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Das barocke Theater

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Der Festspielgedanke ist uraltes Erbgut, in der Antike geboren, immer wieder in neuer Form erstanden, um schließlich im Theater des Barock ' eine grandiose Verschmelzung von Wort, Ton und Farbe, ein gegenseitiges Durchdringen von Dichtung und Musik zu erreichen, die* den Alltag zum Fest wandelte. Unsere Sehnsucht nach diesem Barpektbeater blieb jahrelang ungestillt. Aber gerade die äußere Unrast der Welt drängt uns zu einer Verinnerlichung, die sich auch im Theatergeist offenbart. Der alpenländische Bauer holte in Notzeiten seine alten religiösen Spiele hervor, um in ihnen Trost zu suchen. Aas diesem inneren Sehnen erwuchs auch nach dem ersten Weltringen der Salzburger Festspielgedanke, und der große europäische Widerhall war der Beweis dafür, daß der Glaube an ein geistiges Europa noch nicht zerstört war. Wenn auch in diesem Jahr die Salzburger Festspiele in ganz Europa tmd selbst in überseeischen Ländern z* einem kulturellen Anziehungspunkt geworden sind — dieses Interesse drückt sich, durch die Reise-sdrwierigkeiten bedingt, allerdings nur im Besuch der ausländischen Pressevertreter am —, so können wir hoffen, daß Salzburg wieder auf dem Wege ist, Sammelplatz elementarer Theaterkultur zu werden. Warum gerade Salzburg hiezu auserkoren ist, begründete Hugo von Hofmannsthal: „Das Salzburger Land ist das Herz vom Herzen Europas. Es liegt halbwegs zwischen der Schweiz und den slawischen Ländern, halbwegs zwischen dem nördlichen Deutschland und dem lombardischen Italien; es liegt in der Mitte zwischen Nord und Süd, zwischen Berg und Ebene, zwischen dem Heroischen und Idyllischen; es liegt als Bauwerk zwischen Städtischem und Ländlichem, dem Uralten und Neuzeitlichen, dem barocken Fürstlichen und lieblich ewig Bäuerlichen: Mozart ist genau der Ausdruck von alldem. Das mittlere Europa hat keinen schöneren Raum und hier mußte Mozart geboren werden.“

Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt, die zwei heimlichen Verwandten der barocken Kunst, der Dichter, dessen Schaffen aus dem letzten Ausklang der großen Wiener Barockzeit die entscheidenden Theaterimpulse erhielt, und der große Regisseur, der von Sehnsucht nach dem Barocktheater erfüllt war, strebten nach einer Gestaltung„ die das barocke Element österreichischer Theaterkunst zu neuem Leben erwecken sollte. Diese Gestaltung konnte nicht besser verwirklicht werden als in dem religiösen Drama, das dem irrationalen Sehnen entgegenkömmt, in der „Jedermann“-Aufführung auf dem Salzburger Domplatz.

Darum wurde auch in den diesjährigen Festspielen die Traditio? wieder aufgenommen. Ein strahlender sommerlicher Spätnachmittag mit südlich-blauem Himmel verklärte die Domfassade mit den bewegten Statuen der Bischöfe; im Glanz der scheidenden Sonne leuchteten die Türme als Hintergrund auf. Ein Kontrast zur prächtigen Barockkulisse das leere Brettergerüst, auf dem das übermütige Leben und schwere Sterben des „Jedermann“ sich abspielen sollte. Heiter hob das Spiel mit einer Altsalzburger Spielansage an, die von den Zinnen der Bogengänge herabklang. Dann rauschte ein Renaissancefest aus den Tagen Lorenzos des Prächtigen auf, bis von den Dächern des Palastes und von der Hohensalzburg die geisterhaften Rufe nach dem sündigen Jedermann hallten, die Glocken dumpf tönten und aus dem. Inneren des Domes Musik strömte. Die Ankündigung des Todes ließ den übermütigen Gästeschwarm zerstieben. - Arm und bloß stand „Jedermann“ auf dem leeren Bretter-1 gerüst. Nun, da sich das Lebensfest .um Mysterium gewandelt hatte, gewann der sakrale Schauplatz besondere Bedeutung — Werke und Glaube waren wie lebendig gewordene Statuen des Domes1, und endlich verkündete der feierliche Klang der Orgel „Jedermanns“ gottversöhnten Heimgang.

War es eine Aufführung wie in jenen glanzvollen Tagen, da Max Reinhardts formende Hand die Geschehnisse auf dem einfachen Brettergerüst lenkte? Noch spürte man seine geniale Wirkung; Heinz Hilpert versuchte, die Tradition Reinhardts fortzusetzen, schuf manches Neue, das den neuen Schauspielern und unserer Zeit angepaßt werden mußte. Trotzdem: alle fühlten, daß die Aufführung ein Torso blieb, :den - ein anderer Meister nicht ergänzen konnte, ohne daß man die Bruchstellen sah.

