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Die Bruckner-Tabus fallen
Seit Bruckners Lebzeiten gilt Schillers Wort über Wallenstein fast auch für ihn: „Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt”, schwankt jedenfalls auch noch heute „sein Charakterbild in der Geschichte”. Das Bruckner-Symposion im Rahmen des internationalen Bruckner-Festes in Linz ließ es deutlich erkennen.
Seit Bruckners Lebzeiten gilt Schillers Wort über Wallenstein fast auch für ihn: „Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt”, schwankt jedenfalls auch noch heute „sein Charakterbild in der Geschichte”. Das Bruckner-Symposion im Rahmen des internationalen Bruckner-Festes in Linz ließ es deutlich erkennen.
In vielem waren sich die Referierenden und Diskutierenden einig: Das überlieferte Bild von Bruckners Persönlichkeit ist falsch, der Anekdote gründlichst zu mißtrauen, Bruckner war auch im Alltag kein Schwachkopf, nicht der gütige „Tonerl” und vieles andere mehr. Uber vieles andere scheint derzeit schwer Einigkeit herzustellen zu sein: Ist seine Musik verhältnismäßig unreflektiert „nur so herausgeflossen” oder war er der harte, selbstkritische Arbeiter, der die eigenen Ansprüche bis an den Rand der Selbstzerstörung trieb, war er ein aggressionsgeladener Neurotiker, ein naiver bäuerlicher Mensch oder ein „aufführungsgeüer” Künstler, der methodisch über lange Zeitspannen alle Mittel einsetzte, um sein Ziel zu erreichen? Darunter Fragen, die geeignet sind, Bruckner-Freunde zu verletzen, die in dieser Schärfe bis jetzt kaum gestellt wurden, die die besondere Lage gerade bei der Erfassung dieser Persönlichkeit verdeutlichen.
Die Veranstalter (Linzer Veranstaltungsgesellschaft und Kommission für Musikforschung der österreichischen Akademie der Wissenschaften) haben es sich nicht leicht gemacht. Es waren keinerlei redaktionelle Absprachen getroffen worden. Das Eröffnungsreferat hielt Franz Grasberger, Obmann der Kommission für Musikforschung, Universitätsprofessor und Direktor der Musiksammlung der Nationalbibliothek. Er zeigte „Anton Bruckner zwischen Wagnis und Sicherheit”, doppelt treffend: Bruckner hatte Zeit seines Lebens um die Sicherung seiner materiellen Existenz Sorge getragen (und starb als wohlhabender Mann - hier ist ebenfalls mit einer Legende aufzuräumen!), Bruckner stand in seinem Schaffen unter der - Spannung von Ausdrucksbedürfnis und formaler Bändigung, in der Auseinandersetzung mit der Schulwissenschaft von der musikalischen Komposition. Grasberger betonte, daß Bruckners Selbstbeobachtung und -disziplin stärker gewesen sei als seine Autoritätsgläubigkeit. Erst der Unterricht bei dem um Jahre jüngeren Linzer Kapellmeister Otto Kitzler hat Bruckner in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zum persönlichen Schaffen enthemmt und zu einem elementaren Durchbruch geführt, der in der Folge den Aufenthalt des Komponisten in Bad Kreuzen (1867) nötig machte: Bruckner war am Rande des Zusammenbruchs. Der Stil ist rein spiritualistisch, in vollkommener Abstraktion frei von Ereignissen des Lebens, von jedem Programm, seine Symphonien sind auch keineswegs „Messen ohne Text”. Dagegen ist die Religion Bruckners einziger wahrer Sicherheitsaspekt.
In schärfstem Gegensatz dazu standen Äußerungen von Universitätsprofessor Erwin Ringel, den man um ein Psychogramm Anton Bruckners gebeten hatte und der sich dieser Aufgabe nach eigenen Worten nur „mit Zittern” unterzogen hat. Ringel schränkte auch gleich ein: „Untersucht hat ihn ja keiner von uns.” Er legte eingangs Bekenntnisse ab: als Freund der Kunst und der Künstler, als religiöser Mensch, als engagierter Arzt. Aber er sagte auch unmißverständlich, es müsse die ernst zu nehmende Vermutung geäußert werden, daß Bruckner Neurotiker war („Jeder
Künstler ist ein Neurotiker, aber nicht jeder Neurotiker ist ein Künstler”). Bruckner scheint nach seiner Darstellung ein schweres Leiden gehabt zu haben, es äußerte sich im reduzierten Selbstwertgefühl, das nur fallweise zur bewußten Betonung seines Eigenwertes umschlug, Bescheidenheit, die zur Servilität ausartete. Ringel erwähnte sein gestörtes Verhältnis zur Autorität, seine Aggressionsgeladen- heit, die zum „Image eines eigenwilligen Querkopfes” führte, den weithin bekannten Zähltick und vieles andere, was Bruckner-Verehrer vor den Kopf stoßen müßte. Daß sich Bruckner konsolidieren konnte, betrachtet Ringel als ein Wunder, nur eine „ungeheure Verdichtung” muß ihm den Ausbruch aus dem Verhallen, dessen er sich sehr formelhaft bediente, ins Nonverbale seiner Kunst ermöglicht haben. Die Werkbetrachtung führte Ringel zu weiteren medizinischen Reflexionen: Zwangsneurotisches dezennienlanges Ringen um immer bessere Form bereits abgeschlossener Werke, ahnungsloses Leben in einer dem Untergang geweihten Welt ohne Sich-selbst-in-Frage-Stellen, ohne Selbstreflexion: „Es ist geflossen …” Professor Manfred Wagner machte mit einem scharf pointierten Vortrag noch der wissenschaftlichen Bedeutung der Anekdote den Garaus: Nach Wagner muß der Zugang zur Person Bruckners durch sein Werk gefunden werden.
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