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Orgeltriumphe

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An der großen Orgel von St. Florian ist Bruckner zum Künstler herangereift, sie hat ihn vom Joch des Schulunterrichts befreit und weitergegeben an die Domorgel von Linz. Diese hat ihn zum Seelenbezauberer werden lassen durch seine Improvisationen; gleichzeitig eröffnete sich Bruckners schöpferische Kraft. Wien nun schickt ihn von der kleinen Orgel der Burgkapelle in die Welt, zu den großen Orgeln in Nancy) in Paris, in London. Bruckner rechtfertigt das in ihn gesetzte Vertrauen; ruhmbedeckt kehrt er heim in sein leidvolles Wiener Komponistenda-sein.

In Nancy, der Hauptstadt des ehemaligen Herzogtums Lothringen, hatte man an Stelle einer alten kleinen Kirche St. Epvre, 1864 bis 1875, eine große Kathedrale in gotischem Stil errichtet. 1869 schon wurde in ihr die große von Merklin & Schütze (Paris) erbaute Orgel fertig, zu deren Prüfung und Einweihung die berühmtesten Organisten Frankreichs eingeladen wurden. St. Epvre steht neben den Gräbern der lothringischen Herzöge, und da Franz Joseph ein Nachkomme Franz Stephans von Lothringen, des Gemahls der Kaiserin Maria Theresia, war, sollte auch der Organist der Wiener Hofkapelle daran teilnehmen. Die Kollaudierung und Einweihung war am 27. April 1869, an den beiden darauffolgenden Tagen fanden konzertante Vorführungen statt. Bruckner erntete großen Beifall, vor allem mit seiner Improvisation über das „Gott erhalte“, in der man besonders den Reichtum an harmonischen Veränderungen und die Kraft der motivischen Durchführung lobte.

Bruckner wurde eingeladen, die Firma Merklin & Schütze in Paris zu besuchen, damit er dort und auf der großen Orgel von Notre-Dame spiele. So fuhr der Meister am 1. Mai nach Paris. Er spielte zuerst in der Orgelbauanstalt, wobei er über Themen aus seiner 1. Symphonie improvisierte. Noch größeren Beifall erhielt sein Spiel auf der großen fünf-manualigen Orgel von Notre-Dame. Aus Bruckners eigenen Worten erfahren wir: „Dort waren alle berühmten Künstler und Spitzen der Kritik anwesend. Ich bat um ein Thema. Der erste Organist von Paris getraute sich nicht, eines aufzugeben, aber der Organist von St. Trinitade, A. Chauvet, hat es dann getan. Ich bearbeitete dessen drei Glieder zuerst in einem Präludium, dann in einer Fuge und zuletzt symphonisch ... Ich machte am Schluß einen ununterbrochenen Orgelpunkt, was denen in Paris ganz neu war und sie in Erstaunen versetzte. Zuletzt waren sie ganz aus dem Häusl (ganz außer sich), und ich war auch ungeheuer aufgeregt“ Unter den Anwesenden befanden sich Saint-Saens, Cesar Franck, Ambroise Thomas, Auber und Charles Gounod. Bruckner wurde in außerordentlichem Maße gefeiert. Es konnte nicht ausbleiben, daß er vom Erbauer dieser Orgel, Aristide Cavaille-Coll, zum Besuch seiner Firma eingeladen wurde, ebenso war er bei Auber und bei Gounod zu Gast. Da das Spiel Bruckners vor geladenen Gästen stattfand, nahmen die Pariser Tageszeitungen keine Notiz davon, wohl aber österreichische und deutsche Blätter.

Bevor sich Bruckners Genie als Meister der Symphonie weiterentwickeln konnte, mußte der Meister noch einmal reisen. Sein Orgelspiel sollte im Ausland das Ansehen Österreichs würdig vertreten. Das geschah in den Augusttagen 1871 in London. Zum Gedenken an den Prinoe Consort Albert, den Gemahl Königin Victorias, gestorben 1861, hatte man beschlossen, ein monumentales Gebäude zu errichten: die Albert Hall. Sie sollte verschiedenen Zwecken dienen können, auch der Abhaltung von Konzerten. Daher wurde in ihr von dem Londoner Orgelbauer Henry Willis eine große viermanuale Orgel mdt mehr als 10.000 Pfeifen erbaut. Die Größe- ist der Ausdehnung des eiförmigen Innenraumes angemessen: er ist 83 Meter lang, 72 Meter breit und hat Sitzplätze für mehr als 5000 Zuhörer. Die Kommission, der für 1872 in London beabsichtigten Weltausstellung lud Anfang 1871 die bedeutendsten Organisten der Welt ein, die Orgel zu prüfen und auf ihr Konzerte zu geben.

Eine solche Einladung erreichte auch Bruckner, der nach einem Probespiel in der Piaristenkirche ausersehen wurde, nach London zu fahren. Er kam am 29. Juli an, wohnte im Hotel Seyd am Finsbury-Square Nr. 39 und begab sich noch am Abend desselben Tages zur Orgel. Die Dampfmaschinen, die die mächtigen Blasbälge in Bewegung setzten, waren schon am Aufhören. Uber Bruckners Bitten durfte er noch so lange spielen, als der Dampf reichen würde. Sein Spiel machte den Direktor aufmerksam, er ließ nachheizen, und so konnte Bruckner weiter die Orgel ausprobieren. Bald war er von einem Kreis staunender Zuhörer umringt. Das war sein erster Erfolg, dem sich weitere in steigendem Maße hinzugesellen sollten. Es war ausbedungen, daß er taglich zweimal je eine Stunde spielen würde. Das wurde geändert, er spielte nur einmal, entweder um 12 Uhr oder um 3 Uhr nachmittags. Bruckner wechselte darin mit dem Organisten der Albert Hall, Mr. W. T. Best, ab. Die erste Orgelvorführung Bruckners am 2. August umfaßte folgendes Programm: 1. Bach, F-Dur Toccata, 2. eine Improvisation darüber, 3. Händel, Fuge in d-Moll, 4. Improvisationen Bruckners, 5. Bach, Präludium und Fuge in E-Dur, 6. Improvisationen über englische Melodien. Eine diesem Programm angefügte Bemerkung sagt: „Herrn Bruckners besondere Stärke liegt in klassischen formvollendeten Improvisationen über Werke von Händel, Bach und Mendelssohn.“

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