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Denkmal als Herausforderung

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Wer einmal, in späteren Jahren, die Kulturgeschichte des Landes Oberösterreich und seiner Hauptstadt zu schreiben sich anschickt, der wird, so hoffen und wünschen wir, den 23. März des Jahres 1974 als einen Dreh- und Wendepunkt zu registrieren haben. Denn was sich an diesem Tag, dem man auch noch den davor zuzählen mag, begab, geht weit über die Bedeutung einer feierlichen Hauseröffnung hinaus. Linz hat, aus der Hand eines finnischen Architekten, des etwa 45jährigen Heikki Siren und seines Mitarbeiters Horst Hedler (42), der aus Franken stammt und als Leiter des Planungsbüros fast zehn Jahre lang das ans Phantastische grenzende Projekt seines Meisters und Lehrers Siren überwachte, einen Konzertraum erhalten, der, mit seinen 1420 Plätzen, nur noch mit dem des Salzburger Großen Festspielhauses und der Londoner Royal Festival Hall verglichen werden kann. — Wir erwähnten auch den 22. März als Lostag. Es war dem tüchtigen Organisationskomitee und dem Generalmanager der LIVA (Linzer Veranstaltungsgesellschaft), Horst Stadelmayr, gelungen, etwa 120 Journalisten aus dem In- und Ausland nach Linz zu locken und in einem eintägigen „Sonderkurs“, der vom neuen Bruckner-Haus ausging und über Ansfel-den und St. Florian wieder zurück nach Linz führte, auf die festlichen Ereignisse des darauffolgenden Tages vorzubereiten.

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Wer einmal, in späteren Jahren, die Kulturgeschichte des Landes Oberösterreich und seiner Hauptstadt zu schreiben sich anschickt, der wird, so hoffen und wünschen wir, den 23. März des Jahres 1974 als einen Dreh- und Wendepunkt zu registrieren haben. Denn was sich an diesem Tag, dem man auch noch den davor zuzählen mag, begab, geht weit über die Bedeutung einer feierlichen Hauseröffnung hinaus. Linz hat, aus der Hand eines finnischen Architekten, des etwa 45jährigen Heikki Siren und seines Mitarbeiters Horst Hedler (42), der aus Franken stammt und als Leiter des Planungsbüros fast zehn Jahre lang das ans Phantastische grenzende Projekt seines Meisters und Lehrers Siren überwachte, einen Konzertraum erhalten, der, mit seinen 1420 Plätzen, nur noch mit dem des Salzburger Großen Festspielhauses und der Londoner Royal Festival Hall verglichen werden kann. — Wir erwähnten auch den 22. März als Lostag. Es war dem tüchtigen Organisationskomitee und dem Generalmanager der LIVA (Linzer Veranstaltungsgesellschaft), Horst Stadelmayr, gelungen, etwa 120 Journalisten aus dem In- und Ausland nach Linz zu locken und in einem eintägigen „Sonderkurs“, der vom neuen Bruckner-Haus ausging und über Ansfel-den und St. Florian wieder zurück nach Linz führte, auf die festlichen Ereignisse des darauffolgenden Tages vorzubereiten.

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„Das neue Linzer Brucknerhaus“ so Bürgermeister Franz Hillinger, „ist ein stolzes Denkmal für das kulturelle Engagement unserer Generation und wird auch denen, die nach uns kommen, den Beweis dafür liefern, daß Linz im Zeitalter seiner stärksten industriellen Expansion auch auf kulturellem Gebiet ambitioniert und anspruchsvoll gewesen ist.“

Bis es zur Realisierung des Projektes kam, hat es viele Jahre gebraucht, und wir müssen heute in Dankbarkeit aller jener gedenken, die ideell und materiell die Voraussetzungen zu diesem lebendigen Bruckner-Denkmal schufen.

Der Gedanke ist fast so alt wie die Bruckner-Pflege. Noch vor dem Ersten Weltkrieg haben der erste Bruckner^Biograph, August Göllerich und der Musikschriftsteller Franz Gräflinger den Plan einer Tonhalle, die hauptsächlich der Bruckner-Pflege dienen sollte, propagiert. — Mitte der zwanziger Jähre hat der Dirigent Siegmund von Hausegger Bruckners Fünfte zugunsten eines zukünftigen Bruckner-Hauses dirigiert. Im März 1930 gab der Ober-österreichische Heimatverein ein Festkonzert zugunsten eines künftigen Bruckner-Festspielhauses.

Die Festwochen 1935 standen unter dem Motto „Kunst und Kultur im Brucknerland“. Sie wurden von der Internationalen Bruckner-Gesellschaft durchgeführt, und Bruno Walter hat am 25. Juni in der während des Zweiten Weltkrieges zerstörten Festhalle am Südbahnhof ein Bruckner-Konzert dirigiert und seine weitere Hilfe zugesagt (die er dann durch sein Testament tatsächlich gewährt hat).

