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Salzburger Festspiele 1948

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Nur bei einigen Opernwerken anerkennen wir bedingungslos das Weihevolle in der Kunst, nur wenigen nahen wir uns mit solcher Ehrfurcht wie dem Musikdrama „O rpheus und Eurydike“ von Christoph W. Gluck. Vielleicht haben wir diese Empfindungen, weil hier gezeigt wird, daß die Musik und das Schöne die Macht besitzen, den Sieg über die Schrecknisse des Inferno zu erringen. Dieser Gedanke ist ja so tröstlich in einer Zeit, in der die Menschheit noch immer zitternd an der Pforte des Inferno steht. Die klagende Sehnsucht des Orpheus ist die Seele der Menschheit, die erschüttert durch die Schrecken des dunklen Todes nach dem Licht der Erlösung ruft. Darum darf die Tat, diese Oper in die Salzburger Festspiele aufzunehmen, nicht als Experiment einer neuen Bühnenreform gewertet werden oder als Versuch, durch die Originalität der Orts wähl eine besondere Attraktion zu schaffen: mit dem „Orpheus" verkündet man den zerquälten Menschen, daß die dunklen Mächte durch die Kraft reiner Liebe zu überwinden sind.

Die überragende Größe des Bühnenfestspieles wurde bei seiner Aufführung in den Festspielen 1948 durch den äußeren Rahmen, die Felsenreitschule, noch unterstrichet!. In die Strenge der grauen Felsenmauer baute Caspar Neher einen Arkadengang, der durch sparsame Barockverzierungen einen harmonischen Zusammenklang mit der Natur ergab. Wenn nun diese Bühne in fahles Licht getaucht war, und schwer der c-moll-Trauerchor mit Orpheus um die eben Dahingeschiedene klagte, so wurden wir von der Monumentalität der Tonsprache Glucks gefangengenommen, die uns bis zur Wiedervereinigung der Liebenden durch Amors Zauberberührung nicht mehr aus dem Bann ließ. Herbert Karajan hat die schlichte Klarheit der Komposition, ebenso auch die dramatische Wucht mit einer kühlen, vielleicht mehr verstandes- als empfindungsmäßigen Wirkung erfaßt, und es wurden die Zuhörer eher von ihm in geistige als seelische Bezirke geführt. Ein Gegengewicht bildete die Regie von Oskar Fritz Schuh. Dieser verstand es, die drei Solisten, Elisabeth Höngen als Orpheus, Maria Cebotari als Eurydike und Sena Juri- nac als Eros, mit sparsamen Mitteln so zu lenken, daß alle Gefühlsskalen klar in Erscheinung traten. Die Schrecken des Orkus bildeten einen wirksamen Kontrast zu dem Licht und den ätherischen Tönen der seligen Geister, die im Reigen die Wonnen des Paradieses verkünden. Die Strenge der Antike löste sich in einem jubelnden Ballett auf, das dem Zuschauer kundtat, daß das barocke Spiel ein Fest der Freude sein soll.

Eine Welt liegt zwischen Gluck und ' Beethoven, und doch ist die Musik des „F i d e 1 i o" die letzte, sublimste Auswirkung der Gluckschen Geistigkeit. Nur wächst „Fidelio“ bereits aus der Sphäre des noch Bedingten in die des Unbedingten und Eigenpersönlichen hinein. Beethoven enthüllt seelische Ausbrüche mit einer Offenheit, die von keinem seiner Vorgänger gewagt worden war. Die Innigkeit dieser Musik und das Aufreißen einer Gefühlswelt, in der alles reinste Natur ist, kann heute kaum von einem anderen Dirigenten so gestaltet werden wie von Wilhelm Furtwängler. Die Eingebungen des Genius, die aus verborgensten Tiefen romantischen Fühlens quellen, finden in Furtwängler den zuständigen Interpreten. Die Leonoren- ouvertüre mit ihrer ungeheuren dramatischen Spannung, die auf den Höhepunkt, die Fanfaren, gerichtet ist, sowie die Szenen im Kerkerakt, wo sich alle Schleusen dramatischer Wucht öffnen, waren von zwingender Faszination. Die Leistungen auf der Bühne standen um eine Nuance tiefer; Erna Schlüters Leonore konnte erst im zweiten Akt packen, Julius Patzaks (Florestan) hohe Intelligenz und Musikalität siegten über das Fehlen einer glanzvoll-heldischen Stimme; die übrigen Künstler dienten mit ihren schönen Stimmen der anspruchsvollen Aufgabe. Die Regie Günther Rennerts war bestrebt, sich der gekennzeichneten Grundstimmung anzupassen, besonders die Chorszenen wirkten durch symbolische Bewegungen. Der Wiener Staatsopernchor zeichnete sich bei beiden Werken durch seine Stimmklarheit und -Schönheit aus.

