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Das Bild Anton Bruckners

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Die große Bruckner-Ausstellung, im Prunksaal der Nationalbibliothek von deren Generaldirektor Dr. Rudolf Fiedler eröffnet, wird manche Aufgaben zu erfüllen haben. Hundertundfünfzig Jahre nach der Geburt des österreichischen Genies fehlt uns heute noch vieles, was zur Komplettierung eines auch nur einigermaßen zutreffenden Bruckner-Bildes notwendig wäre. Übriggeblieben, von schulterklopfender Vertraulichkeit über Gebühr gehätschelt, sind die Histörchen und Anekdoten, die Momentaufnahmen eines Seelenlebens, die in ihrer Uberbewertung mehr Schaden anrichten als nützen.

Aber was wissen wir wirklich etwa von der Religiosität Bruckners, die bestimmt nicht nur Gottvertrauen und Zuversicht war, sondern auch kreatürliche Angst, Bedrückung durch den Begriff der Sünde, wie er damals in ganz anderer Weise als heute zum Menetekel gemacht wurde? Was wissen wir vom kreativen Prozeß, von der Gedankenarbeit, die geleistet wurde, von jenem ungeheuren Gefühlsreservoir, das zur Verfüeuna

stehen mußte, um solche Räume zu durchmessen? Und was wissen wir wirklich vom Menschen Bruckner, von jener Frustration, unter der er

— stiller, aber nicht weniger schmerzhaft als Beethoven — sein Leben lang gelitten hat, von seinem Mangel an Kommunikation und der daraus resultierenden Einsamkeit?

Die Musik eines Genies offenbart in den meisten Fällen seinen Hammel, nicht seine Hölle; die Dokumentation seines Erdenlebens vielfach auch dessen Nachtseiten. Echte Dokumentation, wie sie vom Leiter der Musiksammlung der Nationalbibliothek, Hofrat Dr. Franz Gras-berger, und seinem Team in dieser Bruckner-Ausstellung geboten wird, ist daher keine Laudatio der Umwelt: Mitleid begleitet den Besucher, der von Vitrine zu Vitrine schreitet, und

— übersichtlich zusammengefaßt — das Ringen eines uns nur durch die Musik, vertrauten Menschen mit einer ebenso dahingegangenen Zeit zur Kenntnis nimmt.

Vieles, das dem Inhalt nach bekannt ist (zum Beispiel durch die

vor kurzem erschienene umfangreiche Bruckner-Monographie von Leopold Nowak), wird durch das Zeugnis des Dokuments zu berührender Unmittelbarkeit, manches erweitert unsere historischen Kenntnisse, alles aber setzt sich zu einem Mosaik zusammen, in dem es noch viele leere Stellen gibt, das aber in seinen Konturen doch Bruckners Persönlichkeit ahnen läßt. Wird auch seine Musik deutlicher? Nicht so sehr

durch die Analyse, die dm Schematischen steckenbleiben muß, als durch die Manifestation einer ungeheuren Diskrepanz, wie sie zwischen der Kleinheit einer bürgerlichen Welt und der Größe eines Werkes entsteht, das im Grunde seines Wesens unerklärbar bleiben muß. Ein Ausstellungskonzept, das diesen Zwiespalt begriffen hat und ihn darzustellen vermochte, darf hoch gelobt werden.

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