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Unbekannte Bruckner-Briefe

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Während der letzten Kriegsjahre — und auch schon in früherer Zeit — kamen unbekannte Bruckner-Briefe immer seltener an die Öffentlichkeit. Viele Originalbriefe des Ansfeldner Meisters gingen dadurch verloren, daß die Besitzer den Wert nicht beachteten, vielleicht auch der Meinung waren, der Inhalt sei zu belanglos. Serien unveröffentlichter Bruckner-Briefe sind — meines Wissens — überhaupt selten publiziert worden. Zu Beginn des Jahrhunderts habe ich einige an seinen Freund und Nachfolger in Linz, Karl Waldeck, Musikdirektor Franz Bayer, Wilhelm Floderer, Pater Oddo Loidol, Joh. Baptist Schiedermayr, in späteren Jahren an seinen Notenkopisten in Steyr, Leopold Hofmeyer, Siegfried Ochs, Johann Herbeck, Pius Richter, in verschiedenen Tages- und Fachblättern mitgeteilt. Auch in meinem ersten Buch „Anton Bruckner (Bausteine zu seiner Lebensgeschichte)“, Piper, München 1909, scheinen Bruckner-Briefe auf.

Der erste Band „Anton Bruckner, gesammelte, Briefe“ (Deutsche Musikbücherei, Verlag Bosse, 1922) aus meiner Feder ist noch lückenhaft. Max Auer konnte im selben Verlag mit einer „neuen Folge“ mit der doppelten Anzahl an Briefen — und Hereinnahme von solchen aus meiner Sammlung — sowie 97 Briefen an Bruckner aufwarten. Erst dreizehn Jahre später, anläßlich der völlig neu bearbeiteten und erweiterten „Bausteine“, die in Max Hesse's Händbücher (Berlin, 1927, 384 Seiten, mit der ersten Bruckner-Ikonographie, 100 Bilder) erschienen, konnte ich 31 Bruckner-Briefe an Hermann Levi, den vielseitigen Förderer des österreichischen Symphonikers und ersten „Parsifal“-Dirigenten, sowie einige an Baron von Perfall, erstmalig in die Öffentlichkeit bringen.

Daß viele Bruckner-Briefe nicht „jene seelische Durchleuchtungskraft“ und Hochwert haben, wie die Richard Wagners an Mathilde Wesendonk oder von Mozart, Beethoven, Schumann, Liszt, ist Tatsache. Aber den Menschen, seine Eigenart, spiegeln sie wider: die anerzogene und durch die Umgebung bedingte Ergebenheit kirchlichen und weltlichen Würdenträgern gegenüber, die wahre Frömmigkeit, Güte und Herzensreinheit. Die Überschriften stuft Bruckner wählerisch ab, fügt manchmal nach dem Grad der Bekanntschaft oder des Freundschaftsverhältnisses ein zweites Beiwort dazu. Daß ihm Gott das Allerhöchste war, bezeugt er dadurch, daß er jedes Wort, welches sich auf Gott bezieht, mit einem großen Anfangsbuchstaben schrieb. Auch sein starkes Heimatgefühl klingt in manchen Zeilen auf. Natürlich blieb er — wie als Gesellschafts-mensch — auch oft in seiner Schreibweise kindlich schlicht. Des Wertes seiner Schaffensprodukte war er sich wohl bewußt.

Ein verschollener Bruckner-Brief, der an erster Stelle mitgeteilt sei, und den ich Doktor Collins, beziehungsweise Studienrat Professor Dr. Friedl verdanke, befindet sich im Museum in T u 11 n. Er ist an den einstigen Bürgermeister Ignaz Pollmann gerichtet. Pollmann, geboren am 13. März 1814 zu Tyrnau, Slowakei, gestorben 1882 in Tulln, war k. k. Hauptmann a. D. und Lehrer an der Pionierkadettenschule in Tulln. Zu dem Inhalt des Briefes sei folgendes bemerkt: Zur Zeit, als Bruckner gelegentlich der Schlußfeier der Weltausstellung in Wien (26. Oktober 1873) seine zweite Symphonie mit den Philharmonikern zur Aufführung brachte — zum erstenmal erklang ein Großwerk des Meisters in einem Wiener Konzertsaal — und einen außergewöhnlichen Erfolg errang, schwebte ei in Lebensgefahr. Daß er „nicht zum Krüppel geworden“ oder vielleicht sogar tödlich verunglückte, war bis jetzt keinem Bruckner-Forscher bekannt, wurde in keiner Bruckner-Biographie erwähnt. Zur Überprüfung der neuen Orgel in Tulln eingeladen, lehnte Bruckner eine geldliche Entlohnung dafür ab. Als Anerkennung wurde ihm eine silberne Schnupftabakdose übermittelt. Die folgenden Briefzeilen sind die Antwort darauf:

Hochwohlgeborener Herr Bürgermeister!

