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Revisionen des Bruckner-Bildes

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Das Bruckner-Gedenkjahr hat uns gleich zwei Monographien beschert, die in absehbarer Zeit kaum zu übertreffen sein werden. Prof. Dr. Leopold Nowak und Dr. Hans Conrad Fischer schöpfen aus den gleichen bekannten Quellen: der neunbändigen von August Göllerich begonnenen, von Max Auer vollendeten Bruckner- Biographie sowie aus den von Max Graflinger herausgegebenen Briefen, die beide Autoren durch eigene gründliche Forschungen berichtigten und bereicherten.

Leopold Nowaks Buch muß nicht nur der chronologischen Reihung wegen an erster Stelle genannt werden. Denn es enthält die Summa einer liebevoll-gründlichen lebenslangen Beschäftigung nicht nur mit Bruckners Leben, sondern auch mit seinem Werk, über dessen Entstehung genau, im Detail berichtet wird. Denn Bruckner leibte mit und für seine Symphonien, die ihm über alle Schwierigkeiten eineis so mühevollen Erdendaseins hinweghalfen. Gleich auf Seite 46 von Nowaks Buch finden sich Anmerkungen über das unvorstellbar dürftige und mühsame Leben des Schulgehilfen von Wind- haag, die eines Tiefenpsychologen würdig wären: „Die Bescheidenheit wird hier über die zulässige Grenze in die Dürftigkeit vorgetrieben.“ Und deses elende Leben in seiner frühen Jugend hat Bruckner nie verwunden, oder, wie wir heute sagen würden, zu verdrängen vermocht. Dazu kamen, von früher Jugend an bis etwa zum 70. Lebensjahr, Bruckners Bemühungen, eine Lebensgefährtin zu finden — denn er war für weibliche Reize sehr empfänglich. Doch fiel sein Auge immer auf die allerungeeignetsten, vor allem viel zu jungen. Daraus entstanden, wie Sich Fischer in der Sprache unserer Zeit ausdrückt, schwere Psycho- und Sexualneurosen. Und schließlich war Bruckner ja auch mindestens einmal so schwer nervenkrank, daß er von Mai bis August 1967 Bad Kreuzen und anschließend eine Heilanstalt aufsuchen mußte.

Der lebenslange Studierer, Schüler und Lerner, der auf Zeugnisse aller Art Erpichte, dem Simon Sechter — ein wahrer musiktheoretischer Computer, — bescheinigte, daß er nie einen fleißigeren Schüler gehabt habe, ist ebenso bekannt, wie Bruckners allmähliches Avancement über St. Florian nach Linz und von dort nach Wien, wo er den Dr. h. c. und den Titel „Professor“ anstreb’te. Was man ihm in dieser Stadt alles angetan hat, ist bekannt — und beschämt doch jedesmal, wenn man, wie hier in diesen Büchern, die Details liest. Leider hat hierbei nicht nur der notorisch-böse Neider und zuverlässigste Danebenhauer Hanslick seine Hände in dem schmutzigen Spiel gehabt, sondern auch der damalige Generalsekretär der Gesellschaft der Musikfreunde, die berühmten Philharmoniker und, nochmals leider, auch der neun Jahre jüngere Kollege Brahms. Am Ende von Bruckners Leben gab es ‘ein wenig Glanz und Gloria, auch für den Komponisten. Aber da war es fast schön zu spät.

Immerhin gab es eine Kompen sation. Das waren Bruckners internationale Erfolge als Orgelvirtuose und Improvisator. Und als solcher reiste er mehr in Europa umher, als man bisher wußte, war also nicht nur der Schützling des Stiftes von St. Florian und der Liebling seiner „Gaudeamusse“, seiner Studenten, unter denen sich später so berühmte wie Schalk und Löwe, Oberleithner, Göllerich und Decsey befanden, die auch für seinen Nachruhm sorgten. Bruckner konzertierte nicht nur in Nancy und in Paris, auf der großen neuen Orgel von Notre-Dame, sondern auch in Budapest und Prag. Seine größten Erfolge aber hatte er in London, wo er zuletzt auf der Riesenorgel der neuerbauten Royal Festival Hall vor 70.000 Zuhörern spielte. Danach wurde er zu einer Tournee durch Amerika eingeladen, die sechs Monate hätte dauern sollen und für die ihm 100.000 Gulden — das waren immerhin 100 Jahresgehälter — garantiert waren. Aber das war ihm zu riskant und zu abenteuerlich. Dagegen erwog er einmal ernsthaft den Plan, zum Kaiser Maximilian nach Mexico zu reisen —, der ihm gar so leid tat und in dessen Dienst er gerne getreten wäre.

Bruckner reiste meistens „zu Orgeln“. Aber es wäre verfehlt, anzunehmen, daß er sonst nichts gesehen hat. Es zog ihn nach dem Höch-

sten und Größten: den Montblanc wollte er sehen und den Wasserfall von Schaffhausen. Die Schilderung dieser Reise (ausführlich beschrieben und reich illustriert) gehört zu den schönsten Kapiteln im Buch von Leopold Nowak. — Aber auch Hans Conrad Fischer versäumt es nicht, Bruckners Bild als das eines Kleinbürgers zu revidieren, der er der Abstammung nach war (nicht bäurisch, wie man bisher meinte). Mit der Zeit und seinen Zeitgenossen hat er sich, tant bien que mal, arrangiert. Aber in seinem Testament erwies er sich als ein großer Herr, der sehr wohl um den Wert dessen, was er geschaffen hatte, wußte.

Überhaupt ist zu sagen, daß sich Fischer, Regisseur dreier auch von Musikologen hochgeschätzter Filme über Mozart, Beethoven und Bruckner mit seinem neuen Objekt gründlich befaßt hat. Zweierlei finden wir besonders sympathisch in seinem schönausgestatteten Buch: die Beschränkung aufs Biographische und die Haltung, die der Jüngere (Jahrgang 1926) seinem älteren Kollegen gegenüber einnimmt: Wiederholt wird Prof. Nowak zitiert und auf sein Buch als reichste Quelle hingewiesen. Eine gute und solide Arbeit also, gepaart mit Takt und besten Manieren. Deshalb kann im Rahmen dieser Kurzbesprechung der Hinweis auf kleine Lapsi unterbleiben. Nur als Kuriosität: Bruckners Verehrter Lehrer Simon Sechter war, unseres Wissens, nie Kapellmeister der Hofoper. (Seite 55.) — Auf Seite 130 soll es wohl statt Oster- Pfingstferien heißen. Und Wagner wollte seinen Beckmesser ursprünglich nicht Hanslick, sondern „Hans Lick“ nennen.

Viel wichtiger aber ist, daß wir auf Grund des Buches von Fischer unsere Vorstellung vom Verhältnis zwischen Wagner und Bruckner gründlich revidieren müssen. Es basierte nämlich keineswegs auf Devotion auf der einen und Herablassung auf der anderen Seite. Zuverlässigen Quellen zufolge präsentiert es sich so:

Bereits in Linz hatte Bruckner Wagner-Werke kennengelernt, denn der dortige Theaterdirektor Otto Kitzler war ein begeisterter Wagnerianer. In jenen Jahren wurden in Linz aufgeführt: „Der fliegende Holländer“, „Lohengrin“ und „Das Liebesmahl der Apostel“. Es war „Liebe auf den ersten Blick“, denn sicher hat Bruckner, bevor er Wagner-Musik hörte, schon dessen Partituren studiert. Der zehn Jahre jüngere Kitzler nahm ihn auch 1865 zum ersten Mal nach München mit, wo sie im Hotel „Zu den Vier Jahreszeiten“ abstiegen, und da sich die „Tristan“- Premiere verzögerte, war Gelegenheit, auch den „Meister aller Meister“ persönlich kennenzulernen. (Unmittelbar hach der „Tristan"-Premiere wollte Bruckner wieder einmal heiraten: eine bildhübsche Münchener

Fleischhauerstochter hatte es ihm angetan.) — Seither ist Bruckner wiederholt zu Wagner-Aufführungen nach München gefahren, und in Bayreuth hörte er 1876 den kompletten „Ring“ und 1882 den „Parsifal“. Auch in Oberammergau ist er gewesen, war tief beeindruckt von der Aufführung — und verliebte sich prompt in eine der schönen bayrischen Töchter Jerusalems.

Wagner hatte ein Blick in Bruckners Partituren genügt, um zu wissen, was und wen er da vor sich hatte. Es war kein Konkurrent, sondern, wie er selbst, ein Komponist, der auf seinem Gebiet neue Wege suchte. Besonders die Instrumentation Bruckners — hier wieder besonders die Behandlung der Blechbläser —, hatte es ihm angetan. —■ Stets war Bruckner Ehrengast in Bayreuth, und die Hochschätzung Bruckners durch Wagner war so bekannt, daß man Bruckner auch nach Wagners Tod in den Jahren 1884 und 1886 mit allen Ehren empfing. Und als Wagner im Mai 1872 nach Wien kam und am Westbahnhof von einer großen Schar von Bewunderern empfangen wurde — unter denen sich, irgendwo in der Menge auch Bruckner befand, erspähte ihn Wagner sofort, und noch bevor er die Honoratioren begrüßt hatte, eilte er auf Bruckner zu und empfing ihn mit den Worten: „Zu mir her, Bruckner, der gehört zu mir!“ — Was einen peinlichen Eklat verursachte. (Kurz vorher nämlich hatte ihm der Generalsekretär der Gesellschaft der Musikfreunde geraten, seine Symphonien auf den Misthaufen zu werfen und lieber mit dem An fertigen von Klavierauszügen sein Geld zu verdienen).

Die Wertschätzung beruhte also durchaus auf Gegenseitigkeit, obwohl Bruckner mit dem, was auf Wagners Bühne vorging, zwischen Göttern und Helden — Mord, Verrat und Blutschande — wohl kaum viel anzufangen wußte. Aber Wagners Musik hat er genau gehört. In Wien jedoch kommentierte Max Kalbeck das Verhältnis so: Wagners „Germanentum“ habe auf den „Römling“ Brückner abgefärbt, vor allem auf das „Visionäre“ seiner Adagios, und seine fromme Musikanteneinfalt sei mit einer starken Dosis von Bauernschlauheit gemischt gewesen… Wagner jedenfalls dachte anders über Bruckners Musik, und die aufrichtige Verehrung und Wertschätzung war eine gegenseitige. Quod erat demonstrandum. Und für Bruckner war die sachliche und demonstrative Anerkennung durch den „Meister aller Meister“ eine große Lebenshilfe. Vielleicht eine der allergrößten.

ANTON BRUCKNER. Musik und Leben. Von Leopold Nowak. 332 Seiten und 292 Abbildungen. Trauner-Verlag, Linz 1973. ANTON BRUCKNER. Hans Conrad Fischer. EINE DOKUMENTATION. 248 Seiten und 199 Abbildungen. Residenz-V erlag, Salzburg 1974.

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