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Durchschnittliches -zu Spitzenpreisen

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Auf neun Tage hat diesmal Herbert von Rarajan seine Salzburger Osterfestspiele ausgedehnt, um eine maximale Auslastung der Produktion zu ermöglichen und damit die finanziellen Schwierigkeiten, in denen sein Privatfestival steckt, wenigstens teilweise aufzufangen. Denn seit 1967, als er die Osterfestspiele mit Plattenfirmenhilfe startete, hat sich das Unternehmen trotz Kartenpreisen bis zu 1500 Schilling rapid als subventionsbedürftig erwiesen, um weiterbestehen zu können: Rund eine Million Schilling Tageszuschuß, das sind insgesamt 7,6 Millionen jährlich, die sich Stadt und Land Salzburg teilen, sind 1974 notwendig geworden

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Auf neun Tage hat diesmal Herbert von Rarajan seine Salzburger Osterfestspiele ausgedehnt, um eine maximale Auslastung der Produktion zu ermöglichen und damit die finanziellen Schwierigkeiten, in denen sein Privatfestival steckt, wenigstens teilweise aufzufangen. Denn seit 1967, als er die Osterfestspiele mit Plattenfirmenhilfe startete, hat sich das Unternehmen trotz Kartenpreisen bis zu 1500 Schilling rapid als subventionsbedürftig erwiesen, um weiterbestehen zu können: Rund eine Million Schilling Tageszuschuß, das sind insgesamt 7,6 Millionen jährlich, die sich Stadt und Land Salzburg teilen, sind 1974 notwendig geworden

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Trotz solcher Unterstützung reichte bereits im ersten Jahr dieses Abkommens, also 1974, die Summe nicht: Festivalgeschäftsführer Doktor Aigner mußte auch noch um Gewährung einer zweckgebundenen Subvention ansuchen. Denn die 1974 produzierten „Meistersinger“ hatten nicht, wie ursprünglich geplant, 3,7 Millionen an Ausstattungskosten verschlungen, sondern runde fünf Millionen.

Heuer scheinen die Osterfestspiele zwar dank drastischer Sparoperationen um die Runden zu kommen: Karajans „Boheme“-Aufführungi jene zwölf Jahre alte, legendäre Mailänder und Wiener „Boheme“, wurde in Wiener Dekorationen und Wiener Kostümen gespielt, die leihweise nach Salzburg kamen; für die „Meistersinger“ stand die Ausstattung des Vorjahres zur Verfügung, die möglicherweise auch noch in Wien benützt werden wird. Zumindest stellt Karajan sich das vor.

Über die Zukunft der Salzburger Osterspiele herrscht allerdings Ungewißheit. Zwar steht für 1976 Wagners „Lohengrin“ in Karajans Regie und unter seiner Leitung fest; über 1977 schweigen sich aber alle aus. Keine Rede mehr vom Projekt „Parsifal“, keine Rede von Finanzierungsfragen, obgleich das Subventionsabkommen mit Stadt und Land Salzburg 1976 ausläuft. Und Gerüchte in Salzburg wollen sogar wissen, daß Karajan sich für 1977 Wien gesichert hat, weil es zu keinen Osterfestspielen mehr kommen könnte.

Gegen ein Auslaufen des Festivals spricht freilich, daß Karajan erst 1977 seinen alten Traum von einem Opernpool verwirklichen könnte.

Dann zwar allerdings nicht mehr auf höchster internationaler Ebene, also in einer Achse Wien—Mailand— Paris etwa, sondern nur noch in der Konstellation Wien—Salzburg

Oster- und Sommerfestspiele. Aber immerhin bedeutete auch diese „Zusammenlegung“ eine gewaltige Konzentration von Kapital, Möglichkeiten, Einfluß... für Karajan, für die hinter ihm stehenden Plattenindustrie und ihre Sängerstars, und vor allem für eine Künstleragentur in Zürich und Vaduz, deren Chef immerhin Karajans Ratgeber ist und an der Karajan übrigens — wie man hört — finanziell beteiligt sein soll. Bedeutet das aber nicht, daß erstmals wieder künstlerische Leitung, Management, Finanzgebarung von einer Steuerzentrale her entscheidend gelenkt werden könnten?

