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Im Ringen mit Wetter und Wind

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Im Gegensatz zu den vergangenen zwei Jahren, in denen der festliche Reigen mit der Aufführung einer italienischen Opern-Stagione eröffnet wurde, war heuer wieder ein Sprechstück zur Eröffnung im Theater am Kornmarkt — nun auch Kornhaus genannt — auserkoren worden. — Im Zusammenwirken mit dem Wiener Volkstheäter und seinem Ensemble hatte man sich für die mittelalterliche Love-Story „Die Geschichte von Abaelard und Heloise“ des in Schottland gebürtigen Autors Roland Miliar entschlossen, die Gustav Manker in betonter Akzentuierung der zeitlos-menschlichen Aspekte in Szene gesetzt hatte.

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Im Gegensatz zu den vergangenen zwei Jahren, in denen der festliche Reigen mit der Aufführung einer italienischen Opern-Stagione eröffnet wurde, war heuer wieder ein Sprechstück zur Eröffnung im Theater am Kornmarkt — nun auch Kornhaus genannt — auserkoren worden. — Im Zusammenwirken mit dem Wiener Volkstheäter und seinem Ensemble hatte man sich für die mittelalterliche Love-Story „Die Geschichte von Abaelard und Heloise“ des in Schottland gebürtigen Autors Roland Miliar entschlossen, die Gustav Manker in betonter Akzentuierung der zeitlos-menschlichen Aspekte in Szene gesetzt hatte.

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Die beiden Titelhelden sind dabei samt ihren Liebeserlebnissen und deren tragischer Steigerung eine aus nachgelassenen Briefen und zahlreichen anderen zeitgenössischen Schriften historisch nachweisbare Realität, was sich von den Trägem anderer großer Liebesdramen der Weltliteratur nicht mit der gleichen Eindeutigkeit und Klarheit behaupten läßt.

In der Kirchengeschichte und den religionsphilosphischen Auseinandersetzungen an der Schwelle des 12. Jahrhunderts begegnen wir verschiedentlich dem Theologieprofessor und Kanonikus zu Notre-Dame in Paris, Peter Abaelard, der mit allen Mitteln der Logik und der naturwissenschaftlichen Lehren versuchte, gegen gewisse traditionsbehaftete christlich-kirchliche Vorstellungen und Dogmen anzukämpfen, um zu freiheitlicheren Auffassungen von Glauben und Moral zu gelangen. Unter diesem Aspekt ist auch seine persönliche Lebenseinstellung und -hal-tung zu betrachten, die ihn zu Liebesverhältnis und Ehe mit der jungen, bildschönen Heloise — Nichte des Domherrn Fulbert von Notre-Dame — brachte. Als er dann auf rachsüchtiges Betreiben dieses Domherrn grausam entmannt wurde, wandelte sich der leidenschaftliche Glaubensstreiter und von seinen zahlreichen Schülern heiß verehrte Lehrer zu einem in sein Schicksal und Gott ergebenen Ordensbruder, der auch sein Weib und Mutter eines Buben, ganz gegen ihr Naturell und ihre Absichten, dazu bestimmte, als Nonne in ein Kloster, in dem sie als Kind erzogen worden war, einzutreten.

Diese geschichtlichen Fakten hat nun Roland Miliar zu einer mehr drastisch vordergründigen Reportage, gleichsam einem dramatisierten Roman im Illustriertenstil, aber weniger einer dichterischen Verklärung und geistigen Vertiefung des tragisch ausklingenden Liebesgeschehens gestaltet. Denn Zitate und Aussprüche von Kirchenvätern und kanonische Sentenzen aus dem Mund der Schauspieler allein spannen noch nicht jenen großen dramatischen Bogen, wie er sich aus der Verschmelzung von individuellem Schicksal und allgemeiner Weltauffassung ergeben sollte. Und dieser Bruch wird trotz der angestrengten Bemühungen Mankers und seiner Akteure das Ganze mehr auf die menschlichen Spannungen sowie eine lebendige Milieu- und Zeitschilderung zurückzuführen, immer wieder spürbar.

Dabei erweisen sich Kitty Speiser und Jürgen Wilke während des in 29 Bilder gegliederten Handlungsablaufes als ein durchaus attraktivüberzeugendes Liebespaar. Am besten und natürlichsten in diesem mit so manchen Allgemeinplätzen und Phrasen umschlungenen Spielgerüst zieht sich Herbert Propst in der Gestalt eines sinn- und trinkfreudigen Domherrn, der mit gesundem Menschenverstand und pfiffiger Bauernschläue durchs Leben geht, aus der Affäre. In diesem „Blick hinter die Kulissen“ des Klerus darf natürlich auch die Andeutung der Homosexualität nich fehlen, was aber Eugen Stark als Novize dezent und mit darstellerischer Gewandtheit meistert. In der Rolle des verknöchert-hinter-häitigen Domherrn Fulbert, dessen Brutalität hinter heuchlerischem Gehaben verborgen ist, weiß Joseph Hendrichs ebenso zu überzeugen wie Hilde Sochor als strenge Äbtissin von Argenteuil. Auch die übrigen Mitwirkenden in dem flgurenreichen Stück sind ehrlich bemüht, aus den Episodengestalten Wesen von Fleisch und Blut werden zu lassen, und Lois Egg hat diesem mittelalterlichen Liebesreigen in klerikaler Umwelt, über dessen literarische Notwendigkeit sich streiten läßt, einen leicht zu verwandelnden architektonischen Rahmen von symbolträchtiger Einfachheit erstellt.

