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Smetana, Janacek, Martinü

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„Vor genau 75 Jahren stellte das Ensemble des Prager Nationaltheaters dem Wiener Publikum eine in Österreich noch unbekannte Oper vor: ,Die verkaufte Braut' von Friedrich Smetana. Die Wiener Premiere gab den Anstoß für den Siegeszug dieser Oper über die Bühnen der Welt. Wien war die erste Stadt außerhalb von Smetanas Heimat, die den Wert dieses Werkes voll erkannte.“ (Miloslav Maly im Programmheft der Festwochenaufführung durch das Prager Nationaltheater im Theater an der Wien.)

Ein Lob für Wien, das wir heute den Prager Darstellern dankbar erwidern. Sie werden es gespürt haben, mit welcher Wärme das Publikum an der Wiedergabe beteiligt war. Die Oper ist längst auch im Spielplan der Wiener Staatsoper, und ihre Aufführungen haben das Niveau dieses Theaters. Wir sind nicht ärmer an schönen Stimmen und was das Orchester betrifft. Das Einmalige der Prager liegt in einem so ausgewogenen Zusammenspiel, das jede Gestik aus der Musik schöpft, was in der Originalsprache ganz andere Möglichkeiten bietet als in der besten Übersetzung. Eduard Haken als Kecal war unübertrefflich in seiner ganz volksverbundenen Erscheinung und Charakteristik als Zentralfigur, um die sich das Liebespaar Hans und Marie (Ivo iAdek und Marcela Machotkovä) sowie die beiden Elternpaare lebendig und natürlich gruppierten. Oldrich Lindauer als Wenzel machte seine Episoden ebenso dramatisch-komisch wie Helena Tattermuschovä der Tänzerin Esmeralda echten verführerischen Charme lieh. Mit diesen Namen sei das ganze Ensemble gelobt, in dem jeder seinen Mann stellte. Jaroslav Krombholc hatte als Dirigent alle Fäden in der Hand, Bühnenbild und Kostüme von Korel Svolinsky waren in ihren Linien und bunten Farben außerordentlich vorteilhaft, die Regie von Ludek Man-daus, erneuert von Hanus Thein. gab verhaltene Bewegung in der Ruhe und echte Turbulenz in den Volksszenen. Im Orchester fiel der zarte und warme Klang der Holzbläser besonders auf. Das Publikum dankte mit ehrlicher Freude.

Darnach präsentierte das Prager Nationalltheater im Theater an der Wien Leos Janäceks „Schlaues Füchslein.“ In einer Aufführung, der man durchwegs anmerkte, daß sie zwar in musikalischer Hinsicht mit Liebe zur Sache, ehrlichem Bemühen und persönlichem Engagement realisiert wurde, deren Inszenierung (Ladislav Stros) und Ausstattung (Bühnenbild: Vladimir Nyvlt, Kostüme: Marcel Pokorny) aber über lange Strecken etwas phantasielos, ja am Rande des Kitsches, oft zu plump und derb ausgefallen ist.

Welch großartige Möglichkeiten gibt es doch, Janäceks anmutige Bilder, diese liebenswürdigen Genreszenen und Tiercharakterstudien zu einer Art Ballett zu verflechten, die lustigen Gestalten in duftige, an Atmosphäre reiche Bühnenbilder zu versetzen, die dem ganzen einen Hauch von Märchen geben. Kaum eine dieser Möglichkeiten wurde wirklich genutzt: Vor allem Szenen wie die im Wald mit den Riesenfarnen und allerlei stilisierten Pflanzen, die aus einem Elektrogeschäft geborgt sein könnten oder die im nüchternen Wirtshausgarten trotz ihrer Buntheit geradezu sterile Kühle verströmen. Und die Choreographie Ruzena Mazalovä Feixoväs war durchaus nicht dazu angetan, den Aktionen Leichtigkeit, Verspieltheit zu leihen.

Davon abgesehen erwies sich aber die Aufführung unter Bohumil Gregors prägnanter Leitung immerhin als musikalisch sauber disponiert und mit Umsicht gestaltet: Die bald

humoristisch, bald elegisch sich verwandelnden Doppelmotive erzeugen permanentes Schillern, Fluktuieren, eine überaus aparte, lockere Faktur, die vom Dirigenten ebenso wie die stellenweise üppig aufblühende Instrumentation mit Flair für impressionistische Farben realisiert wurde.

Aus der Vielzahl der Darsteller, die Bohumil Gregor sensitiv' führte, seien hier vor allem Helene Tattermuschovä und Eva Zikmundovä genannt, die Füchslein Schlaukopf, übrigens ein reizendes, quicklebendiges Persönchen, und den seriösen Fuchs, ihren späteren Gatten, mit Charme und ein bißchen Mut zum Outrieren verkörperten. Jindfich Jindrak sang den Förster mit brummiger Freundlichkeit, Jan Hlavsa den Schulmeister und die Mücke mit etwas dünnem Organ. Jaroslav Veverka verkörperte den Pfarrer und den Dachs mit feinem Humor, Jiri Joran den wildernden Geflügelhändler Harasta grobschlächtig. Für die Einstudierung der Chöre sorgte Milan Maly.

