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Ein Halbjahr Grazer Mysterienspiele

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Ein Erfolg im vorhinein ist der Raum, Bühne wie Zuschauergeviert, die Krypta der Herz-Jesu-Kirche des bekannten Grazer Baumeisters Professor Georg Hauberrisser, des genialen Erbauers des gotischen Rathauses von München, des pietätvoll einfühlsamen Erneuerers der Sebalduskirche von Nürnberg. Wie ein schlanker rosiger Zeigefinger ragt der feingegliederte frühgotische Turm aus dem Häusergewirr, ein glanzumspielter Wegweiser aus den Morgennebeln und Abenddämmerungen zum Äther,zur Obernatur, zu Gott. Un verwischte Spuren eines mitleidlosen Bombenkrieges liegen weitgestreut und hochgetürmt ums Gotteshaus, das wie durch ein Wunder mit unbedeutenden Glasschäden aus dem grausigen Totentanz der Sprengladungen hervorging; düsterste Erinnerungen liegen noch über dem einst so schmucken Park des Münsters: aus den Häusern und Kellern der nahen Naglergasse waren Tote an die Vorplätze der Kirche getragen und auf den Rasenteppich gelegt worden.

Von derlei trüben Erinnerungen umgau-kelt, nähern sich in halblautem Geplauder Gruppen von Spielbesuchern; es ■erstumnat, wenn sie unter den spitzgewölbten Torbogen treten und die breiten Stufen zur dunkelnden Halle niederschreiten. Edelge-formte Eisengitter geben willig den Eintritt frei, das Bild eines mächtigen Schmerzensmannes kauert vornübergeneigt an einer Backsteinwand, das Grabmal des bischöflichen Bauherrn Johannes Zwerger schimmert marmorweiß aus dem verfließenden Dämmer einer Seitenkapelle, bedrückt und erbaut setzen sich die Zuschauer in die Kirdien-bänke.

Fünf backsteinrot glänzende Joche wölben sich und ziehen den Blick magisch nach dem Vordergrund, dem schlichten, ernsten Altaraufbau, der nur mit Kerzenleuchtern und Kreuz hinter dem erhöhten Bühnenraum sichtbar wird, wie organisdi gewachsene Felsen und vorsichtig andeutende Milieukonstruktionen, Säulenschäfte, Gittertor, Glastransparente säumen und rahmen die Stätte wahrhaft sakraler Spiele.

Ein Idealfall ist der R e g i s s e u r. Ein Schauspieler, ein Reinhardtschauspieler, den es von einer Großstadtbühne hinweg in die Geborgenheit eines Dominikanerklosters zog, ein Mönch, den es immer mächtiger „lockt“, was er bisher als gerngehörter Kanzelredner in gefeilter und beseelter Sprache verkündete, im plastischen Gleichnisspiel sinnfällig vor Augen zu stellen. Man merkt es der geadelten Sprache, dem ausdrucksvollen Gebärdenspiel, dem verinnerlichten Ernst der Sprecher, Schauspieler und Tänzer an, daß ein „Mann vom Bau“ in vielen arbeitsreichen Proben sie vorgeschult hat, zur Mission, der er selber gewissenhaft dient, Schönheit, Gedankenreichtum, Erlebnisfülle, Ernst und Erbauung des Lebens, Sterbens und Auferstehens in Gott nicht vorzutäuschen, sondern möglichst spürsam nachzugestalten.

Vertrauensvoll und zweckwillig blickt die S p i e 1 s c h a r, die Gilde Amandus, zu ihrem begeisterten und arbeitsfrohen Lehrmeister P. Johannes Baronig auf. Es sind nicht routinierte Berufsschauspieler, die kaum abgeschminkt und noch bestäubt nach weltlichen und allzu weltlichen Darbietungen von den Brettern, die — Amüsement bedeuten, abtreten, sondern kunstbeflissene Laien, Beamte, in Sonderfällen auch Schauspieleleven. Der Regisseur, der von Meister Steil den Belkanto der Sprache gelernt, hat Max Reinhardt den erfolgreichen „Trick“ abgeguckt, nicht Schablonen von Charakterdarstellern heranzuzüchten, sondern für den einzelnen Fall den „Typ“ zu entdecken, der die gegebene Idee am sinnfälligsten verkörpert und im Zuschauer den göttlichen Funken weckt, den er selber aus Dichtung und Deutung des Regisseurs beglückt empfangen hat.