Hervorragend waren die schauspielerischen Leistungen Ewald Baisers in der Hauptrolle als „Jedermann“, von Helene T h i-m i g als „Glaube“, Frieda Richard als „Mutter“ und Alma S e i d 1 e r als „Gute Werke“. Leider war ein Teil der übrigen Leistungen nicht ganz ausgeglichen. *

Im Salzburgischen lebt der barocke Theatergeist mit den tollen Verwandlungen auch in der kultivierten Stegreifkunst, die die heimisch gewordene Commedia dell'arte aus dem Barock der Volksdichtung in den Bezirk der Kunstdichtung hinüberführte. Das Stegreiflustspiel mit seinen weiten schauspielerischen Möglichkeiten zog Max Reinhardt besonders an. In Carlo Goldonis „D e r Diener zweier Herren“ fand er ein Motiv, durch dessen Neubeleburig versunkene elementare Lustspielherrlichkeit ans Licht gehoben wurde, und sehr geschickt der zwischen italienischer und deutscher Zone liegende Wiener Ton mit der romanischen Atmosphäre vermischt war.

Hermann T h i m i g hat die Inszenierung Max Reinhardts als Grundlage genommen und servierte das heitere Spiel mit den Verkleidungen, Verwechslungen und bunten, sich übersprudelnden Einfällen so bezaubernd liebenswürdig, daß es als ein Glanzpunkt der Festspiele herausleuchtet. Sein Truffal-dino hat bewiesen, daß die verfeinerte Hanswursttype, wie sie Kurz-Bernadon darstellte, nicht ausgestorben ist. Wenn auch neben dieser Rolle die anderen Darsteller wenig Gelegenheit fanden, sich besonders zu entfalten, so war das Gesamtbild der Aufführung so abgerundet, wie es nur in der Tradition des Burgtheaterensembles möglich ist. Auch die leichte, fröhlich schimmernde Musik von Bernhardt Paumgartner trug mit dazu bei, daß in italienischem Gewände ein Stück wienerischer Freude und die Elemente des Altwiener Theaters in Reinkultur wieder erstanden.

Mozart, der dämonisch-barocke Mensch, wurde, ebenso wie später Grillparzer und Raimund, unmittelbar von der barocken Theaterherrlichkeit befruchtet. In seiner Jugend hat der Genius die Musik der Kirchenglocken und Marmorbrunnen Salzburgs in sich aufgenommen, zugleich auch die ktzten Ausläufer des barocken Theaterprunkes im Salzburger Hoftheater erlebt. Alle Typen des heroischen Theaters, alle Masken der Stegreifbühne tollen in verschiedenen Variationen an uns vorüber, das ganze europäische Theater ist im Äußerlichen der Mozartschen Opern lebendig geblieben.

Stärksten Ausdruck dieser Formen finden wir in Mozarts „DonGiovann i“. Er hob den mit dramatischer Fülle geladenen Stoff vom Boden der Buffa-Oper zur Tragödie empor. Seine Musik gestaltete das Dämonische, Schicksalsgewaltige und schenkte uns damit eine „geistige Schöpfung, bei der das Einzelne wie das Ganze aus einem Geiste und Guß ist und vom Hauch eines Lebens durchdrungen wird“. (Goethe an Eckermann.) Die Aufführung von „Don Giovanni“, mit der die Festspiele eröffnet wurden, zeigte noch keine ganz einheitlich geschlossene Form. Ein prächtiger Rahmen, der von Professor Strnad geschaffen worden war, aber für unser heutiges Bühnenstilgeföhl etwas zu überladen und drückend wirkt, war der Schauplatz, auf dem sich das Menschenseelenspiel entwickelte. Hans H Otters Don Giovanni war ein vom Dämon besessener Held, übergroß noch im Untergang. Dagegen vermißte man das Verführerische, Liebenswürdige, das in dem charmant-innerlichen Duettino oder im wirbelnden Presto des Champagnerliedes zum Ausdruck kommen sollte, das überschäumende Preislied „Vivan le femine“, das männliche Auflehnen an der Schwelle des Todes, war mehr von äußerer Kraft als von innerem Verzehren. Leporello, diesen gerissenen Burschen, gestaltete Georg Hann bis ins Kleinste, und seine gesangliche Leistung zeigte Kultur; besonders gelang ihm die frivol-grausame Registerarie. Von den drei Frauengestalten, die Schicksal und Verderben Don Giovannis sind, war die von Haß und Liebe aufgewühlte Donna Elvira Maud C u n i t z stimmlich und schauspielerisch am stärksten. Von äußerster Präzision war die Führung des Orchesters durch Josef Krips. Seine Leidenschaft, die manchmal fast ein Übermaß erreichte, teilte sich dem Klangkörper mit.