Vor Allem bitte ich um Entschuldigung wegen Verspätung meiner Danksagung, da ich erst vor wenigen Tagen in Wien angekommen bin, nämlich mit dem Unglückszuge auf der Westbahn.Ich war im nächsten Waggon bei den Verunglückten. Es war furchtbar und wunderbar, daß ich nicht zum Krüppel geworden bin. Nun zur Sache. Wie sehr mich diese unverdiente herrliche Überrraschung erfreute, kann ich nicht sagen! Bitte, als löbl. H. Vorstand der Stadtgemeinde, meinen tiefsten Dank entgegennehmen zu wollen und denselben auch den löbl. H. Gemeinderäten gütigst melden zu wollen. Stets werde ich mir dieses Kleinod teuer aufbewahren. Mit der Versicherung meiner innigsten Verehrung und Hochachtung bin ich Euer Hbchwohlgeboren

ergebenster A. Bruckner.

Wien, 8. Oktober 1873.

NB. Den 26. d., um halb 1 Uhr, wird im gr. Musikvereinssaale mein Conzert sein, wobei meine C-moll-Symfonie uraufgeführt werden wird.

Den schon früher veröffentlichten sieben Briefen an Bruckners Freund Karl Waldeck in Linz, können zwei unbekannte angefügt werden. Ich verdanke diese Herrn Tierarzt Dr. Herda, dessen Frau eine Verwandte Waldecks ist. Sie stammen aus der anfänglichen Wiener Periode, in welcher der Meister argen Verfolgungen, ja sogar Verleumdungen ausgesetzt war und sind eine Ergänzung zu dem Schreiben vom 21. Oktober 1871. Bruckner unterrichtete auch an der weiblichen Lehrerbildungsanstalt und hatte eine Schülerin mit „lieber Schatz“ angesprochen, was ein Mädchen aus einer „besseren Familie“ zur Anzeige brachte. Peinliche Untersuchung, aber völlige Rehabilitierung Bruckners, der es aber ablehnte, weiterhin an der weiblichen Anstalt Unterricht zu erteilen und nur an der männlichen als Lehrer verblieb. Der unveröffentlichte Brief lautet:

Lieber Waldeck!

Beruhige Dich! Mir ist nie ein Antrag gemacht worden. Ich glaube übrigens, daß Du meinen Charakter kennst. N i ch t wies meine Feinde mit mir wollen, ums Brot bringen ist meine Absicht, sondern tausendmal lieber fechten gehen, als Anderen zu schaden. Ich muß wohl Alles gewärtigen; denn, was nicht ist, kann werden! Du wirst lachen über den herrlichen Trost; doch mit dem Schritte, den ich gethan, als ich diess Land der Intriguen und Verleumdungen betrat, habe ich auf Alles verzichtet. Mein Gewissen beruhigt mich vollkommen. Sei also beruhigt; eher wirst Du mich ganz brotlos sehen, als an Deinem Posten geflüchtet mich erblicken. Wünsche Dir nochmals Alles — Alles was Du Dir selbst wünschest zu Deinem liebrn Namensfeste, vor Allem die Genesung Deines hochverehrten H. Vaters.

Schreibe mir bald wieder, aber gewiß!

Empfehle mich Deinen hochverehrten Aeltern

und Freunden ~ . c j

Dem treuer Freund

Anton Bruckner

Wien, 28. Oktober 1871.

Waldeck dachte, daß Bruckner wieder auf seinen Posten nach Linz zurückkehren wolle. Er ließ sich ja denselben „Reservieren“ und meldete erst am 18. Juni 1870 seine endgültige Resignation- Der Brief erhärtet neuerdings das Vorgehen von Bruckners Feinden, die auch davor nicht zurückschreckten, ihn „um sein Brot zu bringen“.

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