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Grazer Sommerspiele barock und modern

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Die unter südlicher Sonne strahlende Stadt beeindruckt den Besucher ihrer Sommerspiele mit einer Reihe von Spielplätzen, um die sie jedes international gepriesene Festivalzentrum beneiden kann. Schloßbergbühne, Landhaushof, Joanneum und — als Clou — Hof und Festsaal von Schloß Eggenberg: man wundert sich, das einige von ihnen erst vor kurzem entdeckt wurden, so sehr sind sie für sommerliche Spiele prädestiniert. Das ist der erste Eindruck. — Der zweite: Graz veranstaltet seine Festspiele zwar nicht mit ausschließlich eigenen Kräften, aber fast ausschließlich für sich. „Mir zur Feier“, könnte man sagen. Aber das kann und wird sich — wie wir hoffen — eines Tages ändern. Daher bestellt vorläufig auch nicht unbedingt die Verpflichtung zur Repräsentation und zu einer sie stützenden „Idee“, einem „geistigen Profil“. Darin stimmen wir weitgehend einem der Programmatiker zu, der schreibt: „Man suche nicht nach Ideen und Formulierungen, wo sie nicht notwendig sind — und wenn es notwendig ist, erst zu suchen, wird das Ergebnis nicht festlich sein.“ So zu lesen in dem hübschen und gehaltvollen Programmheft (mit Beiträgen von Eduard Coudenhove. Erich Marckhl, Andre Diehl, Ulrich Baumgartner, Wolfram Skalicki und anderen), das wir anderen Festspiel-arrangeuren zum Studium und Vorbild empfehlen. In diese wirklich bezaubernden und eindrucksvollen Spielplätze läßt sich viel und vielerlei „hincin-komponieren“.

Im Festsaal des Schlosses Eggenberg, das nach seiner vollständigen Renovierung eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges ist und dem wir viele Besucher aus Oesterreich und dem Ausland wünschen, hörten wir ein Konzert des Grazer Philharmonischen Orchesters unter der Leitung von Gustav Cerny. Das Programm: Hindemiths „Konzert für Trompete. Fagott und Streicher“, „Sechs Monologe“ aus Hofmannsthals „Jedermann“ von Frank Martin und Schuberts dritte Symphonie D-dur. Gustav Cerny scheint ein ausgezeichneter Probierer zu sein und das Orchester ist leistungsfähig: das Konzert hatte durchaus Fcstspiclniveau. Otto Wiener, der seinerzeit bei der österreichischen Erstaufführung die Baßpartie sang, hat inzwischen an Reife und Intensität des Ausdrucks so gewonnen, daß seine Interpretation dieses bedeutenden und ansprechenden Werkes von Martin als meisterhaft bezeichnet werden kann.

Auf dem Schloßberg, unter tiefblauem nächtlichem Himmel, spielte und agierte man Händel dreiaktige Oper „R o d e 1 i n d e“ in der textlichen Neugestaltung durch Oskar Hagen, einen der Initiatoren der großen Händel-Renaissance vor dreißig Jahren. Beim Anhören dieser prachtvollen, ruhig und gewaltig hinströmenden Musik ist man versucht, ein Loblied auf den Meister anzustimmen, der wie kaum ein anderer den naiven und den anspruchvollsten Hörer anspricht, der neue Bereiche des Ausdruckt und der Seele erschlossen hat, der die menschliche Natur ohne Naturalismus darzustellen verstand und der, für unser Gefühl, das vollkommenste „ Timing“ besitzt: genau so lang, wie ein Händelscher Satz, eine Händel-Arie dauert, muß sie dauern, nicht länger und nicht kürzer... Fritz Zaun hat ein gutes Gefühl für diese Musik. Der Spielleiter hat es schwerer. Das Konzept von Andre Diehl ist richtig: episch-statisches Theater; aber es wurde nicht ganz konsequent durchgeführt, indem man den bösen Garibald (Alexander Fenyves) iu ehr im Stil des veristischen Bösewichts agieren ließ. Erstklassig die Norwegerin Marit Isene in der Titelpartie, Otto Wiener als ihr Gatte, der Amerikaner Robert Charlebois als grimmiger Grimwald, ferner Melanie Geißler als Hadwig und der aus Bayern kommende Wolfgang Euerer als treuer Gefolgsmann Unolf. (Zu Festspielen gehört heutzutage ein internationales Ensemble, wie Figura zeigt!) Das Bühnenbild war bis auf Details, gut gelungen, die Kostüme ein wenig spärlich, an Laienspielinszenie-rungen erinnernd und in einem gewissen Gegensatz 2ur prunkvoll-pathetischen Staatsaktion; der Chor: gut studiert, aber wenig klangschön. Daß man sich bei der pausenlosen, mehr als zwei Stunden dauernden Darbietung nicht einen Augenblick langweilte bestätigt gleichfalls ihr erfreuliches Niveau.

