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Karajan, die Berliner und Beethoven

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„Schon als er das Pult betritt und den Taktstock hebt, braust Jubel auf ... Fabelhaft elegant in dem wie angegossen sitzenden Frack, verbeugt er sich im Zweivierteltakt. Endlich kann die Ouvertüre beginnen.“ Das notierte sich Bertha Zuckerkandl, Österreichs Madame de Recamier, anno 1892 nach einem Auftritt Girardis in ihrem Tagebuch („Die Furche“ Nr. 21). Ähnlich ging es auch zu Beginn des ersten Konzerts im Großen Musikvereinssaal zu, als, nachdem bereits das aufmarschierende Berliner Orchester lautstark begrüßt worden war, Herbert von Karajan auf dem Podium erschien. Begreiflich und natürlich, daß sich ein sechs Jahre lang angestauter Begeisterungswille in frenetischen Kundgebungen Luft machte, die aber nur eine knappe Minute währten, da Karajan es eilig hatte, zur Sache selbst zu kommen.

Eröffnet wurde das 1. Konzert und damit der fünf Abende umfassende Beethoven-Zyklus mit der Coriolan-Ouvertüre: ganz geballte Kraft, ausdrucksvoll und bewegt, im tragischen Stil dieser herkulischen Musik, in der, nach dem Wort eines Zeitgenossen, Beethoven sich selbst noch besser dargestellt hat, als seinen Helden. Bereits hier kamen einige hervorragende Qualitäten des Berliner Orchesters zur Wirkung: der schöne, kompakte, auf dunklen Bässen basierende Klang, die Präzision, der starke und noble Ausdruck.

Bevor wir jedoch auf weitere Einzelheiten von Karajans Beethoven-Interpretation eingehen, muß die ebenso kluge wie wirkungsvolle Disposition der einzelnen Konzerte hervorgehoben werden. Es waren jeweils gekoppelt: Die 5. und die 6. Symphonie, die 1. und die 3., die 4. und die 7., die 2. und die 8. Den Abschluß, am vergangenen Sonntag, bildete die Neunte.

Uberblickt man die ganze Reihe, so muß man feststellen, daß Karajan der heroisch-pathetische Beethoven mehr liegt und besser gelingt, als der idyllische, pastoral-liebliche, tänzerisch-beschwingte. Besonders eindrucksvoll war also seine Interpretation der Symphonien 3 und 5, aber auch die Vierte. Bei fast allen Wiedergaben war ein beschleunigtes Tempo festzustellen, mit dem er den langjährigen Durchschnitt um 2 bis 5 Minuten unterbot. Darunter litten am meisten der 1. und 2. Satz der „Pastorale“, die gewissermaßen schon auf das drohende Gewitter hin angelegt waren — das prächtig gelang; ferner das liebliche Allegretto der Siebenten und fast die ganze Achte, die sich ein wenig poesielos hinzog. Ihr „Allegretto scherzando“ mit seinen gleichmäßigen Sechszehntelnoten hörte sich mehr nach Honeggers „Pacific 231“ als nach Mälzeis Metronom an.

Doch sprechen wir wieder von den positiven Seiten dieses Beet-hoven-Zyklusses. Da ist vor allem die klare, wohldurchdachte formale und klangliche Disposition jeder Symphonie, jedes einzelnen Satzes, jedes Details hervorzuheben. Ebenso die nur selten nachlassende Spannung — wodurch idyllisch-gelöstere Teile freilich oft zu Schaden kommen. Von großem Reiz ist auch der kultivierte Schönklang dieses Orchesters, auch im wildesten Tumult der Finalsätze. Hier wacht Karajans empfindliches Ohr über jeden Akkord, jeden Ton, jede Phrase. — Staunenswert ist auch die Fähigkeit des Orchesters und des Dirigenten, große Bögen zu spannen, ganze Holzbläsergruppen wie ein einziges Instrument klingen zu lassen und die Übergänge von einem Instrument zum andern fast unmerklich zu bewerkstelligen. Die Mikroanalyse der Crescendi und Decrescendi würde erstaunliche Resultate ergeben. Besonders zu rühmen sind die sonoren Bässe dieses Orchesters. Wir kennen keine schöneren, dunkleren und beweglicheren. Alle acht Kontrabässe sind, wenn wir recht gesehen haben, fünf-saitig bespannt, was ein etwas größeres Volumen des Intrumen-tes und auch des Tones bedingt. Vor allem aber kommt es natürlich auf die Spieler an. Und die scheinen uns unübertrefflich. — Die Schönheit der höheren Streicher wird zweifellos von denen des Philadelphia Orchestra übertroffen, das über zwei bis drei Dutzend der kostbarsten alten italienischen Instrumente verfügt. Bei dieser Gelegenheit sei auch darauf hingewiesen, daß die Berliner Philharmoniker ein sehr junges Orchester sind — mit einem Durchschnittsalter von etwa 35 Jahren, während beim Philadelphia Orchestra die Fünfzigjährigen durchaus dominieren. Auch dieser Umstand ist bei der Beurteilung der Leistungen zu berücksichtigen. Perfektionismus wird sowohl beim Dirigenten wie beim Orchester groß geschrieben, und erst im 3. Konzert gingen einige (unwichtige) Töne daneben, und einem Cellisten riß eine Saite. Das kann vorkommen. Zum Schönklang dieses Orchesters, in dem Karajan sich seit 1954, besonders aber während der letzten sechs Jahre, ein Meisterinstrument geformt hat, trägt auch die starke, nämlich vierfache Holzbläserbesetzung bei, und da es sich um gute deutsche Instrumente und Spieler handelt,ist der Effekt ohrenfällig. — Was bei diesen Konzerten den kritischen Hörer ein wenig beunruhigte war der Umstand, daß das Publikum alle Darbietungen mit den gleichen lautstarken Ovationen quittierte. Von einer Unterscheidung und Wertung der einzelnen Leistungen war kaum eine Spur zu bemerken. — Karajan war wieder da und dirigierte Beethoven, das genügte den meisten, den allermeisten. Natürlich haben auch sie irgendwo recht, denn gut bis sehr gut war alles, manches ausgezeichnet, einzelnes hervorragend, so zum Beispiel die das vorletzte Konzert beschließende Ouvertüre „Leonore 3“ die, wir sagten es bei anderer Gelegenheit, ein Glanz- und Paradestück für den Konzertsaal ist. Besonders, wenn sich Interpreten wie Karajan und das Berliner Philharmonische Orchester ihrer annehmen.

Abschluß und Krönung des Zyklus wurde die Aufführung der Neunten, die überaus eindrucksvoll und dramatisch geriet. Im letzten Satz traten zu den während der letzten Woche von Publikum und Presse lebhaft gefeierten Berlinern noch der Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde und ein erlesenes Solistenquartett (Gundula Jano-witz, Anna Reynolds, Werner Hollweg und Walter Berry; letzterer steht nur in der traditionellen Reihenfolge der Stimmfächer an letzter Stelle: er gehört an die erste!). Der Applaus, mit dem zuletzt besonders Karajan gefeiert wurde, mag eine Viertelstunde lang gedauert haben.

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