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Maximus Polyphonista Austriae

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Der 80. Geburtstag des Komponisten Johann Nepomuk David wurde in seiner Heimat Österreich — er stammt aus Eferding — mehrfach wahrgenommen, und zwar vom Österreichischen Rundfunk. Eine anerkennenswerte Tat, aber ein schlechtes Zeichen: Kann dem Werk dieses Meisters, der in Leipzig und Stuttgart zu europäischem Format heranwuchs, hierzulande -nur jene von Publikumsgunst unabhängige Aufmerksamkeit entgegengebracht werden, wie sie der Meterware der Avantgarde oder der Konfektion der Epigonen zuteil wird? Fast will es so scheinen: denn die Aufführung seines „Ezzoliedes“, auf Grund des großen Apparates in den Konzerthaussaal verlegt, war beschämend schlecht besucht.

Dabei weiß man in einschlägigen Kreisen, was wir an diesem Meister, der 'nicht ohne Ursache als „Maximus polyphonista Austriae“ bezeichnet wird, besitzen; die Organisten wissen es, denn er hat für dieses Instrument ein monumentales Werk geschaffen, das im 20. Jahrhundert nicht seinesgleichen kennt, wenn man von der aus ganz anderen Quellen kommenden Orgelmusik Olivier Mes-siaens absieht; und die Chorsänger wissen es: denn auch für sie liegt eine große Anzahl von Kompositionen vor, die ihresgleichen suchen. Könnte es wirklich sein, daß die große Kunst, die sich auf solche Weise in zwei Sparten manifestiert, in anderen Bezirken zum Leerlauf verurteilt wäre? Alles — vor allem die Erfahrung — spricht gegen eine solche Annahme. Warum aber dann das mangelnde Interesse an Davids Symphonien, an seiner Kammermusik, ja sogar — wie das Beispiel des „Ezzoliedes zeigt — an seinen Chor-Orchesterwerken?

Ganz gewiß, er rührt nicht die Trommel, und nach Hindemiths Tod ist er der einzige, der an Linienführung und Mehrstimmigkeit festhält; mangelnde Propaganda und die Strenge seiner Kunst mögen manches erklären. Doch scheint letzten Endes die ewig junge Fama des „Veraltetseins“ die Aufführungsziffern seiner Werke niedrig zu halten. Schon die Tatsache, daß David sein Instrumentarium, und da vor allem die menschliche Stimme, in Übereinstimmung mit dessen Möglichkeiten einsetzt, stempelt ihn als konservativ ab. Ist es aber konservativ, wenn Klangerzeuger so verwendet werden, daß ihre Möglichkeiten am besten zur Geltung kommen? Schon das richtige Singen im Chor setzt richtige Stimmführung in der Komposition voraus, jenes Handwerk, das — obtoohl auf dem Fundament der Tradition ruhend — doch keineswegs in festen Regeln und Vorschriften konfluiert ist, sondern sich, den Geboten der Zeit gehorchend, dieser anpaßt und sich ihren Änderungen anschmiegt. Gutes Handwerk wirkt sich auch im Satz der Instrumente aus, ferner im Schaffen jener Einheit, die das Werk bis in seine feinsten/ Verästelungen zu durchdringen hat, sollen die Teile mit dem Neuen, das sie zubringen, auch die Form des Ganzen festigen. Gutes Handwerk wird ferner auch jenen Faktor ins Kalkül ziehen, der heute so sträflich vernachlässigt wird: das Publikum — oder, wenn dieser Begriff zu verschwommen wirkt: das menschliche Gehör in seiner vollkommensten Bildung.

All dies ist der komponierenden Impotenz von heute quan-tite negligeable. Für Stimmen schreiben ist ohnehin unmodern, wenn die so vollkommen beherrschte Mechanik - jeden gewünschten Ton zu produzieren vermag, die „Ästhetik des Fragments“ hat die des Werkbegriffes abgelöst, das Genie wurde totgesagt und das Gehör des Rezipierenden ist ein Trichter, der dank seiner Feinheit ohnehin alles wahrnimmt, was ihm zugeführt wird.

Wirklich alles? Kann dieses Organ nicht verkümmern, wenn seine Fähigkeiten nicht genutzt werden? Die Musik beruht seit Jahrhunderten auf dem Vergleich der Töne untereinander, der ihnen Wertigkeiten zumißt, die aus Konglomeraten Schwerpunkte herausfiltert: Tonalität wird diese Qualität genannt, und die Fähigkeit ihrer Erkenntnis hat sich im 20. Jahrhundert in einer Weise verfeinert, daß eine Mikrowaage gerade noch zur Erfassung der Unterschiede taugt. Dann freilich kam eine Musik — und keineswegs ist diese a-tonale Musik, wie es immer heißt, durch Schönberg, Berg und Webern erfunden worden —, dann kam eine Möglichkeit des Tonarrangements, die vom Wägen der feinen tonalen Unterschiede gänzlich absah: und erst diese Möglichkeit verdammte alles, was noch irgendwie tonal zu erfassen war, in die Gehenna des unwiderbringlich Verlorenen. Ja, wenn das Neue imstande wäre, das Alte zu ersetzen! Systemlos,

Die trostlose Situation könnte durch die Qualität einer guten to-nalen Musik überwunden werden. Ihre Seltenheit zwischen der drohenden- Banalität einerseits und der Gefahr ihrer Verkennung auf der andern Seite macht ihre Position so schwach. Die Gefahr der Verkennung zumal ist groß, liegt ihre Ursache doch nicht zuletzt daran, daß die Mikrowaage eines feinen tonalen Gehörs — da sie in so vielen „modernen“ Kompositionen ohnehin unbrauchbar ist — als überflüssig über Bord geworfen wird, daß ihrer Entwicklung zumindest nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt wird. Atonale Musik macht dieses Instrument tatsächlich unnötig, warum also so viel Mühe darauf verwenden? Und Mühe macht es, das kann nicht verschwiegen werden. Die tonale Vielschichtigkeit des „Ezzoliedes“ etwa, der Umstand, daß seine Tonbeziehungen sich vielfach aus der Horinzonta-len konstituieren, die Dichtheit des Satzes — sie stellen hohe Anforderungen an den Hörer, Anforderungen, denen nur intensives Einhören in solche Musik gerecht zu werden vermag. Der Aufwand lohnt indessen die Mühe: mit seiner Hilfe kann Davi4s „Ezzolied“, jener ekstatische Gesang des mittelalterlichen Domherren, als ein Meisterwerk des 20. Jahrhunderts erkannt werden. Diese Erkenntnis wird uns die rechte Würdigung seines Schöpfers und seiner Helfer (des vorzüglichen ORF-Chors, des tüchtigen ORF-Symphonieorchesters, der Solisten Jane Marsh, Ilona Szep und Reid Bunger, des Organisten Rudolf Scholz und des Dirigenten Milan Horvat) ermöglichen, vornehmlich die von Johann Nepomuk David, den wir mit Stolz und nicht ohne Beschämung zu den Unsern rechnen dürfen.

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