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Virtuosennachwuchs

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Bei der Besprechung einiger Solistenkonzerte mußten wir an dieser Stelle vor einigen Wochen feststellen, daß der Typus des Virtuosen — in seiner negaSven und in seiner positiven Ausprägung — im Schwinden begriffen ist. Dem technischen Hexenmeister trauern wir nidit nach, wohl aber entbehren wir schmerzlich die hinreißende Künstlerpersönlichkeit unter den Reproduzierenden, die uns die großen Meisterwerke der Musik nicht als Museumsstücke ehren, sondern als lebendige Zeugnisse menschlichen Geistes und Gefühls bewundern läßt.

Der Maßstab einer reproduktiven künstlerischen Leistung ist vor allem das Werk, welches nachgestaltet wird. Je mehr es einem Künstler gelingt, das innere Wesen und den Gesamtstil einer Komposition zu erfassen und je vollkommener er es versteht, diese auch den Zuhörern zu vermitteln, um so bedeutender ist seine absolute Leistung. Die Fähigkeiten der Kunstkritik, dieses Entscheidende, diese höchste Qualität eines ausübenden Künstlers zu erkennen,

beruht genau so auf Intuition wie die des Reproduzierenden in bezug auf das dargebotene Kunstwerk. Hier verlaufen — nach der Meinung der einen — die Grenzen des Musikreferats .(da sich ja angeblich über den Geschmack nicht streiten läßt); und genau an diesem Punkt fängt nach der Überzeugung einer verantwortungsvollen und positiven Kritik diese erst an.

Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt die Leistungen unseres Solistennachwuchses, so kann ihm ein ehrliches Bemühen um die Erkenntnis, um die richtige Erfassung der nachzugestaltenden Werke nicht abgesprochen werden. Hiebei richtet sich die Aufmerksamkeit unserer jungen Künstler im allgemeinen — vielleicht als Ausdruck unseres zur Sachlichkeit neigenden Zeitalters — mehr auf die exakte Wiedergabe des Details als auf die Erfassung und Durchdringung des Gesamtstils eines Kunstwerkes oder gar der betreffen-

den Künstlerpersönlichkeit. Darin liegt eine gewisse Beschränkung, zugleich aber auch viel Ehrlichkeit und Bescheidenheit, die sympathisch sind und Anerkennung fordern — soweit sie nicht durch Ahnungslosigkeit und amusisches Unvermögen bedingt sind.

Zum Stil unserer jungen Künstler gehört es anscheinend auch, sich — wenigstens auf dem Podium — nicht hinreißen zu lassen. Dies wirkt sich zumeist positiv auf die technische Sauberkeit aus, ist aber sehr wenig erfreulich im Hinblick auf die Gesamtwirkung und darauf, was der schaffende Künstler letzten Endes mit seinem Werk beabsichtigte. Bei keinem einzigen der Konzerte während der letzten Wochen habe ich es erlebt, daß einer unserer jungen Künstler im Schwung schöner Begeisterung einmal kräftig „danebengegriffen" hätte. Wie schön und herzerfrischend kann es wirken, wenn infolge jugendlich-stürmischen Temperaments etwas „passiere“; und wie trauriglangweilig ist die akademische Exaktheit wohleinstudierter Passagen und Kadenzen...

W enn Friedrich Gulda Beethovens Es-dur-Konzert op. 73 spielt, so ist jedes Detail in dynamischer Abschattung, Tempo und Phrasierung mit fast beängstigender Vollkommenheit gestaltet. Ist der junge Künstler mit seiner Darbietung zu Ende, so hat man ein sehr bedeutendes Werk vom Anfang des . 19. Jahrhunderts gehört, vom Geist Beethovens aber kaum einen Hauch verspürt. Als persönlicher Eindruck von Guldas Spiel bleiben: ein zugleich kristallklarer und farbiger Ton — und eine erstaunliche Technik. (Doch diese ist Voraussetzung jeder künstlerischen Höchstleistung.)

Bei Carl Johannis muß zunächst in bezug auf die Technik eine kleine Einschränkung gemacht werden. Sie ist bedeutend, ohne Zweifel entwicklungsfähig, aber längst noch nicht vollkommen. Sein Programm stellte allerdings sehr hohe Anforderungen: Johannis spielte nacheinander drei Violinkonzerte (Mozart, Walton und Dvorak). Sein Ton ist klar und unpersönlich; von keinem der drei Werke empfing man in seiner Interpretation einen bleibenden Eindruck. Was diesem Künstler am meisten abgeht, ist die Fähigkeit, das Werk im Augenblick der Darbietung neu zu erleben und es dadurch auch für die Zuhörer zum Erlebnis werden zu lassen.

Die jurige Pianistin Felicitas Karrer spielte im ersten Teil ihres Programms Mozart und Schumann: schön und sauber (nicht ganz so befriedigend, wie seinerzeit das Beethoven-Konzert), aber ohne besonders zu fesseln.- Dann aber entfaltete sie sich großartig an Mussoigskys „Bildern einer Ausstellung“, die eine ganze Ausdrucksskala umfgssen und ein Kompendium pianistischer Technik darstellen. Alles Technische war vorzüglich. Damit hatten wir gerechnet. Was sie dann noch aus eigenem an Temperament, Farbe und Ausdruck beifügen konnte, war fesselnd von der ersten bis zur letzten Note: eine ausgezeichnete und Auszeichnung verdienende Leistung.

Den besonderen Anforderungen von Debussys letzter Violinsonate g-moll ist die Technik von Edith Bertschinger in hohem Maße gewachsen. Das Spezifische dieses eigentümlichen Werkstils, der vom Impressionismus jäh ins entgegengesetzte Lager hinüberwechselt, sowie das Eigentümliche des Debussy-Klanges, hat sie klug und sicher erfaßt. Auch besitzt sie Gefühl für die Debussysche Atmosphäre und die sich aus ihr lösende Kantilene. Auf einem besseren Instrument hätte die Darbietung vollkommen sein können. Die Schwierigkeiten bei der Interpretation dieses Werkes sind ganz anderer Art, als beispielsweise bei einer Violinsonate von Beethoven oder Brahms. Trifft man hier das Detail vollkommen und hat man ein Gefühl für den Gesamtstil des Werkes, so sind damit auch die größten Schwierigkeiten gelöst. Auch diese Leistung verdient höchste Anerkennung.

Ein klassisches Beispiel neusachlichen, geistvollen Musizierstils erlebten wir in dem Zusammenspiel von Erna Heiller und Kurt Rapf. (Sonate für zwei Klaviere von Mozart und Regers Introduktion, Passacaglia und Fuge für zwei Klaviere op. 96). Hier war nichts dem Zufall überlassen, alles genau bedacht — und glänzend gelungen. Um diese Leistung würdigen zu können, hätten meine Leser den ersten Satz der Mozart-Sonate oder die Schlußfuge von Reger gehört haben müssen. Kurt Rapf, der an diesem Abend zrm letztenmal mit seinem Collegium musicum konzertierte, darf überzeugt sein, zur Gestaltung unseres Konzertlebens Wertvoll-Anregendes beigetragen und als Künstler besonders mit diesem lezten Konzert Beachtenswertes geleistet zu haben.

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