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Der Mystiker Anton Bruckner

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Auch in den nichtgläubigen Menschen wird beim Anhören der Symphonien Anton Bruckners eine Ahnung lebendig, daß es sich bei Bruckners Musik um etwas anderes als das Schaffen eines Genies im üblichen Sinne handelt. Irgendein Dunkles, Unbekanntes, schwer Greifbares läßt sich nur erfühlen und vermuten, lockt in tausend Rätseln und wirkt auf den, der es mit unzulänglichen Mitteln zu deuten versucht, geradezu verwirrend.

In dieser unbestreitbaren Eigenheit der Musik Bruckners liegt auch die letzte Er-* klärung für das Versagen der ersten Kritik ihr gegenüber. Wäre es denn sonst auch nur einigermaßen begreiflich, daß immerhin bekannte und kunsterfahrene Persönlichkeiten des Wiener Musiklebens im vorigen Jahrhundert Anton Bruckner derart verständnislos und feindlich gegenüberstanden, daß ein Großer im Reich der Tonkunst wie Johannes Brahms den Weg zu Bruckner erst gegen Ende seines Lebens fand?

Sie alle und leider noch viele unserer Zeitgenossen erkannten und erkennen in Anton Bruckner nicht den Mystiker oder wollen, wenn ihnen schon die mystische Grundlage seines Schaffens klar wurde, diese aus außerreligiösen Wurzeln ableiten, obwohl gerade Bruckners Lebenshaltung den allerbesten Schlüssel zur einzig richtigen Lösung bietet.

Anton Bruckner ist, das muß in erster Linie festgehalten werden, gläubiger Christ und Katholik. Und dies nicht etwa der Tradition seiner Vorfahren nach oder allein seiner Jugenderziehung entsprechend, sondern, wie sich aus unzähligen Einzelzügen seines Lebens von der Kindheit bis zu seinem Tode ergibt, aus vollem Herzen, freiem, männlichem Entschluß und freudigem Bekenntnis. Daher erscheint es völlig abwegig, irgendwelchen modernen Mystizismus bei ihm zu vermuten, pantheistische oder theosophische Deutungen seinem Werk und Wesen zu imputieren. Es wäre sogar verfehlt, Bruckners Leben und Werke, wie es vielfach geschah, aus der Grundhaltung mittelalterlicher christlicher Mystik erklären zu wollen: denn das mystische Leben innerhalb der katholischen Kirche war und ist keineswegs auf eine bestimmte Zeitspanne, beschränkt. Es reicht von den Tagen des Völkerapostels Paulus bis in unsere Welt und konnte in jeder Epoche große Vertreter aufweisen, ebenso Leuchten der Wissenschaft wie schlichte Volksheilige und unbekannt Gebliebene, Männer wie Frauen. Unter ihnen findet ein Anton Bruckner neben seiner Zeitgenossin, der hl. Therese von Lisieux, ebenso seinen Platz, wie in den vergangenen Jahrhunderten neben dem gelehrten Bischof Franz von Sales die hl. Franziska von Chantal steht oder der Wissenschaft einer Hildegard von Bingen die heilige Schlichtheit des Apostels der Armut Franziskus das Gegengewicht gibt.

Christliche Mystik war sich immer gleich und alle ihre schriftlichen Zeugnisse, mögen sie Vertreter welcher Nation oder Zeit immer zu Verfassern haben, weisen stets die gleichen Äußerungen und Formen auf. Sie bieten die zur Deutung von Anton Bruckners Wesen und Werk einzig richtigen Grundlagen.

In Bruckners Leben und Schaffen zeigen sich zwei große, von einander streng verschiedene Abschnitte; dieselben, die fast in jedem in mystischen Bahnen verlaufenden Menschenleben klar erkennbar sind. Die erste Epoche, die den Lebensweg des Menschen Bruckner in der Welt umfaßt, und jene, die sich vom Anbeginn seines Strebens nach Vollkommenheit ergibt. Eigenartigerweise erfüllt sich aber bei Bruckner das äußere Geschehen in der seinem inneren Streben gerade entgegengesetzten Umgebung. Der erste Lebensabschnitt vollzieht sich bei ihm in stiller Abgeschiedenheit, h s teilweise in der klösterlichen Ruhe von St. Florian, während die Jahre des Voll-kommenheitsstrebens, die bei den meisten anderen Mystikern in heiliger Zurückgezogenheit vergehen, sich bei ihm in der verwirrend bunten Fülle des städtischen Lebens, ja sogar des Großstadtaufenthaltes ereignen. Mit dieser Eigenheit seines Lebensganges steht Bruckner unter den christlichen Mystikern ziemlich vereinzelt da. Er ist aber auch unter Ihnen schon dadurch ein Eigener und Einzelner, weil er allein sich zum Ausdruck seines mystischen Erlebens der Sprache der Töne bedienen durfte.