Daß aber nicht nur in dieser Hinsicht manches problematisch geworden ist, sondern daß auch Salzburgs Osterfestspiele überhaupt ein wenig abgenützt wirken, zeigte sich an der Qualität der diesjährigen Aufführungen der „Boheme“ und der „Meistersinger“ selbst: So ist das Wunder von Mailand und Wien heuer nicht einmal zu zwingen gewesen. Trotz so fulminanter Ereignisse wie Karajan am Pult, der dieses Werk nach wie vor mit fesselnder Intensität und ungeheurer Delikatesse dirigiert, und Mirella Freni als wohl weitbeste Mimi, bescherte schon die Eröffnung bloß eine solide „Boheme“-Aufführung. Nicht mehr. Es war kein exzeptionelles Fest der Sänger der Weltelite, keine Festivalsensation, kein zutiefst erschütterndes musikr-dramatisches Ereignis, kein optischszenisches Meisterwerk, das wie einst staunen, den Atem stocken ließ. Es war bloß eine von Franco Zeffirelli ein bißchen oberflächlich, wohl auch allzu rasch aufgefrischte Inszenierung, an der man deutlich merkte, daß so vieles für ganz andere Bühnenverhältnisse gedacht war; ein in der Besetzung durch manche „Wenn“ und „Aber“ getrübtes Vergnügen, eine Aufführung, die noch dazu vom Orchester, den Berliner Philharmonikern, manchmal recht plump, seltsam schwermütig gespielt wurde und so ziemlich allen Glanz, alle Bravour verlor.

Vor allem mangelte es der „Bo heme an Intimität, die doch jeden Zoll der Wiener Aufführung bestimmte. Gewiß, die Dekorationswerkstätten hatten ein kleines Wunder vollbracht, um die Wiener „Hochformatbilder“ in Cinemascopeszenen zu verwandeln; man hat auch keine Kosten gescheut, Hundertschaften über den Boulevard dieses Pariser Quartier Latin zu treiben, um die Breitwandbühne zu füllen; aber Salzburgs große Festspielhausbühne kennt kein Erbarmen; sie decouvriert letztlich jedes Bild, jede Geste, die nicht aus ihren Raumproportionen entwickelt ist... Und so mangelte es vor allem den Szenen in der Mansarde an Spannung und Dichte. Menschen, Künstler, die da auf sehr engem Raum ihr elektrisch aufgeladenes Zusammenleben vorspielen sollen, bleiben eigentlich isoliert, zeigen jene moderne Einsamkeit, die weder in Henri Murgers Kolportagegeschichte noch in Puccinis veristisch-senti-mentalem Weltbild Platz haben.

Dennoch bescherte diese Aufführung auch großartige Momente: Mirella Freni bescherte sie als Mimi, ein zerbrechliches Geschöpf, das mit sanftem Samttimbre, strahlender Hohe und einer fabelhaften Sicherheit im Ausdruck diese Partie füllt. Sie triumphierte einen Abend lang, ihr vor allem galt der Jubel der Begeisterten. Eine einsame Klasse, die rundherum von keinem dieses „Boheme“-Sängerteams erreicht wurde — nicht von Luciano Pavarotti, dessen Poet Rudolf es zwar nicht an tenoralem Schmelz mangelt, wohl aber an der strahlenden Durchschlagskraft des Stimmaterials, in dem ihm längst ein Placido Domingo überrundet hat; auch nicht von Rolando Panerai, dessen Maler Marcel nun über seine Glanzzeit um einiges hinaus ist. Und schon gar nicht von Gianni Maffeo und Paolo Washington (Einspringer für Nicolai Ghiaurov), zwei braven Sängern, die die Partien allzu unprofiliert heruntersingen. Enttäuschend war vor allem auch Renate Holm, die für Elizabeth Harwood einsprang: Ihre zänkischen Liebesanwandlungen und ihre leichte Lebensader wirken allzu künstlich aufgesetzt. Ihre Musette ist vor allem Operettenheldin und in dieser Inszenierung geradezu ein Fremdkörper. Immerhin sehr solide studierte Chöre.

