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LAIENTHEATER — HEUTE?

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zu die Berechtigung haben. Sollten sie nicht besser ungenannt in einer wohl lobenswerten, aber doch für die Institution des Theaters selbst unwichtigen .Freizeitgestaltung verharren? Hin ganzer Komplex baut sich da auf, der schichtweise betrachtet werden muß. Aus dem Problem des Theaters von heute möchte ich versuchen, diese Antwort zu geben.

Das Wesen des Theaters ist nur durch das Medium der Phantasie zu erfassen. Die festliche Herausgehobenheit des täglich wiederkehrenden, doch immer nur einen, einzigen Theaterabends ist Widerspruch, begründet in der Spannung, die nur im unmittelbaren Kontakt von Schauspieler und Zuschauer entsteht. Moralische Forderungen können den Abend mit Mut, Leidenschaft und Charakter füllen. Die Ansprüche an das Theater verändern sich aber im Verhältnis zur Zeit. In den letzten Jahrzehnten zerfiel uns das Menschenbild, Ja das ganze Weltbild. Wir wissen, daß wir am Beginn eines neuen Zeitalters stehen. Der menschliche Instinkt jedoch wehrt sich gegen das einschneidend Verändernde, aber auch gleichzeitig gegen das Durchschnittliche. Dadurch entstehen Unsicherheit und Angst, in weiterer Folge davon die Flucht ins Vergessen. Auf der Suche nach Betäubung steht uns die Hemmnis der Angst im Wege. Angst vor Politik, Angst vor dem Kampf um die Existenz — vor der ganzen mechanisierten Zeit, vor der Wahrheit. Diese Angst äußert sich in allen Arten von Kontakthemmungen, die von der Bühne herabströmen, im Widerstand des Publikums sich selbst wiederfinden und schließlich auf die Bühne zurückfließen. So tritt sehr oft an Stelle der notwendigen Spannung die Gewohnheit. Die Geburt des einen, einzigen Theaterabends kann sich nicht vollziehen.

Cpricht man das Wort Laie aus, stellt sich unwillkürlich auch der schale Beigeschmack von Dilettantismus ein. Man müßte also von der Frage ausgehen, ob außer den Laien, die ihre diversen Komplexe im Spielbetrieb abreagieren oder besondere Schulungen von Vereinsmitgliedern dabei im Sinne haben, es auch Laienspielgruppen gibt, die aus ihrem kulturellen Bedürfnis heraus dem speziellen Kunstzweig Theater ihre Zeit opfern, um chöpferisch an der Entwicklung des Theaters mitzuarbeiten? Sogleich drängt sich die weitere Frage auf, ob Laien überhaupt da 2

zu überzeugen, zu überwinden, muß man erst sich selbst überwunden haben. Die junge Schauspielergeneration, die in der Nachkriegsdepression aufwuchs, machte vielfach den Fehler, aus der Hemmung Gefühle zu zeigen, eine neue Form des Spielens zu entwickeln. Man nannte dies ,,moderne Aussage” und sagt in Wirklichkeit nichts. Derartiges Theater wird selten gefördert und wenig besucht.

Erstaunlich ist daher die Bestrebung, jede Art von Kunsterziehung für das achte oder neunte Schuljahr der höheren Schulen in Österreich gänzlich fallenzulassen. Und das in einem Land, das immer berechtigt stolz auf seine Kultur war, dessen Hauptstadt bis jetzt noch immer eine „Theater- und Musikstadt” gewesen ist, auf die die ganze Welt blickte. Müßte nicht eher die Forderung erhoben werden, an diesen Schulen, die der jugend doch eine umfassend höhere Bildung geben sollen, ab dem fünften Schuljahr die Wahl anheim zu stellen, in Kunstgeschichte, Musik oder Theater eingeführt und unterrichtet zu werden? Eine Verpflichtung geradezu für jedes Mitglied eines Kulturstaates! Wobei diese Verpflichtung aus einem inneren Bedürfnis und nicht von einem äußeren Zwang hervorgerufen worden sein muß. Damit beginnt die Berechtigung und Forderung des Schultheaters.

