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Oper in Salzburg — Diskussion um die Festspiele

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Nicht nur in Österreich ist die Diskussion um die Salzburger Festspiele heftiger entbrannt. Man fragt sich, ob die einzigartige Übereinstimmung zwischen Idee und realer Veranlassung, der die Festspiele ihren Welterfolg verdanken, auch heute verwirklicht ist oder ob nicht eher die überkommene organisatorische Form äußerlich beibehalten wurde, eine geistige Erneuerung aber das eine Notwendige wäre. Dabei muß man von jenen sterilen Kritiken absehen, die eine Rückbesinnung auf die Zeiten Reinhardts proklamieren. Diese Zeit soll nicht geringgeschätzt werden, doch kann sie nicht den Maßstab für das Heute bilden (es sei denn in der Potenz der Mentoren, der ein Gleichrangiges nicht gegenübergestellt wurde, vielleicht auch nicht gegenübergestellt werden kann); die Voraussetzungen sind ja völlig andere geworden. Jedenfalls handelt es sich offenbar darum einen Überblick über das gesamte Potential jener Werte der darstellenden Kunst zu geben, die in unserer Zeit des totalen Verfalles noch Bestand haben und Bausteine sein können zum Aufbau einer neuen Zeit. Es kommt also nicht darauf an, nur um des Neuen willen neue Wege zu suchen, sondern den Geist zu prüfen, in dem eine neue Konzeption gefunden werden kann und der standhalten muß in dem Feuerofen der Auseinandersetzung (die ja mitten unter uns ausgetragen wird) um Sein oder Nichtsein, in dem es nicht mehr nur um den Bestand der Kultur geht, sondern um ihre Voraussetzungen. Es wäre also vollkommen falsch, die Lösung in einem Managertum zu suchen, das etwa Bayreuth, Luzern oder Edinburgh übertrumpft. Ein solches Hyperstar-wesen würde nur die Diskrepanz vergrößern, die zwischen der leeren Fassade unseres Kunstbetriebes und der dahinterstehenden geistigen Forderung klafft.

Was nun den Opernspielplan 1951 betrifft, so können wir wohl Einzelereignisse berechtigt feiern, aber im übrigen die Richtigkeit dieser Forderungen, die sich natürlich auch auf den Geist der Darstellung beziehen müssen, daran ablesen. Es besteht kein Zweifel, das die nicht nur durch ihre textliche Straffung wirksame Neuformung Alban Bergs den „W o z z e k “ - Stoff — der in Büchners Schauspiel zweifellos die ja doch irgendwo bestehende Grenze zu einem außerkünstlerischen, die wahre Realität verschiebenden Realismus hart berührt und andererseits neben vielen anderen Komponenten den Eintritt des Materialismus in die dramatische Literatur eindeutig bezeichnet — das Drama stellenweise zu ergreifender Wirkung gesteigert hat. Darin liegt wohl die Bedeutung des Werkes mehr als in rein stilistischen Momenten, etwa der erstmaligen Anwendung des atonalen Prinzips in der Oper oder in der allerdings stupenden formalen Kunstfertigkeit Bergs. Spätere Zeiten erst werden entscheiden, ob nicht jenes blutigernste Ringen des Komponisten, in dem das Werk geboren wurde, jenem erschütternden Kampf Gustav Mahlers um die Begnadung in der symphonischen Erfindung tief verwandt ist. Die Aufführung muß, obgleich, vor allem in der Re gie, das Kalt-realistische vor dem Gespen-

stisch-Angedeuteten vielleicht allzusehr unterstrichen und dadurch der Eindruck dei Gebundenheit an die zwanziger Jahre verstärkt wurde, als ein Verdienst des Duos Neher' Schuh gewertet werden, dessen Stärke in der Gestaltung der Moderne und ihrer Vorläufer liegt. In der überlegenen musikalischen Beherrschung des Dirigenten Karl Böhm fand das Ganze seinen ruhenden Anker.