Auch in der NS-Zeit wälzte man große Pläne, realisiert wurde aber nur die Gründung eines eigenen Orchesters: ab 1940 gab es das Städtische Symphonieorchester, neben dem Bruckner-Orchester des Großdeutsohen Rundfunks. Eine Bruckner-Halle sollte das Zentrum der Bruckner-Pflege sein, aber es kam nicht mehr dazu, und auch den Plan zum Wiederaufbau des Städtischen Volksgartengebäudes ließ man fallen.

1949 wurde der „Verein Brucknerhausgemeinde“ gegründet, und 1950 dirigierte Volkmar Andreae, für die älteren Konzertbesucher zwei Jahrzehnte lang, bis 1962, der Bruckner-Interpret. Es gab in den folgenden Jahren einen Blumenkorso, einen Festzug und die Bausteinaktion, bei der 300.000 Schilling gesammelt wurden, (damals eine ganz schöne Summe) sowie eine Linzer Haussammlung, die 40.000 Schilling einbrachte. Am 5. Februar 1951 dirigierte Herbert von Karajan, der sich besonders während der letzten zehn Jahre als hervorragender Bruckner-Interpret bewährt hat, die Wiener Symphoniker zugunsten des Bruckner-Hauses.

Aber alle diese Bemühungen erwiesen sich als zu wenig effizient, man brauchte viel, viel mehr Geld. Und Linz steckte Millionen in einige andere ganz große Projekte: in den Umbau des Landestheaters, den Neubau der Kammerspiele — und in die neue Universität. Daher begann erst nach 1956 das konkrete Planen: durch Besuch zahlreicher Konzert-häuser in deutschen und Schweizer Städten, und es erfolgte die entscheidende Einigung der Großparteien, vertreten durch die beiden großen, alten Männer: Landeshauptmann Dr. Gleissner und Bürgermeister Dr. Koref, die ja so vieles gemeinsam betrieben und durchgeführt haben.

Diese endgültige Entscheidung erfolgte am 12. Oktober 1960. Jetzt wurde auch der einzigartig günstige Platz bestimmt, ein Gutachten von Prof. Roland Rainer eingeholt und der Wettbewerb ausgeschrieben. Im Gemeinderat vom 21. Mai 1962 wurde die glücklichste Entscheidung gefällt, indem man den finnischen Architekten Haikki Siren mit dem Plan betraute. Der Vorschlag betrug zunächst 100 Millionen Schilling, wurde bald auf 150 Millionen erhöht und beträgt heute etwa 275,000.000, plus drei Millionen für eine große Orgel...

Die Bauarbeiten konnten im Jänner 1969 begonnen werden Ernst Koref war verantwortlich für die Projektierung, Edmund Aigner für den Ausführungsplan, Theodor Grill für die Baudurchführung, und unter Bürgermeister Franz Hillinger wurde der Bau vollendet.

Ein solcher Bau ist bis zu einem gewissen Grad immer Glücksache. Doch haben Oberösterreich und die Stadt Linz sich dieses Glück verdient, die Einzelheiten wurden wirklich „ausdiskutiert“, und das Resultat gehört zu den erfreulichsten Leistungen der Nachkriegszeit. — Der Königsgedanke der Planer und des Architekten war die Verlegung auf eine dem Strom benachbarte Fläche mit altem, nach Möglichkeit erhaltenem Baumbestand. Die 130 Meter lange geschwungene Glasfront ist dem Strom zugekehrt. In diesem Teil des Gebäudes befinden sich die Publikumsräume, die eine einzigartige Aussicht haben. Auch daß man den gesamten Baukörper in eine bronzefarbene, wetterresistente Aluminiumfolie kleidete und die Innenräume mit Holz verschalte, und zwar mit Hölzern, die aus 25 verschiedenen Ländern stammen, war ein sachlich richtiger und schöner Gedanke. Das erweist sich jetzt an der Akustik, an der nur kleine Korrekturen vorgenommen werden mußten.