Noch enttäuschender war die

„Meistersinger“-Wiederaufnahme vom Vorjahr. Trotz gründlicher Überarbeitung der Inszenierung ist Karajan auch diesmal kein Guß gelungen, weil er sich allzu sehr auf vordergründige Effekte, auf Show, auf platten Wirbel verläßt, der obendrein auch noch die musikalisch dichte, intensiv geführte Aufführung beeinträchtigt.

Show war jedenfalls Trumpf: Die aus Paris herbeigeholte Hintertruppe der „Cascadeurs“, zog da eine Straßenschlacht ab;, Beckmesser mußte gedoubelt werden, um in dieser Balgerei auch noch in ein beleuchtetes Schwimmbecken fallen zu können; Wagners Nachtwächter bekam nur einer billigen Pointe wegen einen Kollegen mit zirpender Fistelstimme; und fürs Bild auf der Festwiese hat man die Lamellenwände des Festspielhauses wieder weit auseinandergezogen, um viel Platz zu haben. Aber, obwohl Hunderte Statisten teils hereingekarrt werden, teils hereinmarschieren, sehen sie auf der Riesenbühne ärmlich aus. Man müßte wohl 2000 marschieren lassen, um diese Reichsparteitagatmosphäre zu treffen.

Diesem Eindruck der lauten Szene steht eine musikalische Interpretation gegenüber, die zwar durch die Teilung (zwei Akte vormittag, der dritte am Abend) in der Spannungskurve abflacht, spürbar gestört wird; aber dank Karajans intensivem Einsatz hatte die Aufführung immerhin doch Atmosphäre.

Erfreulich vor allem einige Details: So, daß Rene Kollo in die Partie Walthers hineingewachsen ist. Sein Tenor klingt wärmer, kräftiger, hat mehr Volumen, das Spiel wirkt gelöster. Gundula Janowltz singt die Eva mit viel Innigkeit, behutsam und verhalten, wenngleich sie im dritten Akt, vor allem im Quintett in der Sachs-Stube, in der Höhe etwas schrill wirkte. Sollte ihr die Trennung der Akte nicht gutgetan haben? Möglich wäre es immerhin. Ebenfalls vertieft hat Karl Ridderbusch, Karajans Lieblings-Hans-Sachs, den „Flieder“-und „Wahn“-Monolog; sein volles Stimmaterial imponierte wohl noch mehr, wenn er weniger polternd spielte. Daß er einmal beinahe ausstieg, befremdete allerdings. Peter Schreier gestaltete die Partie des David noch immer ungemein jungenhaft. Als Magdalena steht ihm eine nicht ebenbürtige Kerstin Meyer gegenüber.

Problematisch, weil allzu ungleich, ist die Schar der Meister: Wobei Peter Lagger ein schwerfälliger Pogner ohne Baßvolumen ist; Günther Leib zwar ein komischer Beckmesser, aber das Stimmaterial hat zuwenig Durchschlagskraft; Jef Vermeersch kann den Kothner kaum profilieren... Die übrigen versinken in Uriterdurchschnittlich-keit. Für eine „Meistersinger“-Runde peinlich blaß. Wiener Staatsopernchor, Singverein und Salz-burger Kammerchor habe ich auch schon präziser gehört. Eine „Mei-stersinger“-Aufführung, die wenig Festliches an sich hatte und schon gar nicht ihr Geld, fünf Millionen, wert ist.

Mit Aufführungen von Beethovens Missa solemnis und einem Minikonzert von exakt 57 Minuten Dauer (plus Pause), Dvofäks „Neunte“ und Ravels „Bolero“ präsentierend, verwöhnte Karajan sein Jet-Set-Publikum außerdem. Vor allem die Messe imponierte durch Klangschönheit der Chöre, eine solide Besetzung der Solopartien mit Gundula Janowitz, Christa Ludwig, Peter Schreier und Karl Ridderbusch.

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