In dem schönen Arkadenhof des Schlosses Eggenberg, vor der Rustika des Turmportals bei Kerzenschein unter der Sternendecke, musizierten die zwölf „Musici di Roma“ Pergolesi und Vivaldi (Die vier Jahreszeiten), und man kann sich schwerlich ein schöneres Zusammenklingen von steinerner und musikalischer Architektur denken. Zum erstenmal steht heuer auch der stimmungsvolle Hof des Joanneums (ein ehemaliger Stiftshof aus dem späten 17. Jahrhundert) für Serenaden und Kammerkonzerte zur Verfügung. Neben Reger und Brahms (dessen Sextette an einem anderen Abend vom Kamper-Kvarda-Ensemble gespielt wurden) erklang hier unter M. Kojetinsky die kleine Serenade von Milhaud, die das ganze Parfüm des Südens atmet: klanggewordene Landschaft der Provence, Fifre und Hirtenschalmci, Giono und Daudet in einem. Die jungen Leute des Münchner Kammerorchesters unter Stepp boten in demselben Rahmen mit frischem Musiziergeist, aber ohne philharmonischen Geigenglanz, neben Divertimenti von M. Haydn und Bartök und Mozart das Concertino für Klavier und Orchester von Hermann Reutter, ein rhythmisch betontes Werk von herber Melodik.

Das Schauspiel, das diesmal nur mit einem Abend an den Sommerspielen beteiligt ist, ging in den Landhaushof und paßte sein Programm dem Iom-bardischen Stil dieses prachtvollen Renaissancepalastes an: Schillers „F i e s c o“ wurde hier — mit starken Kürzungen und unter Weglassen alles Nebensächlichen — in der Regie Andersens ein geradezu historischer Rahmen zuteil.

Der besonderen Stellung von Graz als Mittlerin zum südöstlichen Nachbarn wurde insofern Rechnung getragen (hier läge eine weitere wichtige Aufgabe der Grazer Sommerspiele!), als das jugoslawische Nationalballett Tänze aus allen Gegenden des Landes, von der Batschka bis nach Mazedonien, kroatische, serbische und auch türkisch beeinflußte pantomimische Spiele in farbenbunter Folge einem entzückten Publikum vorführte.

Im Künstlerhaus, im Rahmen der Impressionistenausstellung, gab es einen von Wiener Künstlern dargebotenen Schönberg-Abend. Unter der Leitung von Hans Swarowsky rezitierte Ilona Stein-gruber, von einem Instrumentalensemble begleitet, den „Pierrot lunaire“ und sang einige frühe Lieder. Charlotte Zelka spielte den schwierigen Klavierpart und Schönbergs opus 25 (Klaviersuite).

Daß der eröffnende „F i d e 1 i o“ wieder nicht auf der dafür prädestinierten Schloßbergbühne, sondern wegen de* Wetter* im Opernhaus gegeben werden mußte, ist bedauerlich; bedauerlicher aber ist, daß die Aufführung trotz einer Starbesetzung (Grob-Prandl, Patzak, Edelmann) und trotz einer sehr asketischen und bedacht gestalteten Inszenierung kein eigentliches Festspielniveau hatte.

Es wäre eine echte Aufgabe, dem umfangreichen Opus des größten steirischen Komponisten, Johann Josef Fux, des Hofkapellmeisters dreier Kaiser, eine Renaissance in unserer Zeit und in seiner Heimat zuteil werden zu lassen. So könnte denn das Werk des großen Theoretiker* und Praktiker* de Barocks als eines Genius loci tyriensis Mitte und Zeichen festlicher Kunstübung werden, um das herum sich in zwangloser, aber stilvoller Form alte und neue musikalische und dramatische Werke zu gruppieren hätten — eine Spielfolge somit, die nicht mehr allein lokale Bedeutung hätte. Ernste Ansätze zur Verwirklichung dieses Gedankens *ind heuer vorhanden: eine Reihe von einzigartigen Schauplätzen des barocken Graz gibt den Rahmen ab für ein Programm, dessen Dominante das Barock ist. Mit barocker Musik, mit Opern von Händel und Purcell soll das Publikum heuer „getestet“ werden, ob die Veranstalter es wagen können, ihm auch mit Fux zu kommen.

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