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Jochum und Maazel in Linz

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Das Ereignis hieß im vierten Orchesterkonzert Eugen Jochum, der wegen seiner Bedeutung als Bruckner-Interpret eigentlich längst in Linz erwartet wurde. Der 73jährige Stabführer aus der alten Schule der Dirigierkunst kam an der Spitze der Bamberger Symphoniker, die besonders in den Holzbläsern und Hörnern, aber auch in den tiefen Streichern mit beachtlicher Spitzenqualität aufwarteten. Zu Beginn wurde Schubert, der Mitregent des heurigen Brucknerfestes, gespielt, nämlich die „Unvollendete“, immer wieder ein Garant für Wirkung auf das emotionale Musikempfinden des Publikums. Darauf nahm Jochum allerdings wenig Bedacht. Der kulinarische Genuß stand weit zurück hinter der formalen Aufbereitung der beiden Sätze. Altmeisterliches Dienen siegte über schlagtechnische Blässe.

Voll zum Tragen kam Jochums Überlegenheit in Bruckners Symphonie Nr. 9 in d-Moll. Daß Bruckners Musik im „sakralen“ Weitraum atmen muß, daß auch die Pausen ausmusiziert au werden verlangen, das alles bestimmte im wesentlichen die Authentizität der Gestaltung. Das Adagio, der letzte von Bruckner vollständig gearbeitete Symphonien-satz, ergriff als Abschied des Komponisten vom Leben und von seiner eigenen Musik. Gerade in diesem „Schweigen“ gipfelte Jochums Zurückhaltung gegenüber dem Werk, die Identifizierung mit den Absichten seines Schöpfers überhöhte das interpretatorische Moment.

Im heftigen Widerstreit der Meinungen stand die als „Uraufführung“ angekündigte Gesamtwiedergabe der Erstfassung von Bruckners Symphonie Nr. 4 in Es-Dur im fünften Orchesterkonzert durch die Münchner Philharmoniker unter Kurt Wöss. Es wurde schriftlich und mündlich fleißig argumentiert, daß ein Werk auch nach Umarbeitung nicht ein zweites Mal aus der Taufe gehoben werden könne und Bruckner sich im übrigen selbst von dieser Urfassung aus 1874 distanziert habe. Eine Präsentation sei besser in einem musikwissenschaftlichen Seminar oder auf einem Kongreß angebracht. Jedenfalls nicht beim Bruckner-Fest. Dieser Meinung ist voll zuzustimmen. Die Bekanntschaft mit einer neuen „Vierten“, mit einem völlig anderen Scherzo, stark verändertem Finale und allen übrigen Retuschen bekehrte keineswegs zur Erstfasssung der „Romantischen“, um so weniger als ihre Wiedergabe achtzig (!) Minuten dauert. Die Strapazen brachten die Ausführenden bis an die Grenze ihres physischen Leistungsvermögens. Die Münchner Philharmoniker und Kurt Wöss überstanden sie bis zum letzten Takt ohne jegliche Ermüdungserscheinung mit einer bewundernswerten Präsenz. \

Der „Vierten“ voran gingen Gustav Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“, die in Ruth Hesse leider keine 'befriedigende Gestalterin hatten. Bei mangelnder Beziehung zu Inhalt und Text schwand auch der Beifall für ihre schöne Altstimme.

Sensationelle Akzente in positivem Sinne erhielt der Beifall für Lorin Maazel im sechsten und letzten Orchesterkonzert des Internationalen Bruckner-Festes. Maazel demonstrierte eine hinreißende Mahler-Interpretation an der Symphonie Nr. 5 in cis-Moll. Mit bewußter Schlagtechnik sezierte er förmlich die vielschichtige Partitur und erreichte bei aller Wucht und Monumentalität eine Transparenz, von der primär Scherzo und Finale, aber auch das vom Film abgenützte Adagietto profitierten.

Ein ungewohnt gewichtiges Mozart-Bild entwarf Maazel vorher in der g-Möll Symphonie KV 550 des Salzburger Meisters. Sollte seine trotz der natürlich dezimierten Orchesterbesetzung kompakte, um nicht zu sagen voluminöse Darstellung den fehlenden Bruckner zum Finale des Bruckner-Festes ersetzen?

Durch bereits gesicherte Verträge und Wiedereinladungen stehen die Zeichen für das nächste Jahr günstig. Die Programme harren noch etlicher Verbesserungen.

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