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Gesange der Gemeinschaft

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In weit stärkerem Maße als die bewegliche, substanzverbrauchende Instrumentalmusik ist das Chorwerk an die ererbte Klangwelt gebunden. |Es ist Experimenten schwerer zugänglich, entfernt sich weit weniger vom Volkstümlichen, da seine Wiedergabe der Mitwirkung breiter Liebhaberkreise bedarf, sie in den Mittelpunkt seines Gesdhehensr stellt und vielfach sogar von ihnen ausgeht. Das sichert ihm nachhaltigere Wirkung und längere Lebensdauer, macht es zur Pforte in die inneren Bezirke der Musik, auf deren höchsten Gipfeln es sich wiederfindet. Nicht sosehr die ( meist schnell veralternden) Texte, auf die es komponiert ist, schaffen die größere Nähe, sondern die Gemeinschaft der singenden Stimmen, darin das Volk, ja die Menschheit sich selbst singt.

Im Schubert-Festkonzert der Chorvereinigung „J u n g - W i e n“ (die sich nach Ablegung einiger unkünstlerischer Mätzchen der Textaussprache bald einen Vorderplatz erobern dürfte), erwies es in seiner einfachsten Form als Chor- und Tanzlied seine unverbrauchte Frische und Ursprünglichkeit ebenso als in den verschlungenen Geweben der diffizilen Satzkunst späterer Wiener Meister, von denen Ferdinand Großmann im Konzert des Wiener Männergesangvereins eine subtile Auswahl bot und mit stilistischem Taktgefühl über Bruckner, Brahms und Hugo Wolf den Bogen höherer Einheit spannte.

Seine höchste Entfaltung erlebt das chorische Singen allerdings erst in Verbindung mit den großen orchestralen Formen, vor allem im Oratorium. Zum zweiten Mal in dieser Saison wurde uns Mendelssohns „Elia s“ geboten. Der junge Dirigent Hans Woif (USA) stellte die dramatischen Akzente des Oratoriums in den Vordergrund, was dem Werke unter nicht unbedeutenden Kürzungen und Entfall schöner lyrischer Stellen gleichwohl straffere Gliederung und unmittelbare Wirkung verlieh, zumal das ideale Solistenquartett dem vorzüglich musizierenden Orchester der Symphoniker entsprach und der Chor, wenn auch erst nach Uberwindung einer gewissen Schwerfälligkeit, sich den beschwingteren Tempi anzupassen wußte.

Joseph Haydns „Schöpfung“ mag dem Elias in mancher Hinsicht Vorbild gewesen sein. In seiner naiven Ursprünglichkeit birgt dieses Oratorium eine Substanzdichte, die es im höchsten Sinne zeitlos und den Hörer vergessen macht, daß es im Geburtsjahr Franz Schuberts (1797) bereits seine Uraufführung erlebte. Der Chor der Katholischen Aktion war seiner gestellten Aufgabe nicht in allen Belangen gewachsen. Besonders der dünne Klang der Männerstimmen fiel befremdend auf. Auch wirkt die Begleitung der Rezitativ auf dem Klavier anstatt dem Cembalo entzaubernd.

Eine kleine Melodie aus diesem großen Oratorium übernahm Haydn in die letzte seiner großen Messsekompositionen, die danach „Schöpfungsmesse“ benannt ist. An Frische der Erfindung den anderen Altersmessen ein wenig nachstehend, ist sie ihnen an Weihestimmung überlegen, ein Hymnus frommer Andacht auch in den dramatisch bewegten Stellen. Wieder gaben die Symphoniker ihr Bestes, während der Chor manchmal die Präzision vermissen ließ. Den stellenweise sehr deliziösen Orgelpart betreute Professor Dite* mit gelegentlich spürbarer Freude am Plenum Organum.

Ein weiterer Schritt in die musikalische Vergangenheit führt uns in die Welt Johann Sebastian Bachs und seiner Zeitgenossen, von denen Georg Matthias Monn (1717—1770), seinerzeit Organist an der Karlskirche zu Wien, mit seinem preziösen „Konzert für das Violincello“ der heutigen Generation erstmalig zu Gehör kam. Histori. sehen Kostbarkeiten, wie Friedemann Bachs Cembalosonate und Johann Christians, des Londoner Bach, Quintett für Flöte, Oboe, Geige, Bratsche und Cello reihten sich die Variationen über ein Thema Bachs von Johann Nepomuk David als ein Spiegel ins Heute an, in kontrapunktischer Satzkunst und instrumentalem Spiel an Bach ebenso geschult wie an der Moderne. Die Ausführung durch das Collegium musicum hatte hohes Niveau. Anton Heillers Cembalospiel ist klar und zwingend wie seine Stabführung.

Weniger plastisch gelangen drei Kantaten Johann Sebastian Bachs, von denen besonders die „Vergnügsamkeit“ unter der Bach-Ferne der Sängerin litt. Der Dialogus „Selig ist der Mann“ mit seinem volkstümlich ergreifenden Schlußchoral führt durch seine dramatisch

Anlage den Hörer bereits Bachs großen Chorwerken und ihren hochgewölbten Tonbögen entgegen.

Es gibt kaum ein Werk in der gesamten Chorliteratur, das so vollständig der Ein-wikung der Zeit entzogen ist, in dem die Stilelemente seiner Epoche bis zu einem solchen Grade sublimiert sind, so daß wir sie kaum mehr empfinden, wie Bachs Hohe Äfesse in h-moll. Was uns noch in den beiden Passionen und im Weihnachtsoratorium an Menschlich-Persönlichem und in der etwas verschnörkelten, empfindsamen Sprache des Pietismus entgegenklingt — hier, in der Hohen Messe, herrscht die strenge Disziplin einer erhabenen Kunst. Bachs melodische Erfindung und Satztechnik offenbart sich am zwingendsten vielleicht darin, daß er auf das Rezitativ — die betrachtende, klagende oder jubilierende Einzelstimme — ganz zu verzichten vermag und mit rein musikalischen Mitteln die eindringlichste Wirkung erzielt. Die Weiträumigkeit des Gesamtbaues, die Ausdehnung und die formale Geschlossenheit der einzelnen Teile verträgt natürlich auch die bisher übliche große Besetzung, zu welcher Bach, wäre sie ihm zur Verfügung gestanden, wohl ohne Bedenken gegriffen hätte. Das kleine, etwa der Bachschen Aufführungspraxis angepaßte Ensemble bot den Vorteil größerer Beweglichkeit und Durchsichtigkeit. Das Hauptverdienst Mertins und seines Collegium Musicum bestand vor allem darin, dieses reifste und gehaltvollste Werk Bachs nach langer Pause wieder einmal gründlich einstudiert und stilecht aufgeführt zu haben. Es ist kaum eine bessere und edlere Schulung für den Kammerchor der Staatsakademie und das Wiener Kammerorchester zu denken, und wir wissen kein Werk, dessen Wiederaufführung — etwa einmal im Jahr — wir freudiger und dankbarer begrüßen würden.

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