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Wien zuliebe verlängert

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Nach nahezu siebenwöchiger Dauer gingen die diesjährigen Internationalen Festspiele mit einem Gesamtgastspiel der Wiener Staatsoper zu Ende.

Vorausgegangen waren neben den beachtlichen Aufführungen der Wiesbadener Oper selbst („Aida“, „Frau ohne Schatten“, „Lohengrin“ und „Schwanensee“) Ensemblegastspiele aus London („Coppelia“), Paris („Le Bourgeois Gentilhomme“) und Zagreb („Ero der Schelm“, „Pique Dame“ und „Der Teufel im Dorf“). Die vorzügliche Programmgestaltung rechtfertigte auch dieses

Mal den Anspruch, ein „europäisches Opernfest“ zu sein.

Dem Vernehmen nach dankt man den Besuch der Wiener der persönlichen Initiative von Dr. Egon Hilbert. Die Festspielleitung dehnte die traditionsgemäß auf den Mai sich beschränkenden Aufführungen auf den ganzen Juni aus, um ihrerseits das Gastspiel zu ermöglichen.

Für die Spielleitung in Mozarts „Figaro“ zeichnete Josef Witt „nach der Inszenierung von Günther Rennert“ verantwortlich. Die Büh- .nenbilder und Kostüme von Ita Maximowna entstammten sowohl der Rennertschen als auch der Witt- schen Inszenierung. Bei den vielen szenischen Unstimmigkeiten fehlte der Aufführung jedes übergeordnete Konzept. Die Komödie sank stellenweise zur Posse ab.

Unter der souveränen musikalischen Leitung von Josef Krips dominierte die Musik eindeutig über die Szene. Die ganze Partitur mit ihrem treibenden Melos, ihrer berückenden Dynamik in den Seria- Passagen und ihren zündenden Finalprestissimi wurde von Krips liebevoll und detailschön aufbereitet. Das aufgebotene Solistenensemble mit Hilde Güden, Graziella Sciutti, Gundula Janowitz, Eberhard Wächter, Vladimiro Ganzarolli und anderen war zwar für hiesige Begriffe gut und auserlesen, keineswegs aber sensationell und festspielwürdig. Einen besseren Eindruck hinterließ die Aufführung der „Zauberflöte“ in der stilistisch einheitlichen Inszenierung durch Rudolf Hartmann und der Ausstattung von Günther Schneider-Siemssen. Die hier gefundene Synthese von Volks- theater, Zauberbühne und huma- nistisch-freimaurerischer Ideologie kam auf der verhältnismäßig kleinen Wiesbadener Bühne sehr gut zur Geltung. Ungeachtet der homogenen Besetzung mit Wilma Lipp, Lucia Popp, Erich Kunz, Walter Kreppei, Fritz Wunderlich und anderen und der gewinnenden Simplizität, mit der Josef Krips wiederum die Wiener Philharmoniker spielen ließ, fand diese Aufführung weniger Anklang als die verschluderte „Figaro“- Fassung.

Das Publikum spendete allen Ausführenden herzlichen Szenen- und Schlußbeifall. Wir knüpfen daran die Erwartung, der Wiener Staatsoper bald mit einem repräsentativeren Gastspiel in Wiesbaden wiederzubegegnen.

Wiesbadens Festspiele entwickeln sich zu einem Schaufenster des Ostens. In diesem Jahr präsentierte sich zum erstenmal die Kroatische Nationaloper aus Zagreb, die zweitgrößte Bühne Jugoslawiens neben der durch zahlreiche Gastspiele in den vergangenen Jahren hinlänglich bekannten Belgrader Staatsoper.

Enttäuschend war der Ballettabend. Neben Les Mouvements von François Guillot de Rode mit der substanzarmen Musik von Dimitrij Kabalewski zeigte die.auch im Technischen mittelmäßige Truppe das foikloristische Ballett Der Teufel im Dorf von Pia und Pino Mläkar mit der Musik von Fran Lhotka. Folklore läßt sich auch im Osten nicht aus dem Boden stampfen, zumal nicht, wenn man nur schulmäßig sauber Realismus in der Musik mit dekorativem Pathos in der Gestaltung vereinigt.

Ebenso zwiespältig war der Eindruck, den die komische Oper Ero der Schelm des zeitgenössischen jugoslawischen Komponisten Jakov Gotovac hinterließ. Nach literarischen Vorlagen wollte der Komponist in einer komischen Oper den Typus eines Nationalschelms und Volkskomöddianten auf die Bühne bringen. In der Volkssage ist Ero ein Held, der sich in den zahlreichen Kämpfen der Südslawen gegen die türkischen Unterdrücker durch List und Schlauheit zu helfen weiß. Der Librettist Milan Begovic eliminierte den historisch-literarischen Hintergrund und machte aus der Volkserzählung eine komische Oper mit dem reichen Bauemburschen Mitscha, der seine Geliebte durch mancherlei Späße auf die Probe stellt, ob sie ihm treu sein wird und ihn nicht nur seines Geldes wegen heiraten will. Die Handlung ist episch breit, ohne dramatische Steigerungen und Höhepunkte. Die angedeuteten Charaktere gehen, da auf jegliche Typisierung verzichtet wird, im Volksganzen unter, das Milieu überwiegt. — Auch die Musik bewahrt die Folklore, indem sie rhythmische und melodische Floskeln von dort übernimmt. Chromatische Trübungen und harmonische Probleme werden vermieden. Steigerungen werden nur durch Wiederholungen, Sequenzbildung und große Lautstärke herbeigeführt. Obwohl Nando Rojes Regie und Niksa Barezas musikalische Leitung vor prallem Realismus und derber Komik strotzten, blieb das Stück theatralisch nichtssagend. Dem wenig zahlreichen Festspielpublikum gefiel es trotzdem, wohl nicht zuletzt wegen der farbenprächtigen originalen Kostüme von Inga Kostincer.

Einen starken Eindruck hinterließ die Aufführung von Tschaikowskys Oper Pique Dame. Während hierzulande das Werk meistens als psychologisch vertieftes Musikdrama im Wagnerschen Sinn bearbeitet und inszeniert wird — zuletzt durch Bohumil Herlischka in Frankfurt — zeigten die Kroaten die vollständige Fassung der Oper, sie interpretierten werkgetreu. Tschaikowskys musikalische Sprache ist Leitsatz und Formprinzip für die traditio nalle realistische Inszenierung Kosta Spaics. Alles Gefühlvolle ist durch Affekt und Pose bewußt ausgespieit; die leicht stilisierten Bühnenbilder von Zvonko Agbaba unterstreichen dabei das Abgründige und tragen mit dazu bei, daß die Aufführung nicht den Tücken des bloßen Historismus erliegt. Darstellerisch überzeugte vor allem Piero Filippi als Hermann. Mirka Klaric setzte für die Rolle der Lisa einen metallisch hell timbrierten Sopran ein. Rv.za Pospis besitzt eine ungewöhnlich große und tragfähige Altstimme

(Daphnis im Intermezzo des vierten Bildes) — man wird sich diesen Namen merken müssen. Vladimir Ruzdjak sang und gestaltete einen elegischen Fürst Jeletzky. Marijana Radev identifizierte sich unit der herrschsüchtigen alten Gräfin und gestaltete die Sterbeszene mit erregender Dämonie. Das Orchester unter Boris Papandopulo verströmte erst im dritten Akt die erforderliche dramatische Intensität. — Es wäre gewiß aufschlußreich, der Zagreber Oper einmal mit einem weniger folkloristisch betontem Programm zu begegnen.

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