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Oper und Sakralmusik als Konzert

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Georg Friedrich Händeis Opern, von der Bühne mit Recht vergessen, da Stilwandel und musikdramatische Entwicklung das szenische Erlebnis seither mehrmals von Grund aus umgewandelt haben, rechtfertigen durch die Fülle ihrer edlen Musik die von Zeit zu Zeit immer wieder versuchte konzertante Wiedergabe, ohne sie doch einbürgern zu können. Kurt Rapf wagte mit dem Tonkünstlerorchester, einer Reihe auserlesener Solisten, und dem Jugendchor der Stadt Wien eine solche Konzertaufführung des „Julius Cäsar“, die schon durch ihre Seltenheit einen besseren Besuch verdient hätte, trotz ihres schönen Musizierens aber unbefriedigt ließ. Der oratorischen Wiedergabe einer Oper fehlt die straffe textliche Konzentration und die chorische Belebung des Oratoriums. Der Konzertsaal verlangt sein Recht wie die Bühne das ihre, die konzertante Oper aber steht zwischen beiden.

In eine ähnlich schiefe Stellung gerät die Messe im Konzertsaal. Eine Messe ohne Gottesdienst ist einer Oper ohne Bühne nicht unähnlich. Zwar gibt es ausgesprochene Konzertmessen, wie die von Walter Braunfels, Julius Bittner und Paul Paray, doch sind dies symphonische Chorwerke mit Benutzung des Messetextes, und nidit als Kirchenmusik gedacht. Andererseits aber gibt es kirchliche Messekompositionen, die mehr oder weniger stark in das konzertante Element hinüberspielen, und solcher Werke bemächtigt sich der Konzertsaal mit Vorliebe, ohne doch auch sie aus dem Zwielicht heben zu können. Das bewies die Aufführung der Es-dur-Messe Franz Schuberts im Konzerthaus unter Hans Swarowsky. Der düster-tragische Charakter dieser letzten und größten Messe Schuberts, wird ohne die liturgische Feier noch düsterer. Allerdings sind wir diese Messe schubertischer zu hören gewohnt, als sie hier geboten wurde. Man vermißte das wienerische Musizieren. Elisabeth Schwarzkopf, die vorher das „Salve Regina“ Schuberts sang, und Anton D e r m o t a boten schöne solistische Leistungen; von den spärlich bedachten Soloparts der anderen Stimmen (Edith Pohlner,

Leo Cordes und Ludwig Weber) vermochte die erstere überhaupt nicht durchzudringen. Der Chor sang besonders die Fortissimo-* stellen schwächer als man nach der Anzahl der Sänger erwartete, dagegen hielt sich das Orchester meist in respektvoller Entfernung des Pianissimo. Aufführungen dieser Messe in Wiener Kirchen hinterließen trotz der geringeren zur Verfügung stehenden Kräfte tieferen Eindruck.

Dem „Deutschen Requiem“ von Johannes Brahms wurde seinerzeit die kirchliche Aufführung versagt, weil der Text den Namen Christus nicht enthält. Vielleicht würde man heute milder urteilen, zumal der Anfangsund Sdilußteil des Werkes auf Worte Christi komponiert sind; wesentlicher scheint uns das Fehlen eines liturgischen Gedankens. Doch ist das „Requiem“ den Diskussionen längst entrückt und vermag als eine der tiefsten und reifsten geistlichen Kompositionen den Konzertsaal zur Stätte der Andacht zu weihen. Dr. Reinhold Schmid machte das selten aufgeführte Werk zum Gegenstand der V. Weihestunde des Konzerthauses und erwies sich, wenn auch nicht immer in beherrschter Gestik, als berufener Vermittler seiner erschütternden Schönheit. Irmgard Seefrieds vollendet schöner Gesang und Ludwig Webers patriarchische Gestaltung schufen die Höhepunkte der Aufführung. Singakademie und Lehrer-a-cappella-Chor vereinigten sich zu chorischen Leistung. Prof. Dr. Ernst Tittels Orgelbegleitung ergänzte durch sakrale Tönung das hervorragend musizierende Orchester.

Zum Anfangsgedanken zurückkehrend, will uns scheinen, daß der Konzertsaal iich zwar vieler Werke bemächtigt, doch keines zum Durchbruch zü bringen vermag, das ihm nicht a priori zugehört. Die der Bühne entzogene Oper und die der Kirche entführte Messe bleiben ihm ein Fremdes, das nicht restlos aufgeht. Ihm gehören die Symphonie und das Oratorium vor allem. Formen, die von den neueren Komponisten nicht in erster Linie gepflegt werden, ob es auch just auf letzterem Gebiet Spitzenwerke der neuerem Zeit gibt, die der Verbeitung noch harren. Es sei an Franz Schmidts „Buch der sieben Siegel“, an Artur Honeggers „König, David“ und an Joseph Haas' „Heilige Elisa beth“ erinnert ganz abgesehen vom weltlichen Oratorium, das freilich, Haydns „Jahreszeiten“ etwa ausgenommen, nie an erster Stelle des Interesses stand. Das Volk hat ein Bedürfnis nach geistlicher Musik in und außerhalb der Kirche. Die Aufgabe liegt bei den Komponisten, denen freilich von den

Traditionsmeiern, die ein Werk nur nach der

Schlagermelodie bewerten, die sie sich merken können, der Mut genommen wird. Aber die Traditionsmeier sind nicht das Volk. Für Leute, die 1947 entdecken, daß Beethoven ein bedeutender Komponist war, wird die zeitgenössische Musik so wenig geschrieben, als die beethovensche für sie geschrieben wurde. Diese Leute muß man ihrem Schicksal überlassen. „

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