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Salzburg: „Zauberflöte“ und „Palestrina“

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Mehr denn je schoben sich in den zwei wichtigsten Opernneuinszenierungen der ersten Salzburger Festspielwochen Bühnenbildner und Regisseur in den Vordergrund der Wiedergabe. In Mozarts „Z a u b e r f 1 ö t e“ in der Felsenreitschule (nach der traditionellen Eröffnung mit „Jedermann“, der sich in Besetzung und Regie gegenüber dem Vorjahr kaum geändert hat), dem ersten großen künstlerischen Ereignis dieses Jahres, entschied die bühnenbildnerische Mitarbeit des Malers Oskar Kokoschka Stil und Charakter der Inszenierung; in Hans Pfitzners „Palestrina“, der zum ersten Male in Salzburg erklang, überraschte Günther Rennen, Hamburgs Opernintendant, mit dem geglückten Nachweis, daß nun auch für Pfitzners musikalische Legende die Stunde der Wiederentdeckung jenseits der bisher dominierenden historischen Dekoration geschlagen hat. Daß dabei die Ausleuchtung der Bühne zum wichtigen Faktor werden würde, war zu erwarten.

Kokoschkas Zauberf1öten - Bi1der haben überhaupt nichts mehr mit dem Begriff der

„Ausstattung“ zu tun. Gewiß, er entwarf die Kostüme, die immerhin doch auch den Charakter ihrer Träger zu berücksichtigen haben, und er hatte selbstverständlich mit den Gegebenheiten der Felsenreitschule zu rechnen, in die er die schnell wechselnden Szenen einbauen mußte. Die Grundlage bildete eine Dreiteilung der Bühne durch mächtige Steinquadern. Abgesehen von dem nicht ganz geglückten Versuch, einige der Szenen durch Prospekte oder Projektionen in der Mitte der Bühnt zu kennzeichnen, die teils erst durch Oeffnen eines Vorhangs sichtbar sind, wurde den ganzen Abend hindurch gleichsam jenseits jeder bühnentechnischen Hilfsmittel gespielt. Es „spielte“ in der Tat — eine Idee, der sich auch der Regisseur Herbert Graf anschloß — die Farbe Kokoschkas allein, die in einem phantasievollen Wechsel sondergleichen die Welt des Papageno, des Volksstücks also, ebenso umschloß wie das Reich Sarastros, dem Tamino, der edle Jüngling, sein Glück verdankt. Diese Zusammenfassung, das eigentliche und selten erreichte Ziel jeder Zauberflöten-Inszenierung, gelang, weil nicht ein bestimmter Interpretationsstil angestrebt, sondern ganz einfach aus der Naivität des schöpferischen Künstlers gestaltet wurde. Es ist klar, daß bei dieser exemplarischen „Gefangennahme“ des Auges, die im einzelnen zu beschreiben sehr weit führen würde, Mozarts Musik beinahe nur mehr als „Zugabe“ hätte empfunden werden können. Daß dem nicht so wurde, ist Georg S o 11 i zu verdanken, der es verstand, das musikalische Gegengewicht zu statuieren. Auch er ist dem Gesetz der wechselnden Farbe mit ihrem starken Symbolgehalt insofern gefolgt, als er die Tempi dort anzog, wo das Spiel des Dialogs in der Musik aufgefangen wird, und dort der lyrischen Breite ihr Recht beließ, wo der rein-musikalische Gehalt es verlangte. Aus der großteils neuen Sängerliste müssen genannt sein Erika Köth, eine Königin der Nacht mit endlich echter dramatischer Koloratur, Elisabeth Grümmer, die wahrhaft edle und stimmlich ergreifend schöne Pamina, und Gottlob Frick als würdiger Sarastro.