Und diese Töne sprechen nur zu deutlich und verraten uns die wunderbare, anders niemals völlig klarzulegende Harmonie und Einheit von Leben . und Werk bei Anton Bruckner, die zu finden sich manche Bruckner-Verehrer verzweifelt und 'ergebnislos bemühten, weil sie von unrichtigen Voraussetzungen ausgingen.

Bruckners seelische Verfassung in der ersten Hälfte seines Lebens ist wohl die der Frömmigkeit in kirchlichem Sinne, aber ohne daneben das Verlangen nach allen erdenklichen gebräuchlichen, erlaubten irdischen Glücksgütern und Genüssen auszuschließen. Unzählige Zeitgenossen bezeugen einerseits die genaue Einhaltung seiner Christenpflichten — Bruckner betet zum Beispiel beim Klang der Aveglocken, versäumt keine Messe, nimmt an Prozessionen teil, erzeigt der Geistlichkeit besondere Hochachtung und erweist bei der Vertonung kirchlicher Texte sein profundes Wissen um religiöse Dinge und seine tiefe Gläubigkeit, daneben aber auch seine Freude an heiterer Geselligkeit und Tanz, gutem Essen und Trinken, sein leicht emtflammbares Herz und das Verlangen nach wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Aufstieg und Erlangung größerer Geltung in der Welt. Dieser Epoche der einfachen Frömmigkeit Bruckners entsprechen die gleichzeitig entstehenden Werke geistlicher Zweckbestimmung über re'isiö““ Texte mit ihren Gipfelpunkten In den Großen Messen in d-moll und e-moll während der Zeit seiner Linzer Domorganistentätigkeit, s

In den letzten Jahren seines Linzer Aufenthaltes beginnt aber bereits — äußerlich möglicherweise durch das Fehlschlagen mehrerer Bestrebungen zur Gründung einer Faimilie vorbereitet und bestärkt — sich ein immer stärker werdendes Streben nach Vollkommenheit abzuzeichnen. Der Mensch Bruckner betritt damit die erste Phase jenes uralten Weges, der in den Höhen der mystisdien Vereinigung mit der Gottheit endet. Seine Freunde und näher mit ihm bekannte Personen geistlichen Standes bestätigen nicht nur größeren Gebetseifer (Bruckner betet sogar vor der Prüfung um die Linzer Domorganistenstelle vor allen Anwesenden), sondern auch die Übung der Betrachtung, tägüdie Gewissenserforschung, häufigen Sakramentenempfang und jene übergroße Sorgfalt im Kampf gegen Versuchungen des Lebens, die manche hohen religiösen Idealen zustrebende Seele kennzeichnet. Seine gewaltige I. Symphonie symbolisiert gleichsam das Ringen gegen die Welt, das nun, vielleicht ihm selbst noch unbewußt, in seinem Inneren anhebt. Sie bietet aber auch nach seinem persönlichen Zeugnis die erste Vorahnung höchster mystischer Ziele in der Verwendung der vorher unerhörten drei gleichwertigen Hauptthemen, die Bruckner selbst mit der Dreieinigkeit Gottes vergleicht.

In diese Zeitspanne fällt auch die bei den vornehmsten Autoren mystischen Lebens bezeugte erste große seelische Prüfung; die Zeit seiner schweren psychischen Erkrankung, für die bisher nur ungenügende medizinische Erklärungen vorliegen. Nur zwei Menschen haben seinerzeit diese schwere Krise in Bruckners Leben richtig gedeutet: Rudigier, der heiligimäßige Bischof von Linz, der seinem Domorganisten nach dem Heilbad Kreuzen den seelischen Beistand und Zuspruch eihes geistlichen Beraters und Helfers sandte, und Anton Bruckner selbst, der nachher beteuerte: „Von oben bin i wieder worden!“ Aus dieser schweren seelischen Prüfung gingen Bruckners gewaltige f-moll Messe und seine II. Symphonie hervor.

In dieser Zeit, etwa zu Beginn seiner • Wiener Tätigkeit als Professor am Konservatorium, erreichte Bruckner anscheinend die zweite Vorstufe mystischen Lebens und betrat den sogenannten „Weg der Erleuchtung.“