Mit dem Spiel auf dem See, das hinsichtlich der Besucherzahlen und der damit verbundenen Einnahmemöglichkeiten nach wie vor zu den Hauptattraktionen des Bregenzer Festivals zählt, hatte es heuer seine besonderen Schwierigkeiten. Wetteranfällig wie alle Freilichtveranstaltungen, machte der beinahe ununterbrochene Landregen über der Bregenzer Bucht während der letzten Woche mehrmals die Premiere der Wagner-Oper „Der fliegende Holländer“ im letzten Augenblick unmöglich. Wobei noch erschwerend hinzukommt, daß schon die am 1. Juli begonnen Proben unter einem ähnlichen wettermäßigen Unstern gestanden hatten. — Ein gegen Ende der Generalprobe über dem Bodensee heraufziehendes Gewitter nebst vorangehendem Sturm hat die Dramatik des Geschehens um das Geisterschiff des Holländers gewaltig gesteigert. Hier führte die Natur prächtig und mit vollem Einsatz Regie und übertraf bei weitem die Leistungen Martin Eislers vom Teatro Colon in Buenes Aires, der an Stelle des plötzlich verstorbenen Herbert Graf sich an die erstmalige Inszenierung dieses Werkes auf eine Freilichtbühne gewagt hat.

Nun ist die Werkwahl für das Spiel auf dem See einer der am meisten diskutierten und schwierigsten Fragenkomplexe des künstlerischen Sommervergnügens in Österreichs westlichster Stadt. Schüchterne Versuche in dieser Richtung mit Werken wie Lortzings „Zar und Zimmermann“ oder Henry Purcells barocker Gesamtschau „Die Feenkönigin“ brachten unterschiedlichen Widerhall, bis dann die mit gewisser Skepsis begonnene Präsentation von George Gershwins „Porgy and Bess“ durch seinen unerwartet starken Erfolg auch die letzten Bedenken in bezug auf eine alljährliche Modifikation des Spielplans beseitigte.

Das Wagnis, nun sogar eine Wagner-Oper auf die gewaltigen Dimensionen der Seebühne zu bringen, kann vom rein Optischen und Musikalischen her als durchaus gelungen bezeichnet werden. Wobei man sich natürlich darüber klar sein muß, daß es sicher nur bei dieser einen Oper aus dem Repertoire des Bayreuther Meisters bleiben kann und wird. Hier gleichsam an eine Erneuerung der einstigen Zoppoter Waldoper als Freilichtpflegestätte Wagnerscher Kunst zu denken, wäre absolut verfehlt.

In Bregenz hat es der junge Schweizer Bühnenbildner Toni Businger ausgezeichnet verstanden, vom Visuellen her Empfindungsgehalt und Aussage dieser Oper zu unterstützen. Schroff und düster drohend wuchten zu beiden Seiten der Bühne die von ihm erdachten scharfkantigen Felsenriffe der norwegischen Küste in den nächtlichen Himmel. Im Vordergrund wiegt sich auf plätschernden Bodenseewellen Da-lands Schiff, während sich im Hintergrund jeweils auf Stichwort, in wechselndem Farbenspiel vom blutigen Piratenrot bis zum fahlen Weiß angestrahlt, die sturmzerfetzte Takelage vom Geisterschiff des fliegenden Holländers gespenstisch emporreckt und wieder versinkt.

Zu dieser optisch überzeugenden Vision kommt eine gleichwertige musikalische Deutung, deren Rasanz ein Verdienst des jungen Salzburger Dirigenten Leopold Hager ist. Rhythmisch straff und klar gegliedert folgen die Wiener Symphoniker, bald wuchtig und leidenschaftlich weit über den See dröhnend, bald in zarten, lyrischen Pianissimoklängen schwebend, prächtig den Intentionen ihres temperamentvollen Dirigenten. Martin Eislers Regie hingegen wirkt in ihrer Statik besonders auf dieser Riesenbühne mehr als konventionell, um nicht zu sagen provinziell. Uber weite Strecken hin sind die Sängerinnen und Sänger zu einem faden Herumstehen verurteilt, dessen Langeweile sich schließlich auch dem Publikum mitteilt. Lediglich Sentas Ballade in der Spinnstube erfährt eine szenische Auflösung und Gestaltung, die man sich für das ganze Werk gewünscht hätte.

Dabei kann sich die stimmliche Qualität der Besetzung in den einzelnen Partien absolut mit internationalem Standard vergleichen. So ist der Däne Leif Roar mit seinem schönen und vollen Bariton sowie seiner hochaufragenden äußeren Erscheinung ein stattlicher Holländer, dem es höchstens an Dämonie gebricht. Ute Vinzing gibt der Senta Glanz und Schönheit ihrer wohltim-brierten, nicht allzu dramatischen Sopranstimme, zu der sich der warme und melodiöse Alt von Eva Gil-hofer als Sentas Amme Mary angenehm gesellt. Peter Wimberger ist ein in Stimme und Spiel wackerer Daland, dem Sigurd Björnsson als Steuermann mit tenoralen Höhen treu zur Seite steht, während Wilfried Badorek der Figur des vergeblich werbenden Jägers Erik sein kraftvolles Organ leiht. Auch der Wiener Staatsopernchor und der Bregenzer Festspielchor, von Gerhard Dallinger und Helmuth Froschauer präzis einstudiert, runden diese Aufführung musikalisch eindrucksvoll ab. Das künstlerische Spektrum des Bregenzer Spiels auf dem See ist um eine weitere und wertvolle Nuance reicher geworden.

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