Der erfreulich konzentrierte und gehaltvolle Festakt zur Eröffnung, wurde mit einem speziell für diesen Zweck bestellten Aufträgswerk, einem Bruckner-Dialog von Gottfried von Einem eröffnet — eine Reverenz vor der Gegenwart, der sich auch künftig dieses Haus nicht verschließen wird. — Einem hat mit seinem knapp 15 Minuten dauernden Orchesterstück das selbstgewählte Thema „Bruckner-Dialog“ op. 39 sehr geschickt und zu allgemeiner Zufriedenheit gelöst. Manche seiner langsamen Sätze ließen ja seit vielen Jahren Bruckner oder Mahler-Nähe spüren. So wurde zwar kein radikaler dialektischer Gegensatz zu Bruckner gesetzt, denn Einem verwendet als Hauptthema ein aus sechs absteigenden Tönen gebildetes Motiv aus dem unvollendeten 4. Satz der letzten (neunten) Bruckner-Symphonie. Dazu schrieb der Wiener Musikologe Rudolf Klein: „Selbstverständlich darf der Dialog nicht so verstanden werden, als ob der Komponist des 20. Jahrhunderts die 9. Symphonie von Bruckner vervollständigen wollte. Die Verneigung vor dem Genie ist die einzige Form des Dialogs, die zum gegebenen Anlaß möglich und statthaft ist.“

Nach kurzen Ansprachen des Bürgermeisters von Linz, Hans Hillinger, des Landeshauptmannes Dr. Erwin Wenzel und des Unterrichtsministers, folgte die Eröffnung des Hauses durch Bundeskanzler Dr. Kreisky in Vertretung des erkrankten Bundespräsidenten. Den Abschluß bildete das „Te Deum“ Bruckners durch das Bruckner-Orchester, Linz, und die vereinigten Chöre der Linzer Singakademie, des David-chores Eferding und des Brucknerchores Linz unter der Leitung von Kurt Wöss mit den Solisten Elisabeth Speiser, Agnes Baltsa, Waldemar Kmentt und Peter Weven mit Alois Forer an der großen neuen Orgel, die zusätzlich drei Millionen Schilling gekostet hat.

Am Abend des gleichen Tages fand das eigentliche Festkonzert statt Auf vier Motetten Bruckners, die der Singverein der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde unter der Leitung von Helmuth Froschauer überaus tonschön und intonationssicher vortrug, trat Herbert von Karajan, lebhaft begrüßt, ans Pult und dirigierte Bruckners Siebente, deren Interpretation als in jeder Hinsicht vollkommen bezeichnet werden kann und entsprechend bejubelt wurde.

Beim anschließenden Empfang durch den Bürgermeister im Kaufmännischen Vereinshaus, zeigte sich der Maestro bei bester Laune — und hielt sogar eine kleine Ansprache, in der er u. a. eine kleine Panne reparierte, die seinen Vorrednern durch die Nichterwähnung des Architekten passiert war. Er tat dies mit Geschick und Charme. Linz kann hoffen, ihn bald wieder im neuen Haus am Pult zu sehen ...

Bei diesem Empfang ergab sich die Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch unter vier Augen mit dem Architekten Siren, einem überaus sympathischen und bescheidenen Mann. Unter den Ehrengästen befand sich auch Clemens Holzmeister, der im Gespräch seiner lebhaften Zustimmung zur Leistung des jüngeren Kollegen Ausdruck verlieh.

Nach dem Festkonzert konnte man die erfreuliche Gewißheit haben, daß das neue Haus eine hervorragende, ja eine ideale Akustik (mit etwa zwei knappen Sekunden Nachhallzeit) hat und vielerlei Anforderungen entsprechen wird. Außer ihm gibt es ja noch einen kleineren Saal mit etwa 250 Sitzplätzen, in dem alber in diesen Tagen keine Veranstaltung stattfand.

Es war eine schöne Geste der Anerkennung, daß man außer den bereits erwähnten 120 Journalisten und mehreren deutschen Bürgermeistern auch den Betreuer der Bruckner-Gesamtausgabe Prof. Dr. Leopold Nowak als Ehrengast geladen hatte. Und die Einsegnung des Hauses durch Bischof DDr. Franz Sales Zauner und Superintendent Leopold Temhiel von der Evangelischen Kirche war mehr als nur eine Formsache: beide fanden gute und bedeutende Worte über die Rolle der Kunst in unserer Gesellschaft und über den Segen, den ein solches Haus mit entsprechenden Veranstaltungen auszustrahlen vermag.

Nicht vergessen werden darf auch der Dank an alle Organisatoren und Hilfskräfte bei der Durchführung des umfangreichen Rahmenprogramms, das vor allem für die Auslandspresse veranstaltet wurde. Und dankbar erwähnt werden muß auch die großzügige Spende des schwedischen Industriellen Berül östbo, eines begeisterter Brucknerianers, der auch seine weitere finanzielle Unterstützung zugesagt hat. Linz und das neue Haus werden sie gut brauchen können. Nun wird man sehen, wie es weitergeht: ob Linz ein genügend zahlreiches, an ernster Musik interessiertes Publikum hat. Und ob sich unsere jüngeren Komponisten durch die Eignung des geräumigen Saales für multimediale Werke herausfordern lassen werden. Der ideale Rahmen wäre jetzt vorhanden...

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