6577524-1950_51_07.jpg
Digital In Arbeit

Geistliche und weltliche Chormusik

Werbung
Werbung
Werbung

Erscheint Verdis grandiose Totenmesse durch opernhafte Elemente und stark äußerliche Effekte als Kirchenmusik problematisch, so verstand Herbert v. Kara-jan, unermüdlicher Interpret des Werkes, dessen geistige Problematik mit solcher Wucht in den Vordergrund zu stellen, daß vielleicht zum ersten Male eine schlechthin völlige Synthese beider Komponenten erreicht wurde, was dokumentarisch in der ergriffenen Stille zum Ausdruck kam, die dem verhauchenden Schlußakkord folgte. Die technische und musikalische Leistung war bis ins Kleinste durchgearbeitet, Chor und Orchester „sangen“ mit lückenloser Exaktheit und Sauberkeit und einer ungewöhnlichen Wärme des Tones. Von den Solisten waren Anton Dermota und George London gegen die Frauenstimmen in entschiedenem Ubergewicht. Der Liturgie gleichwohl kaum zu gewinnen, stellte die Aufführung die über alle weltlichen Mittel hinaus nichtsdestoweniger echt gottesdienstliche Haltung und erhabene Tragik des gewaltigen Werkes vor.

In ausgesprochener Gegensätzlichkeit zu Verdis Requiem steht Beethovens Missa solemnis, deren Dramatik trotz weitgehender Wortdeutung ganz auf inneres Erleben gestellt ist, wie schon das Motto über der Partitur verkündet: „Von Herzen — möge es wieder zu Herzen gehenl“ Auch dieses für den Gottesdienst komponierte Werk verläßt den liturgischen Rahmen, nicht aber die liturgische Haltung. Georg Solti, als Dirigent zum ersten Male auf dem Wiener Konzertpodium, präsentierte sich als Dramatiker von großen sicheren Griffen, zumal in den großen Teilen Gloria und Credo, die kolossalen Steigerungen nicht nur dynamisch, sondern auch seelisch entwickelnd. Seine Gesten sind groß und klar, musizierender Dienst im schönsten Sinn, ohne Pose und Selbstgefälligkeit. Der äußeren Präzision seiner Zeichengebung entsprach die innere Wahrheit seiner Deutung, der man sich nach den ersten Takten willig überließ, Die metaphysischen Tiefen des Sanctus und Benedictus allerdings blieben verschlossen, dagegen gelang das Incarnatus (eine der tiefsten musikliturgischen Deutungen überhaupt) in transzendenter Reinheit und Weihe. Den gigantischen stimmlichen Anforderungen entsprach das erlesene Solistenquartett (Gertrude Grob-Prandl, Res Fischer, Anton Demota, Otto Edelmann) und der große Chor des Singvereins in einer Weise, die man ebenso wie die Leistung des Orchesters und die klanglich eingeordnete Orgeltönung durch Alois Forer vollkommen nennen durfte.

Kleine kirchenmusikalische Kostbarkeiten: Johann Sebastian Bachs Hochzeitskantaten „Der Herr denket , an uns“ und „Gott ist unsere Zuversicht“ hörten wir in einer Veranstaltung der Bach-Gemeinde unter Julius Peter, leider in einer dynamisch und ausdrucksmäßig wenig differenzierten Wiedergabe, obwohl der reine und natürliche Klang des Chors wie das exakte Spiel der Instrumenlalisten mehr erwarten ließen, vor allem eine geistige Durchgestaltung, wie sie in der Leistung der Solisten, zumal Otto Wieners, in Erscheinung trat. Die Subtilität und Vielfältigkeit Bachscher Kantatenkunst kann vom Rhapsodischen und Choralischen allein nicht erreicht werden, sondern bedarf, um der Absicht ihres Schöpfers zu entsprechen, mikrokospischer Treue der gedanklichen Durchdringung und der funktionellen Gliederung. Denn die Form ist das Gefäß des Geistes und bedarf seiner, um zu sein.

In ganz andere Gebiete chorischen Singens führte ein Vokalkonzert des Wiener Schubertbundes unter Leitung seiner Chormeister Viktor Keldorfer und Hans Gillesberger. Die Tradition des Männergesanges offenbarte ihre abendliche Schönheit in den Klangdomen vergangener Zeiten

(Schubert, Hegar), den farbigeren Tonschöpfungen ihrer älteren Erben (Marx, Siegl, Kodaly) und den struppigeren Satzweisen der Jüngeren (Franz Burkhart). Der Weg führt immer weiter, von der Romantik zum Realismus und zur Neoklassik, von der reinen Enpfindung zur reinen Zeichnung, vom Akkord zur Linie, immer näher zur Musik an sich. Eine — nicht nur formale — Erneuerung des Männergesangs scheint zur Lebensfrage zu werden, um aus den Meisterwerken eines Jahrhunderts wieder neues Leben zu erwecken. Prof. Franz Krieg •

Mit viel Geschick und Glück nahm sich auch der Wiener Männergesangverein im zweiten Teil seines 108. Stiftungskonzerts der zeitgenössischen Chormusik an. Auf Texte von Josef Weinheber („Die Posaune“ und „Distel“) schrieben Franz Burkhart und Alfred Jirasek eigenwillige, expressive und dissonanzreiche Sätze, die bereits beim Sängerfest in Graz Aufsehen erregt hatten. Originell und modern, im Stil des Maschinenzeitalters, wirkte das Bergarbeiterlied von Karl Pilß mit seinen beiden, von drei Pauken exekutierten, ostinaten Rhythmen. Farbiger Lyrismus zeichnet das Eichendorff-Lied Armin Kaufmanns aus, während Rudolf Pehm und Otto Siegl mit ihren kontrapunktischen Sätzen den Chor vor fast virtuose Aufgaben stellten. Die Art der Inpretation von Karl Schiskes Klaviersonate durch Hans Weber war ebenso bemerkenswert wie die Tatsache, daß man ein Werk von dezidiert moderner Haltung in das Programm aufgenommen hat. In den von Streichern begleiteten Chören des ersten Programmteils kamen die Qualitäten und natürlichen Grenzen des Ensembles zum Ausdruck, das seinem gewandten Leiter Karl Etti, der auch die zeitgenössischen Werke auswendig dirigierte, elastisch folgte.

Die Vereinigung „W iener Kammerkonzerte“ brachte zur Hundertjahrfeier des „Elias“ 1946 zum erstenmal nach langer Zeit das Mendelssohnsche Oratorium. Die Wiederbegegnung war interessant, die Wiederholung wurde angeblich vielfach verlangt. — Dies ist in der Tat eine Musik, die jedem gefallen mag, und ein unverbindlicher Stil, der einer weitverbreiteten Vorstellung von Sakralmusik entspricht. Der romantische Klassizist kehrt in diesem Werk mehr die Händel zugewandte klassizistische als die natur-romantische Seite des Symphonikers nach außen. Der Versuch, einen überpersönlichen Stil zu schaffen, führt etwa zu dem gleichen Resultat wie bei den Nazarenern: mehr stille Einfalt als edle Größe. Die Leichtigkeit der Produktion und das ursprüngliche Formtalent sind freilich fast in jedem Takt zu erhören. Die Aufführung unter Franz Kraus mit den Solisten Boesch, Hermann, Majkut, Braun und Forer-Orgel ließ kaum einen Wunsch offen Das Vokalensemble wurde durch den Wiener Lehrer-a-cappella-Chor, den Knabenchor der Schottenabtei und den Chor der Wiener Kammerkonzerte gebildet; Mitglieder der Wiener Symphoniker stellten das Begleitensemble.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung