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Erinnerungen an Bruckner

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Einige Briefe aus der letzten Lebenszeit Bruckners, die das Kustodenstöckl im Belvedere verlassen haben, tragen nicht die eigenhändige Unterschrift des Meisten, sondern den Namenszug eines gewissen M e i s n c r. Wer ist dieser Mann, so fragte ich mich, der Bruckner am Ausgange seines Lebens als Stütze hilfreich- zur Seite gestanden war? Ich kannte doch so ziemlich alle Leute aus des kranken Meisters nächster

Umgebung; aber weder im Belvedere, noch gelegenrüch der Totenfeier für den Unsterblichen war ich einem Manne dieses Namens begegnet.

Mehr als vier Jahrzehnte nach Bruckners Heimgang waren vergangen, als mir — es war im Frühjahr 1940 — der bis dahin Unbekannte zufallsweise in die Hände lief. Es war in jenem denkwürdigen Hause in der Praterstraße 38, das in den achtziger Jahren der Gräfin Laiisch gehörte, und in dessen Räumen der unglückliche Kronprinz Rudolf am Herzen der jungen Baronesse Veczera selige Stunden verschwiegener Liebe genoß. Dieselbe Wohnung bewohnte bis zu seinem 1941 erfolgten Tode jener zum Urwiener gewordene Hamburger, dessen Roman „Lu liebes Wien“ eine zärtliche, ja geradezu fanatische Liebe zur Stadt an der blauen Donau durchströmt; eine Liebe, die ihm von semer gepriesenen Wahlh?imat — sie hatte allerdings über Nacht ihr Antl'tz gründlich verändert — so schlecht gelohnt werden sollte, daß er, der politisch „Untragbare“, in Gram und Herzeleid sein Leben beschließen mußte: Dr. Ernst D e c s e y, dessen Meiserfcder wir nicht nur d i e Hugo-Wolf-Biographie verdanken, sondern auch ein wundervolles Buch über Bruckner, seinen ehemaligen Lehrer, und noch manch andere köstliche Monographie. Gelegentlich meines allwöchigen Besuches bei dem schon schwer leidenden Schriftsteller traf ich einen alten hager.n Mann, den mir Decsey mit folgenden Worten vorstellte: „Heut mach ich dich mit einem Stückerl Musikgeschichte bekannt; mit Herrn M e i s n e r, dem Sekretär Bruckners.“ „Das is a bißl übertrieben“, erwiderte der sympathische weiß-bärtige Greis, der mich in seinen Gesichtszügen stark an einen andern Bruckner-Biographen, meinen alten Freund Max Auer, erinnerte; „ich hab meinem gottseligen Lehrer in seiner letzten Lebenszeit ja nur ein paar bescheidene Handlangerdienste geleistet.“

Die geistige Verbindung zwischen uns drei Bruckner-Enthusiasten war sofort hergestellt. In höchst sympathischer Weise erzählte uns der Achtzigjährige seine Erlebnisse mit Bruckner, denen wir unsere eigenen entgegenstellten. „Ich hab alle meine Erlebnisse mit Bruckner zu Papier gebracht und werd' sie Ihnen gelegentlich lesen lassen“ sagte er mir, indem er eine tüchtige Prise unter seine Nasenflügel strich. Ein leidenschaftlicher Schnupfer, wies dieser alte Junggeselle auch in seinem sonstigen Wesen viel gemeinsame Züge mit seinem Herrn und Meister auf:

Linkisch in seinen Bewegungen und etwas vernegligiert in seinem Äußern, war er von geradezu kindlicher Herzensgüte und durchpulst von einer schwärmerischen Religiosität. Und daß alles stimmte, trug er auch noch den Namen Anton. Seines Vaters nahrhafter Beruf — er war Fleischhauer in der Leopoldstadt — ermöglichte es ihm, die Musik nur zu seinem Vergnügen zu betreiben; er, der nur so ab und zu musikalischen Gelegenheitsunterrieht erteilte, versah bis zu seinem Lebensende den nicht gerade aufreibenden Beruf eines Privatiers und Hausherrn. Er bewohnte in seinem eigenen zweistöckigen Altwienerhause im zweiten Bezirk, Große Pfarrgasse 9, mit seiner gleichfalls unverheirateten Schwester eine gemütliche Vierzimmerwohnung, die freilich alle Merkmale einer nicht allzu gepflegten Junggesellen-Behausung trug. Als mich Meisner im Oktober 1942 erstmals im meiner Wohnung aufsuchte, um mir seine Memoiren zu überbringen, setzte er sich plötzlich unaufgefordert ans Klavier und spielte mir und meiner Frau eine der Liszt-Rhapsodien (welche, ist mir nicht mehr erinnerlich) mit geradezu stupender Technik vor, die bei einem Achtziger fast an ein

Wunder grenzte. Wir verloren uns dann erst aus dem Auge, als ich Wien vorübergehend verließ, um mich vor dem Zeitgeschehen zeitweilig in mein Tuskulum am Wallersee zu verkriechen. Als ich im Spätherbst des abgelaufenen Jahres 1945 in Wien Nachschau nach dem Alten halten wollte, fand ich in der Pfarrgasse eine bombenzerstörte Wohnung vor; der Hausherr aber war wenige Wochen vor meiner Nachfrage an einer Ruhrerkrankung elend zugrundegegangen.

Nachfolgende Bruckner - Aufzeichnungen, deren gelegentliche Veröffentlichung der Verfasser meinem freien Ermessen überlassen hatte, sind ein Kunterbunt von Einfällen, wie sie ihm gerade aus seiner Erinnerung zuflössen. In der Diktion ein klein wenig unbeholfen, schienen sie mir einer stilistischen Retusche bedürftig. Dabei blieb es aber mein Bemühen, dem Original so wenig als nur möglich Gewalt anzutun. Einige mir von dem Verfasser noch mündlich übermittelte Erinnerungen glaubte ich in die vorliegenden Aufzeichnungen einbauen zu sollen. — Im nachfolgenden sei nun Mei.sner selbst das Wort gegeben.

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