Zwischen den beiden tragischen Opern leuchtete frühlingshafter Duft junger Liebe in dem Singspiel von Wolfgang A. Mozart „Die Entführung aus dem Serai1“. In dieser Aufführung spiegelte sich der Geist der Wiener Oper. Josef Krips führte den Taktstock. Die lustigen Kobolde dieser Musik wurden zu einem prickelnden Tanz angefeuert. Wenn auch manches trotz der kleinen Orchesterbesetzung kräftig klang, so wurden die differenzierten Klangfarben jedoch nie zerstört. Ergreifend tönte die Sehnsucht der Liebenden, Konstanze und Belmonte, und aus den Koloraturen sprang das Feuerwerk edlen Ziergesanges. An Stelle von Erna Berger war die junge Sängerin Vilma Lipp getreten, die nach Überwindung anfänglicher Befangenheit das in seiner Treue unerschütterliche Mädchen stimmlich und darstellerisch überzeugend personifizierte. Ihr Partner Walter Ludwig (Belmonte) meisterte die Kunst des Belkanto und war ein Bestandteil des vorzüglich abgestimmten Ensembles, das Herbert Waniek als Regisseur zu einer geschlossenen Spielgemeinschaft zusammengefügt hatte. Bekannt ist schon das Bühnenbild von Wilhelm Reinking, das die orientalische Buntheit stärker unterstreicht als die seinerzeitige Inszenierung von Roller, der das wienerische Idiom hatte anheimelnd durchblicken lassen.

In allen drei Opernaufführungen haben die Wiener Philharmoniker mit Hingabe musiziert und sind den Intentionen der Dirigenten gefolgt, wie wir es seit dem Wiederaufleben der Festspiele nach dem Krieg noch nicht erlebt haben.

Als erstes Sprechstück brachten die diesjährigen Festspiele das Drama von Franz Grillparzer „Des Meeres und der Liebe W eile n“, von dem Hugo v. Hofmannsthal sagte: „Jubelnd und klagend, jauchzend und trauernd, vie Nachtigallenschlag in blütenduftend geheimnisvoller Stille kündet sich das Walten der süßesten, stärksten, gefährlichsten Leidenschaft.“ Grillparzer hat das Schauspiel modern aufgefaßt. Der allgemein-menschliche Gehalt überragt das antike Lokalkolorit, trotzdem ist edles hellenisches Ebenmaß reiner Harmonie selbst im wildesten Taumel der Sinne. Ernst Lothar hat in seiner Inszenierung wohl die modernen Gedanken als Motiv genommen, drang jedoch nicht so tief ein in den Kern der Dichtung, daß er den Sieg der allgewaltigen Liebe von der Erde weg in die Sphären des ewig Göttlichen gehoben hätte. So ist es nur der großen Schauspielkunst von Paula Wessely zu danken, daß wir die Tiefen des wunderbaren Seelengemäldes schlackenlos mitempfinden konnten. Ihre Hero war in allen Wandlungen, vom leisen Wachstum der süßen Schwäche bis zum Untergang durch eigene Schuld so vollendet, daß wir mit tiefer Bewegtheit ihrem Spiel folgten. Ihr am nädi- sten kam Heinz Moog als Oberpriester, dessen Heiligkeit gleich der Pastor Manders fast zur Scheinheiligkeit wird. Auch Heros Eltern, Gustav Waldau und Lotte Medelsky, hatten starkes Profil, Horst Caspar als Leander und Karl Paryla als Naukleros hingegen waren durch Übersteigerung des Gefühls wenig geeignet, der unklaren Regie entgegenzuwirken.

Daß der „J e d er man n” von der Festspielleitung selbst nicht mehr in den Mittelpunkt gestellt wird, beweist schon der Umstand, daß er nicht mehr traditionsgemäß äm Anfang der Festspiele stand. Die Aufführung unter Helene Thimigs Regie zeigte in diesem Jahr eine Straffung, die ihr zum Vorteil gereichte. Auch Attila Hörbigers Jedermann ist ruhiger, klarer und einfacher geworden, insbesondere im Gebet ergriff er durch posenlose Innigkeit. Trotzdem konnten weder die alten noch die neu hinzugekommenen Darsteller das große Erleben, das uns einst das Spiel vom Sterben des reichen Mannes gebracht bat, wieder schenken.

Zum erstenmal seit Kriegsende haben die Salzburger Festspiele wieder jenen Glanz gezeigt, der einst von ihnen in eine fried volle Welt hinausstrahlte. Wir sind härter und nüchterner geworden und es spricht für den hohen Wert der künstlerischen Wiedergabe, vor allem der musikalischen Veranstaltungen, daß sie uns voll in ihren Bann ziehen konnten.

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