Aus den konventionellen Typen des Barocktheaters entwickelte Beaumarchais in dem Lustspiel „Die Hochzeit des Figaro“ echtes Menschentum, doch erst Mozart hat ihm durch seine Musik ewigen Glanz verliehen. Durch psychologische Vertiefung des dramatischen Vorwurfes brachte er die heitere Spieloper zu einem unerreichten Höhepunkt. Über die Farbenbuntheit des immer durchsichtigen Orchesters erheben sich die schlanken Linien der Singstimmen. Felix P r o h a s k a an der Spitze der Philharmoniker verlieh schon der Ouvertüre, die ein Aufsprühen göttlicher Frohlaune ist, überströmende Feststimmung. Er führte die Sänger und Musiker mit tiefem Einfühlungsvermögen und scheinbar spielerischer Leichtigkeit, hinter der präzise Arbeit steckte in einem klaren Bogen von der gallig-spitzigen Cavatine des Figaro bis zu dem jubelnden Schlußhymnus. Die bewegte Fröhlichkeit der Stegreifkomödie, die immer wieder durchschimmert, kommt am stärksten m der Figur der Susanne zum Ausdruck, die Irmgard S e e f r i e d mit all dem weiblich Lockenden, Kätzchenhaften, Schlauen und dabei doch treu Liebenden ausstattet. Klar und glockenrein war ihre Stimme und besonders die nachtdunkle Gartenarie, in der Mozart so wunderbar das kleine Herz hemmungslos im Gesang verströmen läßt, war ein duftender Reigen der Töne. Maria C e b o t a r i als Gräfin, von dem Schimmer ruhender Menschlichkeit umflossen, ließ ihre Kunst in der großen Arie des dritten Aktes zu wundervoller Höhe ansteigen. Der Figaro von Erich Kunz war ein listig gewandter, allen Situationen gewachsener Vertreter des emporsteigenden dritten Standes. Seine an sich ausgewogene stimmliche Leistung kam sowohl in den Arien als auch in den flüssigen Rezitativen zum Ausdruck. Da auch alle übrigen Partien mit Sorgfalt besetzt waren, fanden die Ensemblesätze eine abgerundete Wirkung. Die Regie von Oscar Fritz Schuh entsprach nicht immer ganz dem Geiste der Musik. Besonders die ersten beiden Akte litten an einer Erstarrung; erst in der Gartenszene lockerte sich die Bewegung.

Aus dem Geiste Mozarts geboren schuf Richard Strauß den „Rdsenkavalie r“. Das Element des Altwiener Volksstückes, Motive aus Buffa-Opern beleben die „Komödie für Musik“. Rokokomäßig stilisierte ars amandi begegnet sich mit tollen SpHssen eines Landiunkers, sentimentale Betrachtungen, adeliges Zeremoniell, Intrigen-spuck, bräutliches Empfinden und Wirt-hauslärm wirbeln bunt durcheinander. Direktor Oskar W ä 11 e r 1 i n vom Züricher Sdiauspielhaus wußte als Regisseur mit allen Mitteln der Theaterkunst diese Farbigkeit sowie das Lokalkolorit des lieben alten Wien mit se:ner würdevollen Bezopftheit lebendig zu machen. Es war nur zu bedauern, daß die Aufführung, die zu einem musikalischen Fest hätte we-den können, durch die Orchesterführung von Hans Swarowsky an Wirkung viel einbüßte. Die Musik schnellt bei aller Unterwürfigkeit schon an sich häufig aus der Reserve empor und gebärdet sich symphonisch, wo accompagnatomäßige Zurückhaltung geboten wäre. Da der Dirigent die Forderung nach Rücksichtnahme auf die Gesangstimmen zu wenig beachtete, deckte das Orchester nicht nur die mittelstarken Stimmen zu, sondern ließ sogar die phänomenale Stimme von Hilde Könetzni — in der Rolle der Marschallin — stellenweise nicht zu Gehör kommen. Der volle Strom der schimmernden Bcgleitpartien, das Ausruhen auf den leuchtenden Quartsextakkorden, ging durch das Hetzen der Tempi vollkommen verloren. Dabei wurde gesungen, schwelgerisch, auv der Kraft des Herzens, aber auch mit einer das technische Können dem Gefühlvollen koordinierenden, dramatisch bewegten Vortragskunst. Im Mittelpunkt der Aufführung stand ohne Zweifel Fritz K r e n n als Ocb von Lerchenau, Seit Richard Mayr wieder der erste Sänger, der die vollsaftige, •falstaffische Figur zur Gänze ausfüllt, voll B'ut und Leben, voll stierigem Zynismus und salonwidriger Manieren. Krenns weicher, gewaltiger Baß, der in allen Lagen ausgeglichen ist, blühte im Rosenkavalierwalzer. Sein Humor und seine urwienerische Lebensfreude rissen die Zuhörer mit.

Wenn die Wiederbelebung des barocken Theaters, der ureigensten österreichischen Theaterkultur, in diesem Jahr noch nicht das Letzte, Höchste gebracht hat, so wissen wir doch, welch Mitgegebene' Hindernisse zu : UbemiWlfeBwSÄSn.äMÖ wie tapfer sie angegangen wurden. Bewiesen wurde: Der Salzburger Festspielgedanke ist lebendig geblieben — er geht seiner Erfüllung entgegen.

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