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Die Bruckner-Festtage 1946 in Oberösterreich

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Es ist ein Fest und dennoch völlig anders, wie ansonsten Musikfeste verlaufen. Stiller, voll Innerlichkeit, Sammlung und Andacht, verklingen die Gedächtnistage, die jenem Meister gelten, der uns vor fünfzig Jahren dem Körper nach verließ und dennoch unter uns weilt. So, wie er selbst in seinen Lebenstagen es gehalten hat.

Kein lautes Gepräge, keine rauschenden gesellschaftlichen Veranstaltungen, kein feierlicher Einzug in die Walhalla, keine großen Gesten und Reden zerstören die Feierstimmung. Bei allem Stolz auf den großen Sohn von Oberösterreich erfüllt die Tage Ehrfurcht: vor dem göttlichen Licht, das in Anton Bruckner wirkte, vor seinem Werk, vor seinem Leben, das wieder klar und unverfälscht als einzigartiges Beispiel vor uns steht. 'Ehrfurcht, die Eigenschaft, die Bruckner selbst in höchstem Maß besaß, ist der Grundzug der schlichten Eröffnungsfeier im Linzer Landtagssitzungssaal, jenem Raum der Landeshauptstadt, der in seiner Einfachheit und wohnlichen Behaglichkeit ein Abbild unserer Heimat ist. Vor jeglichem Wort der Redner, des Linzer Bürgermeisters, des Präsidenten der Bruckner-Gesellschaft Dr. Auer und des Landeshauptmannes steht das Wserk des Meisters, verkörpert im Feierklang seiner vom Madrigalchor unter Leitung von Professor Ludwig Daxsperger aufgeführten Motette „Locus iste“ und im Goldton des Adagios seines Streichquintetts. Anton Bruckners überwältigende Musik wächst noch am ersten Abend turmhoch aus der vom Bruckner-Chor gesungenen „Großen Messe in f-mol 1“, sprengt den Rahmen des Konzertsaales und verlangt gebieterisch nach der Verwendung, die derMeister selbst ihr zugedacht hat. Wieder wird es offenbar, daß weder die keusche Innigkeit des „Incarnatus“, der Auferstehungsjubel des „Resurrexit“, die Urgewalt Brucknerschen Bekennertums in den aufwühlenden „Credo-Credo-Rufen“ noch die Versunkenheit des Mystikers im „Bene-dictus“ in den Rahmen des Konzertsaales passen. Selbst dann nicht, wenn sie mit jener gläubigen Hingabe verkündet werden, die den Bruckner-Chor und seinen Dirigenten Professor Daxsperger auszeichnen. Dagegen erschüttert das „Te deum“ selbst außerhalb des Kirchenraumes. Auch diesmal wieder durchstößt es gleichsam Raum und Haus und Wolken. Wie bei ,den besten Wiedergaben dieses Werkes jauchzen die Solostimmen (Irmgard Seefried, Else Schürhoff, Anton Der-mota, Herbert Alsen) den Engelssang der göttlichen Lobpreisung, trägt der Tenor (Anton Dermota) als Sprecher aller voll warmer Innigkeit die Menschheitsbitte vor und wächst das einzigartige „Aeterna fac“ des Chores vom Bitten und Beschwören zum inbrünstigen Erheischen himmlischer Seligkeit, die in der grandiosen Abschlußsteigerung dann in der Tat erreicht erscheint.

Völlig anders wie das „Te deum“ wirkt am Sonntagvormittag Bruckhers e-moll-Messe im Alten Dom von Linz. Hier sprechen die Erinnerungen; der Raum, die Orgel, die Bruckner durch sein Spiel geweiht, das Gedächtnis an ihre Aufführung anläßlich der Hundertjahrfeier des Linzer Bistums im Oktober 1885 — hier spricht vor allem der hohe Zweck, dem das Werk gewidmet ist. Denn nun erklingt Bruckners Kirchenmusik im wahren Rahmen: Kein gläubiger Christ vermag sich der Erkenntnis zu entziehen. Professor Kronsteiners Domchor weckt Andacht, und so bietet die e-moll-Messe ein Erlebnis der Herzen.