Den Text zu seiner letzten Oper „Aus einem Totenhaus“ schrieb sich Janäöek selber. Er benützte dazu Dostojewskijs gleichnamige „Aufzeichnungen“, die auf eigenen Erlebnissen des Dichters basieren und die er einen frei erfundenen Edelmann, Alexander Petrowitsch Gorjatnikoff, machen läßt, der übrigens auch die Hauptgestalt von Janäceks Oper ist. Die spärliche Handlung dieser in einem sibirischen Gefängnis, am Ufer des Irtysch, im Gefängnislazarett und wieder im Gefängnishof spielenden Oper wird ständig mit den Erzählungen und Bekenntnissen der Gefangenen verwoben, so daß ein dichtes Schicksalsnetz entsteht, in dem alle hängen. Die umfangreiche, schwer leserliche Partitur schrieb Janäöek — teilweise auf den original russischen Text — in den Jahren 1927 bis 1928. Die Brünner Uraufführung (1930) hat der Komponist nicht mehr erlebt.

Wien lernte das düstere Werk erst jetzt kennen, und zwar durch ein Gastspiel des Prager Nationaltheaters. Der Bühnenbildner Vladimir Nyvlt versucht, realistische und abstrakte Elemente zu verbinden, Ladislav Stros hat sich hauptsächlich als Massen- und Chorregisseur zu betätigen. Aber auch die einzelnen Gestalten versteht er gut zu profilieren: Alexander Petrowitsch, einen jungen Tataren, den „großen“, den „kleinen“ und den „greisen“ Sträfling, Skuratoff, Tschekunoff, den Popen und den Platzkommandanten. — Abwechslung in die handlungsmäßig gleichförmigen drei Akte bringt die von den Sträflingen aufgeführte Pantomime, in der — ein makabrer Effekt — sowohl Don Juan als auch die schöne Elvira und der „Ritter“ dicke Ketten an den Füssen tragen...

Janäceks eigenständige Tonsprache ist hier bis zur Vollkommenheit ausgebildet: die kurzen Motive, die tonale, aber stets originelle und eigenwillige Harmonik, die plötzlichen Ballungen, Steigerungen und Explosionen, die elegischen Lyrismen. — Allein dem Orchester zuzuhören, das nach Überwindung einer gewissen, wohl durch die ungewohnte Umgebung verstärkten Premierennervosität, unter Bohumil Gregors Leitung sehr tonschön und intensiv spielte, ist ein großes Vergnügen. — Für die mehr als zwei Dutzend im Programm genannten Mitwirkenden mögen die Namen Jedlicka, Blachut, Zidek und Heri-ban stehen.

„Was bin ich? Was bist du? Was ist Wahrheit? — Das Spiel ist dennoch keine philosophische Abhandlung, sondern eine schöne und poetische Phantasie in Gestalt eines Traumes — die einzig mögliche Form für die Beschreibung seelischer Zustände.“ So schrieb der Komponist Bohuslav Martinu über das Stück „Julietta“ von Georges Neveux, das im Frühjahr 1930 in Paris uraufgeführt wurde und heftige Kontroversen auslöste. — Die auf der feinen Linie zwischen Realität und Illusion balancierende Handlung zu beschreiben, ist unmöglich. Der passive Held Michel sucht nämlich drei Akte lang nach einer Stütze, einem Faden, um sich vergangene Ereignisse wieder ins Gedächtnis zurückzurufen, vor allem alles, was mit seiner Freundin Julietta in Zusammenhang steht, also eine Art vergeblicher „recherche du temps perdu“, wie sie auch Marcel Proust betrieb. Dabei ergeben sich ununterbrochen die absurdesten Situationen zwischen den merkwürdigen Gestalten des Spiels: sieben mit bunten Luftballons geschmückten Damen, Arabern und Wahrsagern, einer Vogelhändlerin und einer Händlerin mit Erinnerungen, einem jungen Matrosen und einer alten Dame, zwischen Laufbursch, Bettler, Sträfling, Lokomotivführer und Nachtwächter. Und immer wieder erscheint Julietta im Fenster dem träumenden Michel...

Martinu, der damals in Paris lebte, fand Gefallen an der abstrusen Handlung, die manches vom absurden Theater vorwegnimmt und deren Grundstimmung ihn an Prag und Kafka erinnert haben mag. Er schrieb die etwa 450 Seiten umfassende Partitur innerhalb von sieben Monaten (1936/37) und vertraute sie seinem Freund Vaclav Talich an, der am 16. März 1938 die Prager Uraufführung leitete. — Im Theater an der Wien war Jaroslav Krombholc der Dirigent, während das bewährte Team Kaslik, Svoboda und Skalicky für die Inszenierung und Ausstattung des überaus schwierigen und vieldeutigen Werkes sorgte. Was wir sahen, war ein quasi überbelichteter Traum, Phantastik und Zauberei auf dem Tablett präsentiert, unbeschreiblich exakt und gekonnt ausgeführt. Diese Partitur ist wohl Martinus originellste und reichhaltigste. Sie weist einen phantasiebegabten Musiker aus, der buchstäblich alles kann. Die großartige Aufführung unter Krombholc mit Maria Tauberova und Ivo Zidek als Protagonisten war ein Triumph des Ensembletheaters.

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