Dagegen muß sich auf die Dauer die jährliche Wiederkehr von Variationen derselben szenisch-optischen Mozart-Deutung abnützen. Dies mochte — neben allzu konventionellen choreographischen Lösungen — auch der Hauptgrund sein, warum die im Bewegungsmäßigen äußerst lebendige I d o m e n e o“-Inszenierung Josef Gielens irgendwie doch in einer gewissen selbst einer Opera seria nicht ganz gemäßen Starrheit verfangen blieb. Es war vielleicht auch der Umstand nicht bedacht worden, daß die Mozart-Werke des Jahres, beide in dem gleichen, wenn auch noch so einmaligen Schauplatz der Felsenreitschule aufgeführt (der keinen Wechsel des „Bühnenbildes“ zuläßt und daher auch in demselben Genre ausgestattet werden mußte), eine gewisse Einförmigkeit ergeben würden und der in der musikalischen Erfindung so beglückende „Idomeneo“, der zudem ohne Pause durchgespielt wurde, so nicht zu dem Erfolg werden würde, der er vielleicht hätte werden können. Trotzdem ist es der Festspielleitung zu danken, daß sie sich entschlossen hat, gerade den „Idomeneo“ aufzuführen, und man muß hoffen, daß sie den mit der „Titus'-Neuinszenierung von 1949 eingeschlagenen Weg, neben den fünf Meisteropern auch die anderen dramatischen Werke Mozarts in neuer Gestaltung zu pflegen, unbeirrt weitergehen wird.

An der „Z a u b e r f 1 ö t e*, in deren Geist sich Wilhelm Furtwängler weiter versenkt hatte, erwies sich wieder, wie Mozart ein auch noch so bescheidenes Libretto, wenn es ihm gemäß war, geheimnisvoll umwandeln und mit göttlichem Leben erfüllen konnte. Die hier schon besprochene Inszenierung konnte gegenüber dem Vorjahr in einigen Details verbessert werden.

Der unbestrittene Haupterfolg des Jahres ist jedoch „Othello“ geworden. Wenn das Verdi-Jahr auch der unmittelbare Anlaß zu dieser Neuinszenierung war, so würde darüber hinaus „der große Verdi“ in entsprechenden Intervallen eine wesentliche Bereicherung des Salzburger Spielplans bedeuten.

Die feinsinnige Regie Herberts Grafs und das den Vorgang und den Geist der Musik in glücklicher Weise sinnfällig demonstrierende beziehungsweise kontrapunktierende Bühnenbild Stefan Hlawas schufen den Rahmen für ein ausgewogenes Ensemble. Die große Überraschung war jedoch das dominierende musikalische Erlebnis, das auch hier von der faszinierenden Leitung Wilhelm Furt-wänglers ausging. Furtwängler, dessen Opernaufführungen an der Mailänder Scala längst zu inoffiziellen europäischen Festspielen geworden sind, für Salzburg gewonnen zu haben, muß mit als größtes Potential der diesjährigen Festspiele gewertet werden. So-

lange Salzburg der Gewinn Furtwänglers beschieden ist und solange an eine Wiederaufnahme des „Fidelio“, dem Furtwängler au tieferen Gründen wohl besonders „kongenial“ ist, noch nicht gedacht werden kann, müßte doch — nun einmal vom Sonderfall „Othello* abgesehen, auch die Linie Weber, Wagner (wenn Bayreuth pausiert, könnte sehr wohl eines der Frühwerke, etwa der „Lohengrin“ als eine außerordentliche Ausnahme in den Salzburger Spielplan einbezogen werden). Pfitzner, vielleicht auch noch ein Werk etwa von Hindemith — wieder mit eingebaut werden. Wenn wir neben „Fidelio“ und „Fal-staff“ noch an den unvergeßlichen „Don Giovanni“ Bruno Walters erinnern (der Metropolitan Opera glückte es immerhin, Walter wieder vorübergehend an die Bühne zu binden, und Salzburg als Mozart-Festspiel dürfte kein Mittel scheuen, dasselbe Ziel zu erreichen), so sei damit ausgesprochen: Nur wenn der Geist der Wiedergabe zusammen mit öiner Programmgestaltung, die einer ganz bestimmten Linie folgt, jenen unwie-derholbaren wohltemperierten Zusammenklang ergibt, der von Salzburg aus Europa gleichsam geistig erstehen läßt und ohne den es ein Europa überhaupt nicht gibt, wird den Salzburger Festspielen der echte Erfolg, den man eben nicht am. Ergebnis des Kartenverkaufs messen kann beschieden sein.

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