Betrachten wir zum Beispiel das bekannte und ob seiner alten Tradition geschätzte Schultheater von Disentis, eines Benediktinerklosters in der Schweiz. Der derzeitige Theaterleiter, P. Dr. Goderhard Riedi, ist sich der Grenzen, aber auch der differenzierten Möglichkeiten seiner Institution voll bewußt. Das Echo in der Presse zeigt, wie sehr die Fachwelt an den Aufführungen dieses Schultheaters Anteil nimmt. 1950 bezeichnet Zürich die Inszenierung von Calderons „Großem Welttheater” als Kammerspiel, das der Eberle-lnszenierung in Einsiedeln vorzuziehen sei, weil so erst des Wortes tiefer Sinn recht zur Geltung komme… Schüler und Publikum werden erzogen, jedoch gleichzeitig hineingezogen in das Wesen des Theaters. Man muß 1953 die Fastnachtsaufführung von „Der Verschwender” von Ferdinand Raimund gesehen haben. Das begeisterte Echo der Presse war so groß, daß Kritiker den Wunsch laut werden ließen, Disentis möge mit dem Thespiskarren auf Wanderschaft gehen. Schauspieler, Studenten, Lehrer, Universitätsprofessoren, Kritiker und Dramatiker suchen diese Quelle des Theaters auf, um in wechselvollem Gespräch Sicherheit für neue Ideen, Kraft zur intensivsten Aussage in der Kunst zu holen. Der Weg zu der „Arche am Rande der Welt”, wie der Lyriker Walter Hauser dieses Kloster nennt, ist ihnen nicht zu weit. Die Aufführungen sind sogar so bedeutend, daß 1954 das Schweizer Fernsehen das „Apostelspiel” von Max Mell ausstrahlte. Die „Neuen Züricher Nachrichten” schreiben unter anderem Der Reichtum dieser Sendung lag in der Ausdrucksmacht und unübertrefflichen Echj-, heit der vier Darsteller. Es,ist eilt Zeichen gründlicher Übersicht, daß man sich von Zürich aus auf die Klosterschule am Rhein besann. Diese aber hat das ihr geschenkte Vertrauen mit einer großen Gabe belohnt.” Dr. Hoffmann schreibt weiter in den NZN: „… Hier ist die Studentenbühne über ihre Aufgabe hinausgewachsen und erfüllt einen Auftrag am Volk.” Viele andere Schultheater und Laiengruppen, von fachkundiger Hand geführt, wissen von dieser Sendung. So findet jährlich eine Tagung der Laienspieltheater statt, wo unter dem Vorsitz von Dr. Iso Keller, dem bekannten Züricher Kritiker, die Probleme des Gegenwartstheaters aufgerollt und vom speziellen Aspekt des Laienspiels aus diskutiert werden. Die Einwirkung auf das „Professional”- Theater ist unleugbar.

Tenken wir an die österreichischen Schultheater, so finden wir, daß eigentlich jede Schule ihren begabten Klassen die Möglichkeit guter Aufführungen bietet. Sind diese aber auch für das Theater in seiner Entwicklung von Bedeutung? In diesem Sinne hat Wien mit der Jesuitenschule am Hof seinem Ruf als Theaterstadt alle Ehre gemacht. Schon 15 54 führten Schüler im Hofe ihres Kollegiums eine Tragödie von Euripides auf. Der großartige Erfolg der weiteren Inszenierungen brachte den Jesuiten 1563 das Recht ein, akademische Grade für das Studium der freien Künste und der Theologie zu vergeben. 1623 entstand daraus das Akademische Gymnasium, welches seit 1866 bis heute am Beethovenplatz sein Wirken fortsetzte. Älteste Tradition also, die auch heute in wertvollster Weise gepflegt wird.

