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„Macbeth” und große Konzerte

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Verdi hat bei den Salzburger Festspielen eine gesicherte Position. In der Geschichte des österreichischen Festivals gibt es eine Anzahl großartiger Verdi- Inszenierungen, und die Sorgfalt, die man an sie wandte, läßt ebenso wie ihr Erfolg die Annahme zu, daß dem dramatischen Genius des Risorgimento das Klima der Mozartstadt günstig ist. — Allerdings: über die Wahl der Opern ließe sich diskutieren, und wenn heuer, im Shakespeare-Jahr, schon Verdis geistige Begegnung mit dem Schwan von Avon betont werden sollte, dann hätten „Othello” oder „Falstaff” den Vorzug verdient. Zugunsten von „Macbeth” kann angeführt werden, daß man dieses Werk seltener zu hören bekommt als die anderen und daß ihm die Szenerie der Felsenreitschule eher gemäß ist. Und jetzt, post festum, muß man einräumen: die Wahl des Werkes wurde durch eine glutvolle und festliche Aüfführung gerechtfertigt.

Teo Otto fügte den Gegebenheiten des Schauplatzes nur einen Felsaufbau in der Bühnenmitte und rechts einen Treppenaufschwung zu einem goldfunkelnden Riesentor hinzu. Ein Bild von bailaden- hafter Monumentalität, der rechte Raum für das Pathos leidenschaftlicher Deklamation, für weit ausgreifende dramatische Bewegung und für die strategische Phantasie des Regisseurs Oskar Fritz Schuh, der seine Heerscharen zu den schwierigsten Operationen souverän einsetzt.

Manches ist ins Monströse gesteigert. Der Aufwand an Heyen ist nicht mehr zu iiberbieten. Rhythmisch bewegt erscheinen die lemurischen Wesen im Dunkel der Heide und werden von der Regie wie nasse Säcke über den Rand der Klippe gehängt. Auch mit Fackelträgern wird nicht gespart. Sie gleiten durch die Arkaden der Mönchsbergwand, marschieren über die Bühne und stellen sich vor der Rampe auf, während sich hinter der Lichtfülle die Heide unbemerkt in den Bankettsaal verwandelt. Das Ganze ist indes äußerst eindrucksvoll.

Für die Hauptpartien waren Weltstimmen aufgeboten. Dietrich Fischer-Dieskau spielte und sang den Macbeth mit tiefer Durchgeistigung, doch seinem noblen, kultivierten Organ fehlt die Gewalt eiementarer Tragik, über die Hans Hotter gebot. Als Lady Macbeth prunkte Grace Bumbry mit ihrer phänomenalen Stimme im Stil einer großen Primadonna. Den Abgrund der Verdammnis, der dieses Herz gefangen hält, ließ sie nur im Wahnsinn ahnen. Ermanno Lorenzi sang mit gefälligem Tenor den Macduff, Peter Loggers mächtig schwingender Baß prägte Banquos tragische Gestalt. In den anderen kleinen Partien bewährten sich trefflich Alois Pernerstorfer und Walter Ranninger.

Großartig, ohne Einschränkung, die Wiener Philharmoniker, der Staatsopernchor und der Kammerchor der Salzburger Festspiele. Sawallisch als Dirigent der Aufführung disponierte unauffällig, aber äußerst wirksam, klug und mit unfehlbarem Gefühl für Akzente und Steigerungen. Der festliche Abend wurde vom Publikum stürmisch bejubelt.

Die erste Wiederbegegnung mit den Berliner Philharmonikern vermittelte als Dirigent der 28jährige Inder Zubin Mehta. Mußte der junge Maestro im vergangenen Jahr an Bruckner noch scheitern, so erwies er sich heuer an der 1. Symphonie in c-Moll von Johannes Brahms als gereifter Interpret abendländischer Innerlichkeit. — Er zog die schmerzliche Schönheit der großen Melodienbögen leidenschaftlich nach, ziselierte den dritten Satz mit liebevoller Hand und fand für den Aufbau des Finales immer neue Steigerungen. — Igor Strawinskys klassizistische Symphonie in drei Sätzen, vom Interpreten mit furioser Rhythmik ausgestattet und daher stilistisch mißverstanden, leitete den Abend virtuos ein. Im Mittelpunkt stand Mozarts Violinkon-

zert in A-Dur, KV 219, von Wolfgang Schneiderhan ebenso spirituell wie gemüt- haft dargeboten. Es spricht für den Kunstverstand des Dirigenten, daß er sich bei der Führung des Orchesters auf das Nötigste beschränkte und diese im wesentlichen dem Solisten überließ.

Ein Erlebnis, das noch lange nachwirken wird, war das 2. Orchesterkonzert der Berliner Philharmoniker mit Carl Schu- rieht, einem der letzten aus jener glücklichen Zeit, da man die großen Dirigenten noch nicht mit der Laterne suchen mußte. Der 84jährige Meister ließ mit einer wunderbaren Leistung die Erinnerung daran wach werden. Welche tiefe Kenntnis der geistigen Substanz, welche innere Sicherheit bei äußerer Zurückhaltung, welche Genauigkeit ohne die mindeste Pedanterie ! Dabei ist Schuricht ein Klangkünstler von höchstem Rang. Mozarts Prager Symphonie kann vollkommener nicht gespielt werden. Das ist jener salzburgische Stil, wie er für Mozart auf der Opernbühne hier oft vergeblich gesucht wurde. Dieser Norddeutsche, dieses Orchester aus Berlin besitzen ihn und vermöchten ihn uns zu lehren. Bruckners gewaltige E-Dur-Sym- phonie wurde in ihrem ganzen Reichtum zu einer überirdischen Klangvision. Das Publikum war ergriffen und dankte dem greisen Dirigenten und den Berlinern durch enthusiastische Huldigungen.

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