Nun mehren sich die Zeugnisse außer-ordentlidi innigen und intensiven Gebetslebens. Bruckners eigenhändigen Kalendernotizen und jahrelang fortgeführten täglichen Gebetsaufzeichnungen entnehmen wir umfangreiche Morgen- und Abendgebete, die neben anderen genau festgehaltenen Gebeten morgens und abends je drei Rosenkränze aufweisen, so daß eine tägliche Gebetszeit von mindestens drei Stunden anzunehmen ist. Ebenso verraten seine eigenhändigen Notizen erhöhte seelisdie Gewissenhaftigkeit durch Verzeichnen häufiger Beidittage, von denen er beteuerte: „Der Tag g'hört unserm lieben Herrgott!“ Die schweren Prüfungen dieser Jahre zeigen den großen, heldenmütigen Dulder Anton Brudiner in hellstem Lidit. In vorbildhafter Unterwerfung unter den ihm überaus heiligen Willen Gottes nimmt er, dessen hohe sittliche Reinheit und moralische Größe neben vielen anderen Zeitgenossen eine Reihe von wohlinformierten Personen des Priesterstandes bekräftigen, den falschen Verdadit eines Sittlidikeitsvergehens gegen eine Schülerin der Lehrerbildungsanstalt hin und wartet geduldig, bis sich in einer gegen ihn erhobenen Disziplinaruntersuchung die völlige Haltlosigkeit der bösen Verleumdung ergibt, obwohl in- und ausländische Zeitungen diese „Affaire Bruckner“ höhnisch breittreten. An den Linzer Domdechant Schiedermayr schreibt er darüber: „Wahrlich, harte Tage sind über mich hereingebrochen. Wolle mir nur Gott gnädig sein, ich nehm dies als Buße an.“ Ebenso erträgt er die Schikanen und Widerwärtigkeiten seiner Stellung am Konservatorium, die Ablehnung seiner Symphonien bei Kritik und Publikum und die von seiten seiner Gegner wohlvorbereitete tödliche Kränkung der gänzlichen Mißachtung seiner III. Sinfonie bei ihrer Uraufführung in vorbildlicher Haltung.

Drei Symphonien wachsen in diesen Jahren. Die Dritte mit ihrem gewaltigen Kampf gegen alles Irdische im Finale und mit dem himmelansteigenden Choralthema als Zeichen vom Ringen ihres Meisters um überirdische Erleuchtung. Die mehr erdgebundene Vierte, in der Bruckner das Schöpfungswunder Gottes erkennt und preist, und die gigantische Fünfte mit ihrem unerhörten gott-sucherischen Streben nach Vereinigung.

In ihr erreicht der Mystiker Anton Bruckner die erste Stufe der Vollendung. Von da ab neigt sich ihm Gott selber zu. Die Freude an der Welt versinkt allmählich, sein Leben wird vergeistigt und verklärt. Heilige Sammlung entrückt ihn mehr und mehr den irdischen Interessen. Nun berührt ihn der Haß seiner Feinde gegen seine Werke kaum mehr. Er, der bisher schwer an der Mißachtung seines Schaffens durch die Verleger litt, lehnt ein Änderungsansinnen eines großen Leipziger Verlagshauses, das ihm die Herausgabe aller seiner Symphonien ermöglichen könnte, rundweg ab. Sein Leben wird in seinen wichtigsten Phasen zum Wandel in Gottes Gegenwart, sein Wirken vollzieht sich nur mehr zur größeren Ehre Gottes. Die Manuskripte mit dem Vermerk O. A. M. D. G. (Omnia ad majorem Dei gloriam) beweisen das. Er widmet schließlich seine größten Kompositionen geradezu dem lieben Gott, wie er mehrfach versichert. Sein Verantwortungsgefühl Gott gegenüber wächst ins Unendliche. So sagt er zu dem mit ihm befreundeten Klosterneu-burger Chorherrn Dr. Josef Kluger: „Die wollen, daß i anders schreib. I könnt's ja auch, aber i derf nit. Unter Tausenden hat mich Gott begnadigt und das Talent mir,grad mir geben. I muß ihm einmal Rechenschaft ablegen. Wie stund i dann vor unserm Herrgott da, wann i den andern folget und nit ihm?“

Aus der Vereinfachung seines religiösen Lebens, der „Ruhe in Gott“, die selbst niditgläubige Bewunderer seines Werkes als „Unruhe“ empfinden und bezeichnen, aus der seligen Beschauung ersteht eine neue Symphonie. Der jubelnden Ekstase des mystisch Hochbegnadeten entwächst die himmelstürmende Siebente, und im Tedeum erschließen sich ihm in gewaltiger Vision des Himmels Räume. Er selbst gesteht nachher, daß er den Himmel offen sah. Und derart stürmisch hat noch keiner vor ihm die Bitte um Aufnahme in die Schar der Heiligen vorgebracht, wie er in seinem „Aeterna fac cum sanctis tuis in gloria numerari“ im Tedeum.

Noch einmal senkt sidi als letzte passive Prüfung mystischen Lebens die Nacht des Geistes auf ihn hernieder. Krankheit und Seelenleiden der Verlassenheit sind ihre äußeren Zeidien; der Kampf ums Licht'in seiner Achten ist ihr musikalischer Beweis. Dann wird die höduste Stufe mystischer Vereinigung der Menschenseele mit ihrem Gott erreicht; in Anton Bruckners Werk im überirdischen Preisgesang seines 150. Psalms und in seiner Neunten, der „Symphonie Gottes“. Nun ist er wert und würdig, was er in heiligen Visionen ahnungsvoll erschaute, auf immerdar zu sehen. Mehr als die IX. Symphonie dem Kundigen von Überirdisdiem verrät, vermag kein Mensch in seinen Lebenstagen darzulegen. Damit mündet das Erdenleben des Mystikers Anton Bruckner in sein ewiges Ziel.

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