Erlebnisse sind auch des Meisters Symphonien, die gigantische „Fünft e“ in Linz und die tragische „S i e b e n t e“ im Marmorsaal des Stiftes St. Florian. Sie auszudeuten, ist diesmal Aufgabe eines als Bruckner-Dirigent weit über den Rahmen seiner Schweizer Heimat hinaus geschätzten Künstlers; Generalmusikdirektor Volkmar An-d r e a e aus Zürich, den engeren Bruckner-Freunden als Initiator und musikalischer Gestalter Züricher Bruckner-Feste wohlvertraut, manchen durch seinen bekannten Namen bereits ein Begriff im Musikleben Europas, den meisten aber zum ersten Male ein willkommener Gast in unserer österreichischen Heimat. Wenn der Wille eines solchen Dirigenten auf jenes Klanginstrument übertragen wird, das unter dem Namen „Wiener Philharmoniker“ Weltberühmtheit errang, dann muß das Werk des Meisters vollendet wiederklingen.

Schon bei der einleitenden „Linzer-Symphonie“ von Ludwig van Beethoven wird das klar. Die Erfüllung dieses Versprechens bringt dann die Wiedergabe der „Fünften“.

Angesichts der plastischen Deutung der großen Triplefuge des Finales mit ihrer einzig dastehenden Durchdringung von kunstvollster Kontrapunktik mit symphonischem Geist erscheint es unbegreiflich, daß man noch vor einigen Jahren den Weg zur Urfassung der „Fünften“ nur schwer fand und dem Effekt des altgewohnten, von Bruckners Schülern eingeführten Fernorchesters nachtrauerte. Gerade die — trotz Festhalten der großen Linie — liebevolle Versenkung des Dirigenten in die unzähligen versteckten Kostbarkeiten des Werkes, die von der Themenentwicklung des ersten Satzes über die Klangwunder des Adagios und Traumhaftig-keit des Trios bis zur Bekrönung im Finale überreich verstreut sind, wirkt hier offenbarend.

Eine Offenbarung wurde auch das Konzert im Florianer Marmorsaal.

Mit Schuberts h-moll-Symphonie beginnt es ebenso beziehungsvoll, wie das Linzer Konzert mit Beethovens „Linzer-Symphonie* anhob. Gedachte man in Linz Beethoven Aufenthalt im Jahre 1812 bei seinem Bruder, so sollte die „Unvollendete“ an Schubert Besuche in Sankt Flor i a n im Sommer1 1825 gemahnen.

Der hohe Marmorsaal, in dem sie aufklingt, war damals schon das Raumwunder in Österreichs schönstem Barockstift.

So weihevoll mag die „Siebente“ nicht oft erklungen sein, so andachtsvoll ganz selten eine Hörerschar — in ihrer Mitte Bundespräsident Dr. Renner — dem edlen Sang der Tuben gelauscht haben; so durchaus echt der Heimaterde von Oberösterreich entwachsen, mag nirgendwo das Scherzo dünken als hier im Marmorsaal, von dessen offenen Riesenfenstern der Blick über die erntereifen Ährenfelder schweift, so kraftvoll nicht so bald das weitgespannte Thema des Finales gleich einem Sturmwind über die Wipfel fahren.

Ein jeder in dem Saal spürt das. Und Generalmusikdirektor Volkmar A n d r e a e verleiht dem Fühlen aller sinnfällig Ausdruck, als er — zuletzt vom schier nicht endenwollenden Jubel seiner Hörer umbrandet — schließlich die Arme hebt und auf den Saal weist, dem Genius loci die Ehre gibt und so zugleich dem Meister von St. Florian, dem Raum, der einst auch ihn beschwingte und begeisterte, und Österreichs Vergangenheit, die alle Heutigen verpflichtet, huldigt. Damit endet das Fest als feierlich verhallender Akkord.

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