei Mozart die edle, wenngleich kaum pathetische, bei Beethoven die feierlich ernste, bei Schubert die absolut österreichische Note zu finden. Statt dessen wurde mit der fatalen Sicherheit des Verkehrten aus einem Musikschatz, der alle Völker der Erde mit Hymnen versorgen könnte, genau jene

Melodie offiziiert, deren Armseligkeit

Österreich lächerlidi machen würde.

Es gibt nur einen Weg aus der Sackgasse, in der die Angelegenheit nun einmal steckt, nur einen, der Österreichs Würde entspricht: den W e gt z u r ü c k. Warum weiter an dem Irrtum festhalten, als der sidi das Preisausschreiben längst erwiesen hat? Daß dabei nichts mehr herauskommt* am wenigsten eine Volkshymne, dürfte klar genug geworden sein. Es ist Zeit, die Angelegenheit samt der Bundesmelodie abzublasen und einen neuen, besseren Weg zur Volkshymne zu suchen, jedenfalls eine festlichere Weise aus dem Schatz der heimatlichen Fülle ■zu heben, der einzigen Fülle, die uns geblieben ist und zu allen Zeiten bleiben wird. Ziehen wir sonst so gern die Musik unserer alten Meister der zeitgenössischen vor. dann erst recht und mit mehr Berechtigung, wenn es sich um eine Volkshymne handelt, um ein Lied also, das allen Stilistischen Ismen entrückt sein soll.

Die zeitgenössischen Dichter hingegen müssen wir aufrufen zum Hymnus des Vaterlandes, der zur Stunde den größeren Meister verlangt vor Drama, Roman und Epos. Er muß in schlichten Liedversen alles zusammenfassen, was uns der Name Österreich bedeutet; kein Programm, kein Poliri-kum. sondern ein Volksbekenntnis. Er muß unserer Sehnsudit, unserer Liebe und absoluten Treue, unserer — Demut Wo-te geben, die tiefster Besitz der Herzen sind. Weldier Dichter vermag dies? Die bedeutendsten Namen werden klein und unzulänglich vor der gewaltigen Aufgabe. Und dennoch lasen wir vor wenigen Wo 1 en ein Gedicht, das ganz bescheiden, wie das Gute zumeist, in einer illustrierten Wiener Monatsschrift seine unaufdringliche Stimme erhob und nichts anderes ist als ein demütiges Liebeslied an Österreich: wir meinen

die „Österreichische Hymne“ von Franz

Th. Czokor. Sagt sie auch nicht alles, was uns im Herzen lebt, so sagt sie doch mehr als jedes andere bisher veröffentlichte Gedicht, und nichts, was nicht in jedem Österreicher ein volles Echo fände. Wenn es für allzu Ängstliche den Fehler hat, daß man es nach der alten Haydn-Melodie singen kann, die der Diditer für ihren Mißbrauch durch ein Regime, das ihn selbst als Flüchtling von Fremde zu Fremde trieb, gar nicht so verantwortlich macht, als andere Kreise es tun, so diene diesen Ängstlichen zur Beruhigung, daß man es ebenso zu den Melodien „Freude, schöner Götterfunken“ und ..Grünet, Felder, grünet, Wiesen“ sowie vielen anderen singen kann, daß also ohne Zweifel eine große edle österreichische Weise dazu gefunden werden könnte.

Wir wollen nicht propagieren, sondern beleuchten, wie eine Volkshymne zu gewinnen ist. Bestreben. Leistung und Wertung müssen von allen persönlichen und parteilidien Erwägungen völlig frei, von selbstloser Demut und Liebe für Österreich erfüllt sein. Mit einem Prcisaussdireiben geht es nicht. Vielleicht geht es ohne dieses. Die Volkshymne ist' das erste Lied des Volkes. Sie schafft man nicht, um einen Preis zu gewinnen, sondern um der Heimat einen zu geben.

Keinesfalls aber ist der Mißbrauch länger 'tragbar, der durch die unglückselige Angelegenheit des Preisausschreibens und seiner Folgen mit dem Ansehen des Volkes getrieben wird. Man ist es Österreich und den Österreichern schuldig, die Niete aus der Welt zu schaffen. Dies wird um so dankenswerter geschehen, je schneller es geschieht.

Worauf warten wir noch? Die Bundesmelodie ist tot. Es lebe die neue Volkshymne!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung