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Von Bach zur Gegenwart

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„1950 wird ein Bach-Jahr sein. Wir werden uns mühen und mithelfen, aus unserem Bereich und Vermögen das Vermächtnis Johann Sebastian Bachs unserer bedrängten Zeit zu enthüllen. Wir alle sind zu ernstem Besinnen und zu wirklichem Verstehen aufgerufen.“ Mit diesen Worten kündigt die Bach-Gemeinde einen Zyklus von sechs Abonnementskonzerten und weitere vier außerordentliche Chorkonzerte an. Ihr schließen sich unsere beiden großen Konzertgesellschaften an, deren repräsentative Veranstaltungen durch eine Reihe von Kantatenaufführungen in der evangelischen Kreuzkirche ergänzt werden. Die festliche Eröffnung des Bach-Festjahres fand als gemeinsame Veranstaltung des Konzerthauses und der Bach-Gemeinde im Musikverein statt, und wir erblicken in diesem Zusammenwirken ein schönes Symbol für jene Einmütigkeit, mit der man der hohen Kunst dienen soll. Im Rahmen dieses Konzerts, das durch den Unterrichtsminister eröffnet wurde, spielten vier unserer besten Organisten Werke von Bach Anton Heiller, Josef Nebois, Bruno Seidlhofer und Karl Walter und sang der Bach-Chor unter Julius Peter Motetten und Chonalpartiten. In jedem der sechs Konzerte der Bach-Gemeinde wird ein „Brandenburgisches“, ein Instrumentalkonzert und eine Kantate aufgeführt werden, und wenn an diese Veranstaltungen auch nicht der strengste künstlerische Maßstab angelegt werden kann, so sind wir uns des hohen Verdienstes und schönen Enthusiasmus dieses fast nur aus jungen Menschen bestehenden großen Chors dankbar bewußt, der dem Werk des Thomas- kantors jene Breitenwirkung sichert, die von einer musizierenden Gemeinde ausstrahlt.

Im Musikverein hörten wir zwei Konzerte, die schon durch ihre glückliche Programmgestaltung Beachtung verdienen. Im Zyklus „Die große Symphonie" dirigierte Eugen Jochum die Erste von Beethoven und die Neunte von Bruckner. Fast ein Jahrhundert liegt zwischen diesen beiden Werken, deren erstes, zwiegesichtig, nach rückwärts und vorwärts blickt, während das letztere, Höhepunkt der klassisch-romantischen Symphonik, eine Region erschließt, in die auch der Freuden- und Menschheitsjubel der Neunten von Beethoven noch nicht emporzudringen vermochte. Jochum brachte einen sauberen, an schönen Einzelzügen reichen Beethoven, konnte aber mit Bruckner wenig überzeugen. Vor allem wollte es ihm nicht gelingen, gewisse klangliche Härten der Urfassung zu mildern, so daß einzelne Stellen auch im melodischen Ablauf etwas torsomäßig wirkten. — Herbert von Karajan dirigierte Hindemiths Symphonie „Mathis der Maler", und die „Eroica“. Wir haben das Hindemithsche Werk während der letzten Jahre etwa ein halbes Dutzend Mal gehört, aber während es bisher — auch vom Komponisten selbst — eher als Musik vom Meister der Tonkunst Hindemith zu den Bildern des Meisters Mathis interpretiert wurde, erschloß uns Karajan die mystische Welt und die glühenden, visionären Farben Grünewalds, besonders die des letzten Bildes von der Versuchung des heiligen Antonius. In der Dritten von Beethoven standen sehr streng disziplinierte Partien mit harten Akzenten und scharfen Konturen neben — vor allem im Zeitmaß — ziemlich willkürlich gestalteten. Der Gesamteindruck war, wie bisher immer bei Karajans Beethoven-Interpretation — stark, aber zwiespältig. Die Aufführung war ausgezeichnet studiert, das Orchester der Wiener Symphoniker folgte den leisesten Intentionen des Dirigenten und hatte einen großen Tag.

Die reorganisierte Internationale Gesellschaft für neue Musik, die unter ihrem neuen Vorstand künftig Musik aller Richtungen pflegen will — soweit es sich nicht nur um „zeitgenössische“, sondern ihrem Wesen nach neue Musik handelt, begann ihr Arbeitsjahr mit einem Konzert geistlicher Musik. Am Anfang und am Ende des Programms standen zwei Werke, die sich schon bewährt hatten: die an dieser Stelle bereits besprochene Missa Gaudens gaudebo von Josef Ledithaler und Strawinskys Messe für gemischten Chor und Doppelbläserquin-tett: ein knappes, formklares, leichtverständliches aber nicht leicht zu singendes Werk, vielleicht eher ein echter Strawinsky als eine echte Messe. Mit den „Anrufungen“ schuf Rudolf Henz einen Zyklus von sieben gedankenträchtigen Gedichten, deren ekstatischhymnischen Stil man als neoexpressionistisch’ kennzeichnen könnte und die in den Schlußworten gipfeln: „Singt nicht von Blumen, Tieren, Dingen und von Schönheit! Schreit um Gnade, schreit um Gnade!“ Zu diesen Texten, die auf weite Strecken von einem Sprecher rezitiert wurden, schuf Franz Krieg eine Musik für eine Altstimme, zehn Bläser, Pauken und kleine Trommel. Neben ariosen und Choral-Partien wird der Text durch’ kurze Einwürfe der Begleitinstrumente, hauptsächlich durch das Schlagwerk,.teils gegliedert, teils unterbrochen oder melodramatisch untermalt. — Dio Tonsprache Wolfgang Formers auf einen Text des Frühexpressionisten Martin Raschke ist weicher und lyrischer. Sein „Fragment Maria“ ist für eine Sopranstimme, Klavier und je vier Streich- und Holzblasinstrumente gesetzt. Hervorragend bewährte sich der Kammerchor für neue Musik unter der Leitung von Herbert Häfner, den wir als kenntnisreichen und zielbewußten Anwalt der neuen Musik auch aus der „Modernen Stunde" der Ravag kennen und schätzen. Die zum Teil sehr schwierigen Solopartien sangen mit unfehlbarer Treffsicherheit Vally und Steffi Hinterberger. Mit diesem ersten Konzert hat die IGNM eine ihrer Hauptaufgaben, neue Musik zur Diskussion zu stellen, mutig in Angriff genommen.

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