Fünfmal haben in sechs Monaten des Be-Standes Regisseur und Spielschar die Feuertaufe in Ehren bestanden. Und längst ein dankbares und treues Publikum um sich geschart. Den Auftakt bildete im Allerseclen-monat Johannes Lippls „T o t e n t a n z“, dem Günter Eisel eine sinn- und klangvolle musikalische Rahmung . und Untermalung gab. Es folgte Max Mells zeitnahes, erhebendes „Apostelspie 1“, dann in rascher Folge das Karfreitagsmysterium „D ie neunte Stunde“ von Manfred Kyber und die beiden gedankengesättigten Osterbilder „Auferstehung“ und „M aria Magdalena“ von Berthold Withalm, dem Leiter des Steirischen Kulturwerkes, das den Mysterienspielen Pate stand. Die bisher schwierigste Aufgabe hat sich P Amandus im Monat Mai mit der Aufführung des eigenwilligen Kleinmarien-Legendenspiels „D er Spielmann unserer lieben Frau“ von Franz Johannes Weinrich gestellt. In einem einzigen breitangelegten Monolog galt es die seltsame Geschichte einer überzarten Knabenseele zu versinnbildlichen, die von ihrer Umwelt verkannt, von innerem Feuer durchglüht, sich in Selbstvorwürfen und Liebes-anmutungen erschöpft und verzehrt. Ob wir es psychologisch wahrhaft finden oder nicht, der weltflüchtige „Narr“ wird zum heiligen Träumer, der sich im Wortsinn Erhörung, Erlösung, Begnadung ertrotzt und — ertanzt. Gerade in diesem Stück zeigte sich Baronigs darstellerische Magie, die sein „Medium“ geradezu hypnotisch zu Offenbarungen sensibelster und sublimster Seelenvorgänge zwingt. Sie überzeugend zu gestalten, bemühten sich mit Erfolg Rudolf Weishappels einschmiegsam komponierte Kulttänze.

Es wirkt selbst wie ein kleines Mirakel, eine freundliche Legende, daß nicht bloß Zuhörer aus den verschiedensten Gesellschaftsschichten und Weltanschauungssektofen sich willig in den Bann der Grazer Mysterienspiele begeben, sondern auch die Blätter der drei Parteien einmürig den künstlerischen Gehalt, die kulturelle Mission anerkennen. Das lohnt Bemühungen und Leistungen eines Halbjahrs angestrengter Tätigkeit, spornt zu letzten Verbesserungen und Vertiefungen. Im „Totentanz“ hatten Konventsmitbrüder diskret aber wirkungsvoll liturgische Gesänge beigesteuert. So kehrte das Mysterienspiel gleichsam zu den „Müttern“ zurück, zum Gottesdienst, aus dem sich einst Tragödie und Schauspiel freier und freier löste. Daß solch ideale Mitwirkung auf die Dauer nicht beizustellen ist, liegt auf der Hand. So wird es sich Pater Amandus nicht verdrießen lassen dürfen, sich gleichsam einen attischen Chor von sakralen Sängern heranzubilden. Gesänge und Musik auf Schallplatten aufzunehmen und so konserviert und erstarrt zum verhaltenen aber doch pulsenden Spiel der Darsteller zu fügen, kann nicht voll befriedigen. Leben will zu Leben. Diese ästhetische Forderung darf um so nachdrücklicher gestellt werden, da nunmehr die Mysterienspiele in den solennen Rahmen der jungen Grazer Festspiele aufgenommen wurden.

Pater Amandus wird in seinem sympathischen Optimismus und heiliger Hartnäckigkeit auch dies leisten, als der Madonna Spielmann und des Herrgotts Choreograph. Eben ist er auch als religiöser Dichter in einer abendfüllenden Eigenvorlesung hervorgetreten. Er las mit tiefer Empfindung unter anderem geistliche Nachtlieder, die mystische Seelenvorgänge auch dem Modernen nahebringen. Es gilt auch von ihm selbst, was er umschattete Blumen in sonnenloser Tiefe sagen läßt:

Wir werden voll Macht

Von der Liebe Hand

Gehoben ins ewige Wunderland,

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