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Passionsmusik

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Die Johannespassion des Thomaskantors ist in ihrer leidenschaftlichen Dramatik das ideale Interpretationsgut für einen sensiblen Dirigenten wie Karl Richter, dem es vor allem um die Erschütterung des Zuhörers geht, ein Ziel, für welches er bereit ist, manchen partiturwidrigen Eingriff vorzunehmen. Da solche Eigenwilligkeiten aber meist durch den Text gedeckt sind oder diesem zumindest nicht zuwiderlaufen, ist man bereit, sie in Kauf zu nehmen und als folgerichtige Unterstreichungen eines bestimmten psychologischen Konzepts zu betrachten. Bei den Arien nimmt man romantische Verschleifungen lieber hin als die seltsamen Schwankungen in Tempo und Dynamik bei den Chorälen, die diese ihrer Eigenschaft als Gemeindegesänge völlig entkleiden und zu höchst artifiziellen Gebilden wandeln. Eine besondere Rolle in der Stimmungsmalerei von Richter spielt das eigene Cembalo, dem die unterschiedlichsten Wirkungen entlockt werden.

Die Sensation des Konzerts war zweifellos der Afünchener Bach-Chor, ein herrlich schmiegsamer Klangkörper, der Präzision und Homogenität zu vereinen weiß. Seinen Qualitäten kommt das Münchener Bach-Orchester nahe, das über eindrucksvolle Solisten, wie zum Beispiel Johannes Fink (Viola da Gamba) verfügt. Bei den Vokalsolisten feierte man gerührtes Wiedersehen mit Marga Höffgen, deren schönen Alt man seit der Karaj anAufführung von 1953 im Ohr hat. Noch immer wird die Stimme erstaunlich beweglich geführt, so daß Abnützungserscheinungen sich kaum bemerkbar machen. Die Sopranarien sang Edith Mathis mit dramatischem Impetus und großer Wortdeutlichkeit. Peter Schreier hatte als Evangelist einen Höhepunkt feinster Modulationskunst beim „und geißelte ihn“. Die Arien gelangen nicht ganz so glücklich. Ernst G. Schramm war wie gewohnt ein würdevoller, sonorer Christus, dem die dramatische Akzentuierung der Abweisung des Pilatus vielleicht nicht ganz gelang. Peter Lagger war ihm hier kein ebenbürtiger Partner. Leider ließ auch der edeltimbrierte Baß von Wolfgang Schöne die wünschenswerte Flexibilität vermissen.

Innerhalb kurzer Zeit gab es eine zweite Aufführung der „Johannespassion“, und zwar durch die Wiener Bachgemeinde. (Wäre da nicht eine freundschaftliche Absprache der Veranstalter möglich, auch wenn es sich „nur“ um die Bachgemeinde handelt? Sie hat zwar ein anderes, in diesem Fall viel zu kleines Publikum, aber immerhin ...) Dirigiert hat Hermann Furtmoser, und zwar vom Pult aus, was den Ausführenden stets ein größeres Gefühl der Sicherheit gibt. Die Aufführung selbst hatte das große Plus des Angemessenen und „Glaubwürdigen“. Der Gesamteindruck war bestimmt durch die ergreifenden und einfach gesungenen zehn Choräle, die so klangen, wie man sie sich beim Gottesdienst gesungen wünscht. Auch daß alle Ausführenden ganz bei der Sache waren und ihr Bestes gaben, war jeden Augenblick zu spüren. Viele Proben waren dem Abend vorausgegangen, und nun konnte man das gewissenhaft Erarbeitete einmal im Zusammenhang hören — und mitgenießen. Die durchwegs den an sie gestellten Anforderungen gerecht werdenden Ausführenden können nur genannt werden: Chor und Orchester der Bachgemeinde an erster Stelle, hierauf die Solisten Gundi Klebel, Anne Kristin-Mad, Roger Lucas, Robert Brei (Evangelist), Leopold Spitzer (Christus), Friedrich Ofner und Rudolf Scholz an der Orgel. Aber nicht nur mit den Leistungen, sondern auch mit dem Aufführungsstil des Dirigenten Furtmoser kann man sich einverstanden erklären: zwischen dem mancherorten üblichen Historismus und dem Romantisieren hielt er klug die Mitte. — Lediglich eine Ungeschicklichkeit ist anzumerken: die Pause war viel zu früh, man sollte sie etwa in die Mitte bzw. vor das letzte Drittel legen. Das hat seine guten Gründe!

In der glücklich .dimensionierten Dorot/ieerktrc/ie H. B. bescherte Bernhard Klebel einem stilkundigen Publikum von der Gesellschaft für Alte Musik einen gelungenen Abend mit barocker Passionsmusik. Die „Sieben Worte Jesu Christi am Kreuze“ und die Motette „Unser Herr Jesus Christus“ von Heinrich Schütz sowie das geradezu überraschend schöne „Stabat mater“ von Caldara gaben vor allem dem gut studierten Wiener Motettenchor Gelegenheit zur Entfaltung wahrer Klangpracht. Im Mittelpunkt des Programms stand die ungemein schwierige Motette „Quid commi-sisti“ von Schütz. Daß man die Plage teilweise merkte, sei den tüchtigen Solisten nicht angekreidet: Jane Gärtner, Emil Ogris, David Ed-monds, Heinrich Schneider, Kathe-rine Edmonds und Werner Kamenik gaben ihr Bestes; das Ensemble Musica Antiqua und Johann Sonnleitner am Orgelpositiv sorgten mit sparsamen instrumentalen Mitteln für eine adäquate Begleitung.

In der Minoritenkirche gab es ein ähnliches Konzert der Wiener Singakademie mit dem Wiener Barockensemble unter Gerhard Kaufmann. Neben Orchesterwerken von J. J. Fux und Antonio Vivaldi konnte man auch hier ein äußerst selten aufgeführtes „Stabat matex“ kennenlernen, und zwar das von Joseph Haydn. Solisten waren Martha Bdnfalvi, Helga Wagner, Rudolf Olster und Gerhard Eder. Das nächste Konzert findet am 28. April statt.

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