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Nachwort zu Salzburg

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Verklungen ist nun wieder das Fest der Spiele und Gesänge. Ein Rückblick auf das Programm dieses dritten Nachkriegsfestspieles regt dazu an, festzustellen, ob die traditionelle Aufgabe der Festspiele auch wirklich noch vorhanden ist. In erster Linie muß es doch die Aufgabe der Festspiele bleiben, den Genius austriacus, die österreichische Musikkultur, vor dem internationalen Publikum in den Vordergrund zu stellen. Geschieht dies auch wirklich noch? Dem altösterreichischen Dreigestirn Josef Haydn, W. A. Mozart und Franz Schubert müßten die Me'ster des 19. Jahrhunderts, Anton Bruckner und Gustav Mahler, als feststehende Grundpfeiler der Festspiele gegenübergestellt werden, und auch die Werke der Meister, die Österreich zur Wahlheimat erkoren und ihr deutsches Wesen mit österreichischem Geist vermählten, haben ein Anrecht auf einen festen Platz im Programm des Festes. Aber auch Standardwerke internationaler Meister sollten Gastrecht im Rahmen der Festspiele haben. Wie verhielt sich aber das diesjährige Programm zu diesen Grundsätzen? Es scheint uns, als ob die österreichischen Meister, ja selbst Mozart, ihrer Bedeutung nach nicht entsprechend vertreten waren. Haydn, dessen große Oratorien wie kaum etwas anderes für Musteraufführungen durch den Staatsopernchor und erstklassige Solisten besonders geeignet wären, scheint uns ganz stiefmütterlich behandelt zu *rin. Und Bruckner, den der Schweizer Musikgelehrte Dr. Ernst Kurt „die größte musikalische Macht der Weltgeschichte seit Johann Sebastian Bach nennt, war diesmal als Symphoniker überhaupt nicht vertreten, was einen Bruch mit der seit Jahrzehnten geübten Gepflogenheit bedeutet, wenigstens eines seiner Werke zu Gehör zu bringen. Dies war schon bei den Salzburger Musikfesten vor dem Weltkrieg Tradition, die dann durch Franz Schalk, Bruno Walter, Klemperer und anderen bei den Festspielen fortgeführt wurde und den Höhepunkt der ausgehenden Festspiele bedeutete.

Nachdem Professor Josef Kripps in diesem Frühjahr in Moskau Bruckners Siebente zur Aufführung gebracht hatte, schrieb er an den Verfasser dieser Zeilen: „Wenn Sie den ungeheuren Jubel nach der Siebenten hier erlebt hätten, würden Sie nicht verstehen, daß man irgendwo in der Welt noch um Bruckner kämpfen muß“. Es scheint nun aber, daß dies im eigenen Heimatland des Meisters immerhin noch nötig ist. Dagegen scheint uns Richard Strauß seit Jahren etwas zu sehr in den Vordergrund gestellt. Auch dieses Jahr kam er sowohl als Opernkomponist wie mehrmals als Symphoniker zu Wort. Mit der „Arabella“ ist, um'ein Wort des Textbuches zu variieren, wirklich nicht allzuviel „passiert“. Für Salzburg mag das Wiener Sujet einigermaßen als Rechtfertigung dienen. Im ganzen aber verbleibt davon lediglich ein musikalischer Ohrenschmaus. Wie es in Bayreuth Grundsatz war, daß die Künstler ihre persönliche Eitelkeit zugunsten der Einheit der Darstellung zurüdczustellen hatten, so müßte dies auch bei den Musteraufführungen der Festspiele der Fall sein. Die Auswahl der Orchesterwerke dürfte nicht dem Dirigenten überlassen bleiben, die immer wieder ihre gewohnten' Paradestücke aufs Programm setzen, sondern es müßten zum Beispiel die Symphonien Beethovens, Bruckners, Brahms' und Mahlers so in das Programm eingebaut werden, daß sie im Laufe der Jahre einen Zyklus bilden, denn jede dieser Symphonien ist ein Standardwerk und hat das Recht, in Erscheinung zu treten. Schon bei den früheren Musikfesten war für die Orchesterkonzerte kein einheitliches Programm aufgestellt worden, so daß mir Karl Muck einmal erklärte: „Als ich nach Salzburg kam, fand ich auf dem Programm keine Symphonie von Mozart, weshalb ich dessen G-moll-Symphonie wählte.“

Ganz im Gegensatz zur Tradition, die auf den Festspielen nur anerkannte Meisterwerke, Feststehendes und Gefestigtes bot, stand das Programm in diesem Jahr teilweise im Zeichen eines Experiments. Es ist durchaus zu begrüßen, wenn auch neuere österreichische Meister zu Wort kommen, doch erscheint es merkwürdig, daß zum Beispiel ein vierundzwanzigjähriger Komponist, wenn auch mit einem sehr bemerkenswerten Kammermusikwerk, aufscheint, während der anläßlich seiner Ernennung zum Ehrendoktor der Wiener Universität als „erster Meister Österreichs“ gepriesene Altmeister Josef Marx in demselben Konzert auch erst zum erstenmal bei den Festspielen aufscheint.

So interessant auch von Einems Oper „Dantons Tod“ mit ihren neu aufgeworfenen Problemen sein mag, bei den Salzburger Festspielen ist für solche problematische Werke kaum Raum und auch nicht das dafür interessierte Publikum vorhanden.

Auch die „neue Musik“ hat nun Eingang gefunden ins Salzburger Programm. An sich ist dagegen nichts zu sagen, denn auch sie hat Daseinsberechtigung, wenn es sich auch fragt, ob das Salzburger Publikum dafür besonders geeignet ist. Auch dürfte von dieser Kunst zur Salzburger Landschaft und Geistigkeit schwer eine Parallele herzustellen sein. Mag auch atonale und lineare Musik Platz beanspruchen und verdienen, so wundert man sich doch, wenn im Festspielprogramm ausgeredinet die sechs „berühmten“ Klavierstücke von Arnold Schönberg Aufnahme fanden, deren einziger Vorzug es ist, daß sie nicht mehr Minuten beanspruchen als ihre Stückzahl besagt.

Salzburg darf nicht zu einem Versuchslaboratorium herabgewürdigt ^werden; es muß wieder au dem werden, was es seit I Jahrzehnten war, zju einer Musterpflegestätte vor allem österreichischer Musik, denn um ihretwillen kommen die Gäste aus dem Ausland. Problematisches können sie nach Belieben in Paris, New York, London usw. hören. Sie wollen den Genius loci in dem Lande genießen, in dem er zuhause ist. Nur so kann man dem internationalen Publikum die Großmachtstellung Österreichs in der Musik zum Bewußtsein bringen.

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