In der deutschen Fachzeitschrift „Theater” erschien 1960 eine lange und sehr wichtig genommene Besprechung der neuentdeckten Menander-Komödie „Dyscolos”, uraufgeführt von der Tübinger Studentenbühne. Fast zur gleichen Zeit brachte das Akademische Gymnasium, nichts ahnend von einer deutschen Konkurrenz, dasselbe Stück als ganz ausgezeichnete österreichische Erstaufführung heraus. Es bliebe noch festzustellen, welche der beiden Studentenbühnen das zeitliche Recht der „Uraufführung” für sich in Anspruch nehmen darf. In der folgenden Aufführung des „Philoktet” von Sophokles wurde versucht, den antiken griechischen Chor wieder zum Leben zu erwecken, der modernen Gegenwart lebendig zu machen, was durch die „Trojerinnen” von Euripides, die im Mai 1963 in Szene gingen, seine volle Bestätigung fand. („Die Furche” Nr. 22.) Weiß die Fachwelt, daß sich hier in echt österreichisch-bescheidenem Idealismus, aber um so größerer Könnerschaft ein neuer Stil des griechischen Chores entwickelt? Gehen wir zurück zum Problem des Theaters, erkennen wir, daß heute der Eros im Schauspiel, auf der Bühne fehlt. Der elementare Kontakt ist aber ein erotischer. Wenn Eros, Mimus und Maske als Lustimpulse der Verwandlung von den Brettern vertrieben werden, ist das Museum und das Volksbildungsinstitut perfekt. Spiel ist aber mehr als Perfektion. Dabei dürfen wir nicht vergessen, daß auch die Sprache körperlich ist. So vollzieht sich, ja muß sich vollziehen, die Übertragung des Elementaren auf das Stück. Das heißt „Geburt”, das ist das „Zum-Leben-Erwecken”. Das Elementare will sich im Spiel erlösen und in der Anbetung reinigen. Die Form gehört als solche zum Elementarsten der menschlichen Produktivität. Im Spiel erhebt sich das Theater über das Sein.

Vort, Bewegung und Musik werden in ihrer Aussage gleich- “ gesetzt und sprechen so die Sinne des Menschen direkt an. Man braucht nicht Griechisch zu verstehen, um die Chöre miterleben zu können. Lust und Schmerz sind eben archaische Gefühle im Menschen. Solange er lebt, sind diese Gefühle da und lassen sich weder durch Psychoanalyse noch durch Reserve leugnen. Man setzte Trieb an Stelle von Liebe aus Angst vor einem vulgären Gefühl. Man verneinte Lust und Schmerz der Seele, und damit verlor das Publikum den Kontakt mit den Schauspielern, denn es kann sich — das heißt das Kreatürliche, das heißt den Menschen schlechthin — nicht mehr erkennen. Die Angst vor dem Erkennen und die Verzweiflung darüber hindern anscheinend die meisten Regisseure, wieder den Menschen auf die Bühne zu stellen. Aber im großen Pessimismus wie in der größten Illusion lebt der Mensch in seinem Widerspruch von Schmerz und Lust.

Fast als verlorene Inseln des Idealismus muten einen die übrigen österreichischen Laienspielgruppen an. Müssen sie nicht, bar aller Unterstützung, bar allen Interesses seitens der Fachwe | und ohne Publikumskontakt, letztlich im Dilettantismus versinken oder aber zu den Professionals hinüberwechseln? Welche Gruppe könnten wir als Vertreter österreichischer Kultur zu der deutschen Internationalen Laienspielwoche entsenden? Was wissen wir von der Korbacher Laienspielwoche in Deutschland? Besteht überhaupt ein freundschaftlicher Kontakt zwischen den einzelnen Laienspielgruppen im deutschsprachigen Raum? Wie aus längst verklungenen, uralten Zeiten liest sich zum Beispiel die Theaterchronik der Kalasantiner. 1907 gründete P. Anton M. Schwartz diese Laienspielgruppe für seine Arbeiterjugend. Erst- und Uraufführungen erstanden hier in bester Form. Nicht verwunderlich, da ein E. Strohmeyer vom Burgtheater noch 1938 Szenerien für dieses Theater malte oder Künstler wie Eybner, Glossy, Lehmann, Seidler, Paul Hartmann und besonders Aslan, der diese Bühne sein kleines Akademietheater nannte, den Laien nicht nur mit Rat zur Seite standen, sondern auch selbst des öfteren tatkräftig mitwirkten. In folgerichtiger Wechselwirkung holten sie sich ihre Ausdruckskraft wieder aus dem Laienspiel.

Man kann die Bedeutung des Laienspiels für die Entwicklung des Theaters nicht übersehen. Das wahre Volkstheater ist immer gegen die Gesellschaft gerichtet, in der es existiert. Durch den Widerstand aber wachsen einem die besten Kräfte zu. Es liegt in der Hand des Berufenen, diese elementare Kraft für das Theater frei zu machen und produktiv werden zu- lassen.

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