Was hier die Farbe erreichte, die künstlerisch nahtlose Zusammenfassung der Zauberflöten-Welten, führte im „Palestrina“ mit der Verwendung des Lichts neuerlich zur alten Diskussion um die dramaturgische Einheit dieses eigentlichen Lebenswerkes Hans Pfitzners. Denn das Licht trat im ersten und dritten Akt, die die einsame Welt Pale-strinas zeigen, an die Stelle der Dekoration, die von Wilhelm R e i n k i n g nur andeutungsweise gegeben war. Es zog mit der geheimnisvollen Sichtbarmachung, der Erscheinungen der alten Meister und der Engelsschar die Aufmerksamkeit ganz auf den inneren Vorgang des Schöpfungsaktes, hob ihn mit Recht in die Höhe des Kunstbekenntnisses, das hier abgelegt wird, entfernte ihn ganz aus dem historischen Zusammenhang. Noch nie hat eine Palestrina-Inszenierung den Kern dieser schwer realisierbaren Unwirklichkeit so klar erkannt und — verwirklicht. Desto größer, ja elementarer mußte jedoch die Schwierigkeit, diese beiden „Ecksätze“ mit dem Mittelsatz des Tridentiner Konzils als ihrem weltlichen Gegensatz dramaturgisch zu verbinden, offenbar werden. Gerade wenn man von der Schönheit dieses Kunstwerks überzeugt ist, muß man angesichts dieser beispielgebenden Salzburger Inszenierung die Frage wagen, ob nicht doch einzig ein ebenso sorgsamer wie energischer dramaturgischer Eingriff in die dreiaktige Konzeption Pfitzners das Werk für die Opernbühne der Gegenwart und Zukunft in Wahrheit erst gewinnen kann. Diese Frage darf um so eher gewagt werden, als Rudolf K e m p e mit seinem Salzburger Dirigentendebüt die Schönheiten der Partitur in ein ganz neues Licht rückte. Noch nie hörten wir diese Musik agogisch so lebendig, so zart und dann wieder in ihren Ausbrüchen in solcher dramatischen Größe. Die Besetzungsliste ist der größten eine. Im Vordergrund standen: Max Lorenz als Palestrina, darstellerisch würdig, gesanglich leider nicht ausreichend, lean Madeira und Elisabeth Söderström (Silla und Ighino), Paul Schöffler als der sehr eindrucksvolle Borromeo, Ferdinand Frantz und Helmut Melchert als Morone und Novagerio.

Neben der „Zauberflöte“ die zweite Mozart-Neuinszenierung als Vorstufe des Jubiläumsjahres 1956: „Die Entführung aus dem Serail.“ Wieder war, diesmal im Salzburger Landestheater, die „Cosi“-Erfolgs-Trias Böhm-Schuh-Neher am Werk. Diesmal triumphierte, wie es das Singspiel, das naive, verlangt, die Musik, welcher Schuh und Neher gleichsam den Vortritt gewährten, indem sie das Spiel ebenso naiv und ungekünstelt beließen, wie es ist. Es gab — natürlich — kleine „Gags“, die ebenso natürlich „ankamen“, zumal die Vertreter des Singspiels, Osmin und Pedrillo (Kurt Böhme und Murray Dickie), sich frisch gaben und ebenso sangen. Weniger glücklich fügte sich Hannelore Steffek ein, die für die erkrankte Lisa Otto eingesprungen war Erika Köths Konstanze war in Gesang und Geste beseelt und ergreifend, Anton Dermota trug die Liebessehnsüchte Belmontes mit impulsivem Elan an die Rampe

Ansonsten Konzerte, viele Konzerte. Knapperts-busch eröffnete den Reigen der Salzburger „Philharmonischen“ mit einem Brahms-Programm, Paum-gartner die Mozart-Serenaden mit dem Mozarteumorchester, das mit der „Konzertanten“ in Es-dur die neue Qualität seiner Streicher und Bläser in helles Licht rückte; und das frisch und exakt musizierende napolitanische Scarlatti-Orchester stellte Wiener Klassik (nicht sehr glücklich in der Wahl) Ghedini und Busoni gegenüber Messners Domkonzerte in der Aula Academica wiesen bisher wieder auf die unverwelkten Schönheiten der musica sacra Haydns (Paukenmesse!) und Mozarts hin; kein Wunder, daß sie nach wie vor größten Zulauf haben.

Große Salzburger Ereignisse stehen noch aus: die neue Oper Werner Egks, die Premiere des neuen Salzburger Balletts und manches andere. Darüber und über den Gesamteindruck dieses Salzburger Festspieljahres mit seinem Aspekt auf die Zukunft wird noch zu berichten sein.

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